Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 2 von 68

Das traurige Ende von Mary Welsh, der Ehefrau Ernest Hemingways

Mary Welsh Hemingway
Das Grab von Mary Welsh Hemingway. Sie ruht neben ihrem Ehemann auf dem Dorffriedhof von Ketchum. Foto: W. Stock, im April 2018.

Für Mary Welsh ist der Selbstmord ihres Ehemannes am 2. Juli 1961 besonders schmerzlich. Sie hat sich jahrelang zurückgenommen und nun tritt Ernest aus dem gemeinsamen Leben, ohne ein Wort zu sagen und ohne Abschied von der Familie. Tief im Inneren spürt sie, dass die beiden Patronen auch eine Abrechnung mit ihr sind. Doch Mary wahrt die Fassung, erzählt der Öffentlichkeit und der Presse etwas über einen Unfall beim Waffenreinigen und lebt nach Ernests Selbsttötung weiterhin in dem Haus im Sun Valley.

Nach seinem Tod lässt sich Miss Mary zu einem trotzigen Seitenhieb hinreißen. Zusammen mit ihrer Freundin Clara Spiegel bricht sie auf zu einer Safari nach Afrika, nach Kenia und Tansania. Sie will es sich beweisen: Es geht auch ohne ihn. Und ohne Debba, oft hatte Ernest von der Massai-Schönheit geschwärmt. Ansonsten führt Mary ein zurückgezogenes Witwenleben in Ketchum, erst später zieht sie um nach New York in ihr Apartment.

Mit Fidel Castro persönlich handelt Miss Mary Mitte der 1970er Jahre in Havanna eine Vereinbarung aus. Sie darf einige Manuskripte, Bilder, Unterlagen und Erinnerungsstücke ihres verstorbenen Mannes aus der Finca Vigía in die USA mitnehmen. Im Gegenzug muss sie das komplette Anwesen samt restlichem Inventar an den kubanischen Staat übereignen, an the Pueblo of Cuba, wie die schlaue Mary etwas verschachtelt in der handgeschriebenen Abtretungsurkunde formuliert.

Als Generalerbin verwaltet die Witwe den umfangreichen literarischen Nachlass. Ernest ist unglaublich fleißig gewesen und hat über 3.000 unveröffentlichte Manuskriptseiten hinterlassen. Nach und nach wird einiges von Mary schließlich zum Abdruck freigegeben. So die Erinnerungen an seine Zeit mit Hadley in Europa unter dem Titel Paris – Ein Fest fürs Leben im Jahr 1964, die kubanische Erzählung Inseln im Strom im Jahr 1970 und der Experimental-Roman Der Garten Eden im Jahr 1986.

Miss Mary ist eine selbstbewusste Frau, die nach der Heirat mit Ernest immer im Schatten stehen muss. Die einst ehrgeizige Journalistin kann neben ihrem prominenten Ehemann nicht leuchten, sie ist so klug, dies zu wissen. Es reicht ihr, wenn beide auf Finca Vigía bei gleicher Augenhöhe ihren Alltag meistern. Sie hat an Ernest hier und da herumgenörgelt, ohne ihn umerziehen zu wollen, wie dies mitunter bei Martha Gellhorn der Fall gewesen ist.

Die burschikose Frau kennt seine Macken und Schwächen, auch die Sauftouren und Seitensprünge bleiben ihr nicht verborgen. Und doch ist Mary auf eine pragmatische Art und Weise mit den Exzessen ihres Ehemannes zurecht gekommen. Ihn zu bändigen, sie weiß es, ist zwecklos. Mary schaut über seine Fehltritte hinweg , blendet die Missstände aus und richtet den Blick auf die schönen Stunden.

Ihre Sicht der Ereignisse legt Mary Welsh in der umfänglichen Biografie How it was erstaunlich unbeschönigt dar. Immer häufiger zieht sie sich in ihr Penthouse am Central Park zurück und igelt sich ein. Nach wie vor hört man kein böses Wort von ihr über den verstorbenen Mann. Doch Mary fühlt sich einsam, ohne Mann, ohne Kinder und ohne Enkel. Trost sucht sie mehr und mehr im Alkohol.

Die letzten Jahre in ihrem Apartment an New Yorks 65th Street sind nicht schön. Krankheiten und das Alleinsein setzen ihr zu. Das Telefon bleibt immer öfter still. Ernests Freunde sind nicht die ihren gewesen. Nach langem Leiden stirbt sie im November 1986 im St. Luke’s Hospital in Manhattan im Alter von 78 Jahren. Ihr Körper wird eingeäschert und die Urne nach Idaho überführt. Mary Welsh liegt

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Ernest Hemingway als Journalist – die Pomadigkeit hat ausgedient

Ernest Hemingway
Reportagen
Die Kulturrevolution im Journalismus. Und ihr Ahnvater heißt Ernest Hemingway. Foto: W. Stock.

Im Laufe der Jahre habe ich einige getroffen, die sich im publizistischen Metier bestens auskennen und meinen, Ernest Hemingway sei als Journalist ebenso überzeugend wie als Romancier. Mindestens. Eigentlich sei er als Zeitungs- und Zeitschriftenschreiber sogar besser. Das kann man so sehen.

Ernest Hemingway arbeitet ab Februar 1920 für die große kanadische Tageszeitung Toronto Star. Aus heutiger Sicht sind seine Artikel Fingerübungen zu Themen bei denen er sich auskennt. Das Forellenangeln, das Zelten in freier Natur oder der Boxkampf. Der kernige Mann vom Michigan See, er ist Jahrgang 1899, geht ohne Scheu an seine Sujets. Dass er kein Studium vorweisen kann, muss er durch eine gewisse Schnoddrigkeit überspielen.

Ab Februar 1922 wird es dann spannend. Mit Anfang zwanzig erhält er einen Vertrag als Korrespondent in Paris. Von dort bereist er ganz Europa, einen Kontinent im Umbruch. Eine Katastrophe hat man hinter sich, die nächste kündigt sich an. Es gibt viel zu berichten. Früher galt Distanz als Grundsatz des Journalismus. Die reservierte Beobachtung aus der Entfernung, mit dem Fernrohr. Anders Hemingway. Sein Credo: Mittendrin und ein Teil davon.

Er schreibt es 1926 wortwörtlich in Fiesta, seinem grandiosen Debütroman: Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.

Nur mittendrin erlebt man alles. Ein Journalist muss mit den Stieren laufen, um Spanien zu begreifen. Der Pulverdampf der Bomben sollte in seine Nase steigen, wenn er vom Krieg spricht. Ein guter Reporter muss mit den ausgemergelten Bauern auf der Flucht im Bürgerkrieg gesprochen haben, um zu wissen, was Unmenschlichkeit bedeutet. Und wer über den Kampf mit dem Marlin schreibt, der sollte selbst mit einem Fisch am Haken gekämpft haben. Ein solcher Journalismus findet nicht im Schreibstübchen statt, sondern in den fremden und bedrohlichen Ecken wo auch immer.

Der Erzähler wird Teil der Geschichte, die er beschreibt. Deshalb sollte ein Reporter zunächst gründlich beobachten, bevor er das Geschehen niederschreibt. Hemingways Vorgehen bedeutet ausdrücklich, sich auf Tuchfühlung anzupirschen, ranzugehen an das Ereignis wie ein aufdringlicher Paparazzo. Das lauschige Sesselpupsen in den Redaktionen hat ausgedient. Andere Leitbilder werden wichtig: Action statt Pomadigkeit, Nähe statt Distanz.

Reportagen über den Krieg, über Gewalt und über den Kampf schreien nach der spürbaren Emotionalität eines Ernest Hemingway. Eine Kampfhandlung muss nach Blut stinken, nach Todesangst und nach vollgeschissenen Hosen – und darf nicht in kühler Inspektion das Feld räumen. Die behördenhafte Berichterstattung wirkt wie eine Belehrung, das journalistische Miterleben hingegen erlaubt eine wahrhaftige Teilhabe.

Das Verdienst von Ernest Hemingway ist, dem Journalismus eine andere Blickrichtung gegeben zu haben. Seine Herangehensweise verlangt, genau hinzuschauen. So präzise wie ein Chirurg. Manchmal wirkt sein Ansatz sehr detailverliebt, aber eine kräftige Beobachtungsgabe ist genauso wichtig wie das Talent, exzellent schreiben zu können. Man achte auf die Landschaftsbeschreibungen von Hemingway, die wie ein Gemälde anmuten.

Hemingways Sichtweise hat Generationen von Reportern geprägt. Bis heute. Gerade bei jenen, die ihr Metier grandios beherrschen, bemerkt man den Einfluss des Mannes aus einem Vorort von Chicago. Paul Ronzheimer oder Katrin Eigendorf sind deshalb so gut, weil sie keine Scheu haben, nahe heranzugehen. Dadurch besitzen ihre Reportagen nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.

In seinen Pariser Anfangsjahren schreibt Ernest Hemingway mit

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Ernest Hemingway – Die Wahrheit kennt keine Ende

Fiesta
Ernest Hemingway
The Sun Also Rises – in Deutschland: Fiesta. Aus dem Jahr 1926. Ernest Hemingways Durchbruch. Mit einem merkwürdigen Ende.

Ein gut geschriebenes Ende sollte eine Erzählung abrunden. So ein Roman kann auf verschiedene Art und Weise ausklingen. Es hängt ab vom Thema, vom Genre, von der beabsichtigten Wirkung und ebenso von der Persönlichkeit des Autors. Letztendlich läuft es auf die Frage zu: Wie will ich meine Leser und meine Leserinnen in den Alltag entlassen?

Am schönsten ist das Happy End. Die Konflikte sind gelöst, die Protagonisten finden ihr Glück. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Das genaue Gegenteil umschreibt das tragische Ende. Die Akteure scheitern oder sterben. Er wurde von Handwerkern getragen. Da ist etwas schiefgelaufen. Kein Wunder, hier hat sich ein Mensch aus Liebeskummer das Leben genommen und in den Sarg befördert. Mit diesem genialen Finalsatz beschreibt Johann Wolfgang von Goethe die Beerdigung seines jungen Werther. 

Ernest Hemingway ist weder ein Anhänger des guten wie des schlechten Endes. Der Nobelpreisträger von 1954 bevorzugt das offene Ende. Irgendwie gemein! Der Ausklang verbleibt unklar, der Leser muss selber schauen, wie er klarkommt. Was er mit einem uneindeutigen Schlusspunkt anfängt, bleibt einzig und allein dem armen Büchernarr überlassen. Fast jede Geschichte aus der Feder Hemingways wird nicht abgeschlossen – und das ist in Ordnung so.

Typisch: Seine Short Story unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch Der Unbesiegte) lässt den Leser am Ende ratlos zurück. Der abgehalfterte Torero Manuel Garcia darf gegen ein Gnadenbrot einen letzten Kampf bestreiten. Im Verlauf der Corrida wird der ehemals berühmte Matador von dem Stier mehrfach verwundet, kann dem Bullen aber den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer aus der Arena getragen und in ein Krankenhaus gebracht. Dann bricht die Erzählung ab. Ob Manuel Garcia überlebt? Unklar. Ernest Hemingway lässt den Ausgang offen.

Vom Meer kehrt der alte Mann zurück in sein Heimatdorf, er hat seinen Fang an die Haie verloren. Die Mühe vieler Wochen war umsonst. Der alte Fischer ist geschlagen, doch nicht gebrochen. Er wird am nächsten Tag mit seinem Holzboot wieder hinaus aufs Meer fahren. Wahrscheinlich. Auch dies schleierhaft. Schlimm? Nein. So funktioniert das Leben. Niemand weiß, was der folgende Tag bringen wird.

Ist dies kein schöner Gedanke? So lässt Ernest seinen grandiosen Roman Fiesta enden. Die Erzählung beschreibt das zynische Lebensgefühl nach dem Ersten Weltkrieg. Der letzte Satz lautet: Isn’t it pretty to think so?. Diese Frage von Jake Barnes, dem Protagonisten, geht an Lady Brett Ashley, die nicht unterscheiden kann zwischen Liebe und Gier. Es hätte eine reizvolle Liebesbeziehung in Spanien werden können, doch es hat nicht sollen sein. Die Liebe – wie das Leben – gestaltet sich schwierig.

Der Einwand sei erlaubt: Ist solch eine simple Frage nicht zu unambitioniert für einen Nobelpreisträger? Von wegen! Die angezogene Handbremse hat Methode, sie ist typisch für Hemingway. Alles bleibt kompliziert. Ein schlichtes Ende – ob gut oder schlecht – wird den Herausforderungen des Lebens nicht gerecht. Zumal ein freudiger Abschluss einer Täuschung erliegt, denn jedes Happy End kann auf der Lebensbahn lediglich eine Momentaufnahme darstellen. Über das große Ganze entscheiden andere, es liegt nicht in den Händen des Menschen.

Ernest bringt seine Erzählung mit voller Absicht meist nicht zum Ende. Er lässt den Leser baumeln, im Schmerz leiden, manchmal sogar genervt zurück. Aber so ist die Realität. Die wichtigen Lebensbereiche – es geht Hemingway ums Kämpfen für das kleine Glück und um den Erhalt der Würde – diese Fragen bleiben ohne Antwort. Man darf den Leser nicht ins Eiapopeia entlassen. Denn ein gutes Ende ist immer

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Ernest Hemingway/Jorghi Poll: Der alte Mann & das Meer

Ernest Hemingway
Der alte Mann & das Meer
Ernest Hemingway/Jorghi Poll: Der alte Mann & das Meer.

Eigentlich ist zu Hemingways Erzählung aus dem Jahr 1952 alles gesagt. Sie ist das bekannteste und wohl auch das am meisten perfekte Werk von Ernest. Eine Parabel auf das Leben und den Menschen. Zwei Jahre später wird der auf Finca Vigía, nahe Havanna, ansässige Autor mit dem Nobelpreis für Literatur belohnt. Ausdrücklich für diese biblisch anmutende Novelle von zeitloser Brisanz.

Aus diesem Grund ist es Aufgabe von Verlegern, Lektoren und Journalisten, Hemingways Buch auch für nachfolgenden Generationen lebendig zu halten. Nun kommt Ernestos Klassiker bei der Ars Edition in einem opulenten Geschenkband daher. Dankenswerterweise wohl für eine jüngere Leserschaft, sehr abwechslungsreich und voller typografischer Überraschungen.

Die prächtige Schmuckausgabe von Der alte Mann und das Meer bringt die bewegende Geschichte des kubanischen Fischers Santiago und seines Kampfes mit einem gigantischen Marlin in einer Neuauflage in die Bücherregale der Literaturliebhaber. Die Neugestaltung lehnt sich an die bekannte Rowohlt-Ausgabe an, mit der famosen Übersetzung von Werner Schmitz. 

Hemingways Novelle erzählt meisterhaft von Hingabe und Ausdauer des Menschen im Überlebenskampf. Heute würde man sagen: Der Mann aus einem Vorort von Chicago schreibt über Purpose und Resilienz. Erstaunlicherweise hat das Enfant terrible der Weltliteratur die Geschichte dieses Kampfes in eine Erzählung voller gottgefälliger Metaphern und Chiffren verpackt.

Der vom Pech verfolgte alte Fischer Santiago bekommt nach 84 erfolglosen Tagen einen großen Marlin an den Haken. Der Kampf mit dem Großfisch bringt den einfachen Mann an seine Grenzen. Am Ende steht das Debakel, der Fang geht an die gefräßigen Haie. Doch auch wenn die Beute verloren geht, dieser schlichte Mensch behält in der Niederlage seine Würde. 

Die außergewöhnlichen Illustrationen geben diesem weltberühmten Roman ein unverwechselbares neues Gewand. Die Visualisierungen von Jorghi Poll sind überaus gelungen. Der Wiener ist ein junger Illustrator, der schon zahlreiche Bücher und Magazin-Ausgaben für profil und Falter entworfen hat. Jorghi Poll zeichnet eine sorgfältige und feinfühlige Strichführung aus.

Insbesondere die klug ausgewählten Wörter-Spiele im Innenteil und die Detail-Darstellungen überzeugen. Leider ist das Cover misslungen. Der alte Mann Santiago sieht mit seiner Prinz-Heinrich-Mütze und der Tabakpfeife nicht aus wie ein armer Fischer aus Cojímar, sondern wie ein satter norddeutscher Seebär aus Eckernförde. Ob dieser Stilbruch beabsichtigt ist? Die Illustrationen im Innenteils machen dieses Manko freilich mehr als wett. 

Die edle Schmuckausgabe verleiht Ernest Hemingways Klassiker eine besondere Wertigkeit. Das Standardwerk der Weltliteratur in einem neuen ästhetischen Gewand für junge Leser und Leserinnen. Lobenswert, dass sich ein

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Der schönste Hemingway-Satz: Altersweisheit

«Nein, es ist ein großer Irrtum. Die Weisheit der Alten.
Sie werden nicht weise. Nur vorsichtig.»
«Vielleicht ist das Weisheit.»

Ernest Hemingway: In einem anderen Land, 1929

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Was hat Ernest Hemingway mit ‚Eggs Hemingway‘ zu tun?

Eggs Hemingway
Sylt
Westerland
Eggs Hemingway‘ im Mateika von Westerland auf Sylt. Foto: W. Stock 2025.

Unlängst im Café Mateika auf Sylt auf Ernesto gestoßen. Eggs Hemingway steht in dem feinen Kaffeehaus auf der Speisekarte. Es ist kein Einzelfall, in den Szene-Cafés landauf, landab veredelt diese Variation der Eggs Benedict jedes Angebot. Damit mausert sich Ernest Hemingway, der seit fast 65 Jahren friedlich auf dem Dorffriedhof von Ketchum liegt, zum Bestandteil einer hippen Frühstücks- und Brunch-Kultur. Aus den USA schwappt dieser Trend mehr und mehr zu uns nach Europa. Inklusive Eggs Hemingway

Die ursprünglichen Eggs Benedict sind in den 1860er Jahren in New York erfunden worden. Diese Eierspeise ist wohl nach dem Börsenmakler Lemuel Benedict benannt, der das Gericht als Katerfrühstück im Waldorf Astoria bestellt haben soll. Eggs Benedict, in unsrer Zeit ein bekanntes amerikanisches Frühstücksgericht, besteht aus einem englischen Muffin, Schinken, pochiertem Ei und Sauce Hollandaise.

Weltweit findet man die Eierspeise in zahlreichen Variationen. Das Gericht bietet sich für Anreicherungen und Austausch geradezu an. Der Fantasie werden keine Grenzen gesetzt. Mit Tomatenscheiben, dazu Bacon, mit Spinat oder Artischocken. Auch mit Toast, Zwieback oder Biskuits statt der Muffins. In Mexiko kann man die Huevos Benedict mit Avocado anstelle von Schinken und mit hochscharfer Salsa entdecken.

Doch was hat Ernest Hemingway mit diesen Eiern zu tun? Eggs Hemingway, auch bekannt als Eggs Atlantic, Eggs Copenhagen oder Eggs Royale, ist eine solche Abwandlung der Eggs Benedict. Bei der hemingway’schen Variation wird der Schinken durch Räucherlachs ersetzt. Diese fischige Spielart ist besonders in Ländern wie Großbritannien, Kanada und Australien beliebt. Kein Top-Hotel kommt ohne dieses Gericht aus.

Eggs Hemingway sind nach dem bärtigen Autor benannt, da er – mit maritimem Wohnsitz Key West und später Kuba – eine Vorliebe für geräucherten Fisch gehabt haben soll. Zusätzlich geht die Fama um, der Nobelpreisträger von 1954 habe eine Abneigung gegen Schinken an den Tag gelegt. Stattdessen habe er den proteinreichen Lachs als Ergänzung zu den pochierten Eiern und der Sauce Hollandaise bevorzugt.

Wie so oft bei kommerziellen Auswüchsen in Sachen Ernst Hemingway gibt es weder Beispiele noch Belege für diese Legende. Gleichermaßen bin ich in 40 Jahren Forschung keiner diesbezüglichen Animosität Ernestos begegnet. Schinken-Aversion? Kann sein, vielleicht auch nicht. Der Löwenanteil an dieser ganzen Eier-Geschichte liegt vermutlich in schlauem Marketing.

Ein paar Werbeleute haben wohl gemeint, es passe halt verdammt gut zum kernigen Image des Schriftstellers. Eggs Hemingway zu bestellen, hört sich auf jeden Fall cooler an, als wenn man dem Kellner Eggs Atlantic zurufen würde. Denn der Gast outet sich hiermit als Mann oder Frau von Welt. Und in diesem Punkt haben die Marketing-Fritzen ja recht. Das Gericht wird als Eggs Hemingway kulinarisch, vor allem aber semantisch auf eine neue Stufe gehoben.

Vielleicht ist das Entzücken in Sachen Eggs Hemingway ja für den einen oder anderen

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Ernest Hemingway – ein Autor ohne Frauen

Ernest Hemingway
Ernest Hemingway auf Entenjagd in Idaho. Mit dem besten Freund des Mannes. Black Dog. Im Oktober 1941. Photo Credits: Ernest Hemingway Collection of the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Ernest Hemingway ist ein Autor ohne Frauen. Mehr noch, der Nobelpreisträger von 1954 gilt den meisten als einschlägiger Männer-Versteher. Ernesto, der Ober-Macho in der Literatur. Es ist nicht zu leugnen: Seine Erzählungen und Romane kommen nahezu ohne Frauen aus. Was ist bloß los mit dem Mann?

An dieser Stelle sollte man jedoch Werk und Mensch fein trennen. Im richtigen Leben ist er von der Damenwelt umzingelt. Vier Ehen, dazu zahllose Affären. An manchen Tagen kommt er mit drei Frauen zusammen. Vormittags auf Finca Vigía mit Ehefrau Mary, nachmittags bei der Dauergeliebten Leopoldina in der Altstadt von Havanna und abends möglicherweise dann noch die schnelle Nummer.

Als physischer Mann ist dieser Kerl electrico. In seinen Romanen und Erzählungen, als Schriftsteller in Bezug auf Frauen: tote Hose. So bleibt es bei einer reinen Männerwelt zwischen zwei Buchdeckeln. Vor den Bullen in Pamplona laufen die verwegenen Burschen der Stadt. In seinem Meisterwerk Der alte Mann und das Meer kommt erst gar keine Frau vor. Auch in seiner brillanten Kurzgeschichte Der Unbesiegte nicht. Oder in The Killers. Alles Stücke ohne Frauen. Null, nada, nichts. Nicht einmal in einer Nebenrolle.

Es gibt Geschichten von Hemingway, da schleichen sich Hunde und Katzen in den Plot, Bullen und Stiere ohnehin. Jedoch keine Frauen. In seiner ganz famosen Kurzgeschichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg Alter Mann an der Brücke sorgt sich ein greiser Mann auf der Flucht vor den Faschisten um seine Tiere, die er zurücklassen muss. Men Without Women – zu Deutsch Männer ohne Frauen – heißt eine Sammlung von frühen Short Stories aus dem Jahr 1927. Welch ein Buchtitel! Es geht um blutigen Stierkampf, gedungene Mörder und feiste Boxer – wahrlich kein Dunstkreis für das schöne Geschlecht.

Seinen Kritikern und vor allem seinen Kritikerinnen macht es dieser Schriftsteller allerdings leicht. Besondern Feministinnen weisen mit gutem Recht darauf hin, hier entlarve sich in persona wie auch in seinen Erzählungen ein reaktionärer Chauvinist. Ein Sexist, wie er im Buche steht. Ein Pascha, ein Obermacker. Alles richtig und zutreffend. Zumal dieser Naturbursche aus dem Mittleren Westen der USA ja alles tut, um die Vorurteile zu bestätigen.

Andererseits gibt es Geschichten – von Fiesta bis Inseln im Strom – da tauchen schon Frauen auf. Aber mit solchem Stereotyp, dass es beim Lesen mitunter weh tut. In derlei Texten findet man die blutjunge Geliebte in Venedig, die herzerfrischenden Huren aus dem El Floridita, eine nymphomanische Lady bei den Sanfermines – irgendwie plagt diesen Mann ein gehöriges Problem in Bezug auf sein Frauenbild.

Es hat wohl mit seiner Kindheit zu tun, mit der dominanten Mutter und einem Waschlappen namens Vater. Den Vater Clarence verehrt er, die Mutter Grace hasst er. An dieser Prägung mag es liegen, dass viele meinen, dieser Autor sei aus der Zeit gefallen. Sein Blick auf Männer und Frauen bleibt von Anfang an eindimensional. Für die Gender-Forschung unserer Tage ist dieser Mann ein Glücksfall.

Aber Hemingways Themenkreise sind wirklichkeitsnah. Qualvoll obendrein. Der Mann aus Oak Park beschreibt die brüchige Welt der Verlorenen Generation. Schlachten, Kämpfe, tote Stiere. Wie kann es anders sein, bei einem Kerl, der als 18-Jähriger im Ersten Weltkrieg lebensgefährlich verwundet wird. Der zwei Flugzeug-Unglücke überstanden hat. Allzeit den Tod vor Augen dekliniert Ernesto seine Helden an der kaputten Realität rauf und runter. Als Idealbild eines männlichen Kämpfers. Der seine Probleme alleine lösen muss. Und scheitert. Ein Krieger ohne Sieg. Dies alles ist keine Entschuldigung, bestenfalls eine Erklärung. 

Welche Chance vergibt Hemingway in seinem Männerbild! Das Zulassen einer weichen Seite in uns, eines gefühlvollen Kerns, dies ist nicht seine Sache. Dieser Mann vermag nicht über seinen Schatten zu springen, die Prägung ist zu stark, die Verletzungen sind zu groß. Aber Obacht. Wir liegen nicht

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Ist Ernest Hemingway ein Blender und Aufschneider?

Ernest Hemingway
Cabo Blanco
Ernest Hemingway im April 1956 in Cabo Blanco, Peru. Foto: Modeste von Unruh. Archiv Dr. Stock.

Ernest Hemingway läuft man über den Weg in Pamplona und Ronda, in Venedig und in Fossalta, hoch in den Alpen oder im tiefen Schwarzwald, in Paris natürlich, auch in der deutschen Schnee-Eifel, in der Karibik, auf Kuba, am Fuße der Rocky Mountains oder in Afrika. Auch wenn die Verehrung oft nur an der Oberfläche kratzt, die Bewunderung für diesen Mann ist echt, sie kommt von unten, von den Menschen.

Keiner hat hier etwas befohlen oder angeordnet, nichts läuft top down, die Hochachtung erfolgt bottom up. Es sind die Leute, die wollen, dass dieser Tote lebendig bleibt. Dieser Schriftsteller hat ein ziemlich buntes Leben vorzuweisen, das macht den Unterschied zu anderen aus, mit seiner Lebensgeschichte kann uns dieser Erzähler ebenfalls packen. Seine Person und sein Tun sollte man deshalb nicht von seinem Werk trennen. 

Eigentlich lebt er wie eine seiner Romanfiguren. Auf den einen oder anderen Beobachter mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego aufgeblasen wirken. Wie ein Aufschneider und Großkotz. Aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Sprücheklopfer. Er liebt die Rolle eines Zampano. Doch in Wirklichkeit ist er ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber. Seine Passion nimmt er ernst und legt eine bemerkenswerte schreiberische Emsigkeit an den Tag.

Diesem Autor ist sein Erfolg nicht in den Schoß gefallen. Aber Ernest Hemingway ist immer eine Kämpfernatur gewesen. Unzählige Male hat er Courage und Draufgängertum bewiesen, schon als Grünschnabel im Veneto, im ersten großen Krieg, wo sein Leben am seidenen Faden hing. Und er war auch später überall dabei, wo es krachte und schepperte, im Hürtgenwald zu Ende des Zweiten Weltkriegs, in Spanien, wo sich Brüder und Freunde massakrierten.

Für das Geplapper der Großstadt ist dieser Kerl nicht gemacht. New York, Chicago, Boston – zu viel heiße Luft und zu wenig Bodenhaftung. Er muss die Tür zur freien Natur aufstoßen. Am Golf von Mexiko, vor Key West, auf den Bahamas, am Pazifik wirkt dieser kernige Bursche ausgeglichen und lebt auf. Er zieht die Gesellschaft von einfachen Fischern, zünftigen Schankwirten und bodenständigen Kleinhändlern vor.

Professoren und Intellektuelle findet man in seinem engen Freundeskreis so gut wie nicht. Er will keinen kopflastigen Glorienschein, Ernest Hemingway selbst tut einiges für sein schlechtes Image. Er säuft bis zum Umfallen, jagt jedem Rock nach, plustert sich auf, gibt allerlei Räuberpistolen zum Besten. So stellt man sich einen Nobelpreisträger der Literatur nicht gerade vor. Viele rümpfen die Nase, andere finden es großartig.

Hemingway ist nicht unbedingt ein Schreiber für die gebildete Schickeria. Dies ist außergewöhnlich in der Weltliteratur, Ernesto wird gerade auch von einfachen Menschen mit großer Passion gelesen. Er selbst hat nie studiert, seine Universität sind die Plätze und Kneipen auf allen Kontinenten. In den letzten Jahren und Jahrzehnten bin ich sechs, sieben Frauen und Männern begegnet, die ihn gut gekannt haben. Und allesamt berichten das Gleiche: Dieser Literat ist nahbar, ohne Allüren, ein Kerl wie du und ich. 

Diese Nähe zum normalen Menschen mag erklären, warum dieser Nobelpreisträger solch tiefe Spuren hinterlassen hat. Und weshalb die Leute ihre Verehrung ohne Anweisung ins Werk setzen. Dieser Autor holt den Leser ab in seiner Welt, es ist auch die Sphäre dieses Schriftstellers. Die Hommage der Menschen gilt einem Freund. Es ist das Leben, unser aller Leben über das hier geschrieben wird.

Seine Themen köcheln im tiefsten Inneren. Die ewige

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Ein unbeschriebenes Blatt – Wer Ernest Hemingway als Autor wirklich entdeckte

Der Querschnitt
Ernest Hemingway
Das Berliner Magazin Der Querschnitt ist das erste große Medium, das eine Erzählung von Ernest Hemingway veröffentlicht. Vor allen anderen. Im Juni 1925. Foto: Archiv Dr. Stock.

Vor genau hundert Jahren – im Sommer 1925 – druckte ein Berliner Kulturmagazin die Kurzgeschichte eines völlig unbekannten US-Schriftstellers. Es sollte der Auftakt eines rasanten Aufstiegs werden. Der Name des Neulings: Ernest Hemingway.

Von Wolfgang Stock

Deutschland zu hassen, dafür gäbe es auf Ernest Hemingways Lebensweg genug Anlässe. Nach Machtübernahme der Nazis kommt der US-Autor auf die Schwarze Liste, im Mai 1933 wird sein Anti-Kriegs-Buch In einem andern Land öffentlich verbrannt. Als Reporter im Spanischen Bürgerkrieg erlebt er das gnadenlose Bombardement der Legion Condor gegen die einheimische Zivilbevölkerung. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Dem blanken Horror begegnet der Amerikaner dann im Winter 1944, wenige Kilometer hinter der Front im Hürtgenwald, wo in den dichten Wäldern der Nordeifel eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfindet.

Kaiser Wilhelm, Hitler, die Nazis – die Krauts zu verabscheuen, das müsste dem Autor aus Oak Park bei Chicago eigentlich leichtfallen. Doch Ernest Hemingway hasst Deutschland und die Deutschen nicht. Vor allem aus einem Grund, ein Mensch verhindert dies. Sein Name: Hermann von Wedderkop. Von Freunden Weddo gerufen. Heute ist dieser bedeutende Medienmann der Weimarer Republik fast vergessen. Wedderkop ist wunderbar. Sie zahlen mir 550 Francs, jubelt in Paris der junge Autor im Januar 1925. Er kann das Geld aus Berlin gut gebrauchen.

Seit Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Metropole an der Seine, es sind beschwerliche Lehrjahre für den ambitionierten Journalisten. Mühsam hält der junge Vater, Sohn John wird 1923 geboren, seine dreiköpfige Familie über Wasser. Ein kleiner Erbschaftsfonds von Ehefrau Hadley verhindert das Schlimmste. Vor kurzem hat er seinen einträglichen Vertrag als Europa-Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star gekündigt, Ernest Hemingway geht voll ins Risiko. Der Sohn eines Arztes hat einen Traum: Er möchte Schriftsteller werden.

Paris ist in jenen Jahren eine Weltstadt im Aufbruch. Literaten, Maler und Musiker auf der Suche nach neuen Ideen zieht es nach Saint-Germain-des-Prés oder zum Boulevard du Montparnasse, wo im Café de Flore oder Le Dôme die Freude am Dasein ausgelebt wird. Einem jungen Amerikaner, der mit den calvinistischen Werten des Mittleren Westens aufgewachsen ist, muss Rive Gauche vorkommen wie eine Pforte ins Himmelreich. Autoren, die berühmt werden wollen, gibt es zur Genüge in der Stadt an der Seine. Zwar hat der Mittzwanziger, Hemingway ist vom Jahrgang 1899, bereits in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, doch sind diese Schriften eher Privatdrucke seiner Expat-Freunde Robert McAlmon und Bill Bird. Von seinem Erstling Three Stories and Ten Poems kommen 1923 gerade einmal 300 Exemplare in Umlauf. Ernest hält Ausschau nach einem zahlungskräftigen Verlag, doch der bleibt weit und breit nicht auszumachen.

Der Traum vom Erfolgs-Schriftsteller

Ernest Hemingway erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Ablehnung nach der anderen. Seine Frau versucht, ihn wieder aufzurichten. Hadley glaubt an mich und das ist mehr als genug, um den Schmerz der Absagen zu überbrücken. Das Schreiben der Stories ist schon schwer genug gewesen, aber noch schwerer war, dass sie abgelehnt wurden. In seinem Heimatland findet er kein Periodikum, das seine Kurzgeschichte über Spanien drucken will. Damit hat er nicht gerechnet. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber sie können sie nicht veröffentlichen, erklärt der Newcomer resigniert in einem Brief. Die Story sei zu hart für die Leser. Voller Zweifel beginnt Hemingway, sich als Autor in Frage zu stellen. Den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen erste Depressionsschübe.

Nach vielen Tiefschlägen trifft in Paris endlich eine Zusage ein. Zur Überraschung kommt das Angebot nicht aus den USA, sondern aus Deutschland. Hermann von Wedderkop, der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt, will die Torero-Erzählung veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz seinem Freund Harold Loeb. All mein Zeug werde demnächst erscheinen, sagt er. Persönlich treffen sich Hermann von Wedderkop und der junge Amerikaner dann am 9. Oktober 1924, im Pariser Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Ernest zeigt sich angetan von dem 24 Jahre älteren Deutschen. Der Kerl ist zu gut, um sich lange halten zu können.

Die Kulturzeitschrift mit dem seltsamen Namen Der Querschnitt erscheint seit 1921 in Berlin. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre reiht der Großverleger Hermann Ullstein das Magazin in seinen Propyläen Verlag ein, das Erscheinen wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Druckauflage steigt auf 20.000 Exemplare. Jeden Monat überrascht Der Querschnitt mit einem snobistischen Scharfblick auf Kunst, Literatur und Gesellschaft. Dazu hier und da ein ästhetischer Akt, in weiblicher oder männlicher Ausprägung. Als Chefredakteur und Herausgeber entwickelt der Autodidakt Hermann von Wedderkop die kleinformatige Gazette zur vielbeachteten Avantgarde-Zeitschrift in der Weimarer Republik.

Ein wunderbarer Kerl aus Berlin

Zunächst druckt Der Querschnitt im Herbst 1924 einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann. Der US-Amerikaner zeigt sich begeistert von dem Berliner Zeitgeist-Magazin. Sie behaupten, sie würden alles kaufen, egal, was ich schreibe. Ich fürchte, Von Wedderkop ist verrückt. Aber er ist ein wunderbarer Kerl. Und solange Von Wedderkop nicht gefeuert wird, bin ich im Geschäft, schwärmt Hemingway in einem Brief aus den Winterferien in Schruns im Januar 1925. Sein Hang zur Großsprecherei prägt sich schon damals aus: In Deutschland bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt.

Oft macht er sich lustig über seinen Verleger, es ist ein gutes Zeichen. Wedderschnitt, persifliert Hemingway den Namen des Chefredakteurs liebevoll, der Wedderschnitt vom Querkopf. Hermann von Wedderkop wird im November 1875 in Eutin geboren, er entstammt einem Adelsgeschlecht aus Niedersachsen. In München, Kiel und Berlin studiert er Rechtswissenschaft, dazu Kunstgeschichte und Archäologie. Zunächst arbeitet der Jurist als Regierungsbeamter in Brüssel und Köln. Doch die Staatsverwaltung ist nicht seine Welt, es zieht ihn zur zeitgenössischen Malerei. Weddo schreibt lieber Artikel und Bücher über moderne Kunst. Dabei lernt er den Kunsthändler Alfred Flechtheim kennen, der ihn Anfang 1924 zum Chefredakteur seines Magazins Der Querschnitt beruft.

Hermann von Wedderkop wird dafür gerühmt, innovative Autoren mit originellen Themen und realistischem Stil zu fördern. Die pomadigen Satzgirlanden eines Thomas Mann hält er für unzeitgemäß. Die neuen Taktgeber heißen Gottfried Benn, Bert Brecht und Alfred Döblin, die in ihren Werken die herrschende Trostlosigkeit schonungslos sezieren. Ernest Hemingway fühlt sich verstanden, auch er ist dabei, mit lebensechten Erzählungen und seinem kargen Eisberg-Stil den viktorianischen Rührstücken à la Charles Dickens ein für alle Mal den Garaus zu machen.

Im Sommerheft des Jahres 1925 ist es dann soweit: Der Querschnitt übersetzt und druckt Hemingways Stierkampf-Story. Im nächsten Heft, der Nr. 7 vom Juli, findet sich der zweite Teil der Erzählung über einen gealterten Torero. Der ehemals berühmte Matador Manuel Garcia erbettelt einen letzten Kampf. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, er kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Hospital gebracht. Sofort kommt er auf den Operationstisch. Ob das Leben des Matadors gerettet werden kann? Der Autor lässt es offen.

Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Kampf gegen die menschlichen Grenzen und die Wahrung von Würde in der unvermeidlichen Niederlage. Nach Veröffentlichung in Der Querschnitt tritt die Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch: Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um die Welt an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben.

Der Durchbruch mit Fiesta

Die lakonische Prosa des Neulings zieht Leser und Kritiker in den Bann. Die Klarheit der Sprache wird ebenso gelobt wie die Unterkühltheit in den Dialogen. Während andere Schriftsteller noch die gespreizte Stilistik der Vätergeneration pflegen, kommt Ernest Hemingway ohne Umschweife zur Sache. In seinem grandiosen Debütroman The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – fängt der junge US-Autor im Oktober 1926 das konfuse Lebensgefühl der Verlorenen Generation wirklichkeitsnah ein. Die von Gertrude Stein so titulierten Männer und Frauen leiden nach dem Zivilisationsbruch unter Werteverfall und Orientierungslosigkeit.

Wie ein anschauliches Menetekel zwischen zwei schrecklichen Kriegen erscheint da Hemingways Fiesta. Amerikanische Intellektuelle in Paris und auf Besuch der Sanfermines in Pamplona geben den Blick frei auf eine Verlorenheit, die bei dem mittelalterlichen Bullen-Spektakel mit reichlich Alkohol und allerlei erotischen Eskapaden verdrängt werden möchte. Auf solch eine Unverblümtheit hat die Leserschaft sehnsüchtig gewartet. Von Europa aus erklimmt der 27-Jährige mit Fiesta den Gipfel der Literatur. Wie ein kraftvoller Bannerträger, wie jemand, der Klartext redet und damit einer bedrückten Generation eine frische Stimme gibt. Ernest Hemingway, nahbar und leutselig, steigt auf zum Weltstar.

So viel Glück ist seinem Mentor in Berlin nicht beschieden. Nach der erfolgreichen Zeit beim Querschnitt, die sich von 1924 bis 1931 erstreckt, versucht sich Hermann von Wedderkop selbst als Autor. Er schreibt launige Reiseführer, über das Rheinland, über Paris, London und Rom. Wie man Freunde gewinnt, den Bestseller des US-Motivationstrainers Dale Carnegie, überträgt er ins Deutsche, wird gar Co-Autor des Werkes. Im Jahr 1933 tritt er der NSDAP bei und hegt offene Sympathien für Benito Mussolini. Allerdings gerät er wegen seiner Vorliebe für moderne Kunst wiederholt in Konflikt mit der braunen Obrigkeit. Der polyglotte Adlige zieht sich zurück und verbringt die Zeit des Nationalsozialismus überwiegend in Italien.

Im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit verschwimmt das Profil dieses einst gewichtigen Blattmachers. Er selbst meidet weitgehend die große Öffentlichkeit, lieber übersetzt er ein Buch des italienischen Reiseschriftstellers Emilio Cecchi. Seine Erfolge um die Förderung der künstlerischen Avantgarde mit seinem Zeitgeist-Magazin Der Querschnitt geraten über die Jahre in Vergessenheit. Der medialen Aufmerksamkeit entschwunden und kinderlos stirbt Hermann von Wedderkop nach langen Sanatoriumsaufenthalten in der Schweiz im Oktober 1956 mit 80 Jahren in Hamburg.

Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1954, ist seinem ehemaligen Schützling in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Der Novize aus Pariser Tagen, schon lange eine Berühmtheit, vergisst seinen frühen Förderer nicht. In Paris – Ein Fest fürs Leben, dies sind biografisch gefärbte Erzählfragmente seiner sieben Jahre in Europa, erinnert Ernest Hemingway an seinen ersten Verleger. Im Dialog mit der Buchhändlerin Sylvia Beach, er nutzt Shakespeare and Company in der Rue de l`Odéon als Postadresse, erwähnt er seinen Berliner Mentor.
Es war ein Brief, und er fühlte sich an, als ob Geld darin sei.
„Wedderkop“, sagte Sylvia.
Es muss vom ‚Querschnitt’ sein (…). Es sind 600 Francs. Er schreibt, es kommt mehr. Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich etwas verkaufen kann.

Hemingway dankt seinem Entdecker

Der Querschnitt ist das erste namhafte Medium gewesen, das diesen ehrgeizigen Jungautor veröffentlicht hat. Somit haben die Deutschen ihn ein wenig entdeckt, noch vor allen anderen. In The Green Hills of Africa setzt Ernest Hemingway dem Berliner Magazin 1935 ein literarisches Denkmal, als er mit einem österreichischen Safari-Kameraden über seinen Beginn als Autor plaudert. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.

Die ausführliche Passage aus Die grünen Hügel Afrikas druckt Der Querschnitt im Juni 1936 unter dem Titel The Man with the Tyrolese Hat bei Nennung des Autors auf anderthalb Seiten nach. Dieser Mut erstaunt. Denn Hemingways Name befindet sich auf der Liste unliebsamer Autoren. Politisch bleibt das Magazin zwar diffus, doch eckt es mit seiner Unangepasstheit mehrfach bei den nationalsozialistischen Machthabern an. Unter dem 12. Oktober 1936 notiert Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Gestern: gelesen, gearbeitet. Zwei Zeitschriften Inneres Reich und Querschnitt wegen dreister Unverschämtheiten verboten. Das hat wohlgetan. Die waren wieder frech wie Dreck.“

Mit Der Querschnitt erfährt Ernest Hemingway eine emotionale Bindung zu Deutschland und darüber hinaus einen Zugang zur deutschen Literatur. Thomas Mann bewundert er, Ringelnatz ebenso. Der Amerikaner ist ein offener und neugieriger Mensch, als Nicht-Studierter muss er sich vieles abschauen. Über allem Ruhm vergisst er nicht, wer seine erste Spanien-Geschichte und die vorlauten Poeme veröffentlicht hat. Eine deutsche Zeitschrift und ihr Chefredakteur haben an ihn geglaubt, während Verlage in der Heimat seine Manuskripte in den Papierkorb geschleudert haben.

Dankbar blickt der Nobelpreisträger zurück auf den Beistand von Weddo in den schwierigen Anfangsjahren. Die insgesamt sieben Veröffentlichungen in dem Berliner Magazin werden Ernest Hemingway vor einem Trugschluss bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht allein das Land der Bücherverbrenner und der Joseph Goebbels. Deutschland, das ist ebenso das Land von Der Querschnitt und des Hermann von Wedderkop.

Dr. Wolfgang Stock lebt als Journalist und Buchautor in Herrsching am Ammersee. Er betreibt das Portal Hemingways Welt (www.hemingwayswelt.de) und hat eine Biografie über den Nobelpreisträger geschrieben (Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru).

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Der schönste Hemingway-Satz: Krieg ist ein Verbrechen

Ernest Hemingway

But never think that war, no matter how necessary, nor how justified, is not a crime. Ask the infantry and ask the dead.

Ernest Hemingway:
The Sling and the Pebble, 1946

Aber denken Sie niemals, dass Krieg, egal wie notwendig oder gerechtfertigt er sein mag, kein Verbrechen ist. Fragen Sie die Fußtruppen und fragen Sie die Toten.

Ernest Hemingway:
Die Steinschleuder und der Kieselstein, 1946

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