Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

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Ernest Hemingway: The Man with the Tyrolese Hat

Der Querschnitt vom Juni 1936. Das Berliner Magazin veröffentlicht eine lange Passage aus Ernest Hemingways Afrika-Buch. Riskant in Nazi-Deutschland. Exemplar: Archiv Dr. Stock.

Das deutsche Monatsmagazin Der Querschnitt wartet im Juni 1936 mit einer Überraschung auf. Die Zeitschrift veröffentlicht eine kurze Geschichte von Ernest Hemingway. The Man with the Tyrolese Hat wird auf anderthalb Seiten publiziert. Auf Englisch, ganz ohne Übersetzung. Das elitäre Periodikum besitzt intellektuelles Gewicht: Es erscheint in Berlin, dort im renommierten Propyläen-Verlag, später im Heinrich Jenne Verlag.

Ernest hat bereits in den 1920er Jahren in Der Querschnitt veröffentlicht. Insbesondere seine Kurzgeschichte The Undefeated (zu Deutsch später bekannt als Der Unbesiegte). Beim Querschnitt heißt die Geschichte knapp Stierkampf, sie wird in zwei Teilen im Sommer 1925 abgedruckt. Ein halbes Dutzend Stücke aus der Feder von Ernest Hemingway ist zwischen Herbst 1924 und Juli 1925 in der manchmal arg versnobten Zeitgeist-Gazette veröffentlicht worden.

Der Mann aus Chicago, der in Paris lebt, ist sehr dankbar für die Publizierung in dem bekannten Magazin aus Deutschland. Denn es gibt ein schönes Honorar und – vor allem – es hebt das Selbstwertgefühl des damals noch völlig unbekannten Novizen. Sein Durchbruch als Schriftsteller sollte erst im Oktober 1926 mit The Sun Also Rises (in Deutschland und Europa: Fiesta) stattfinden.

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Im 16. Jahrgang kommt Ernest Hemingway zurück zu seinem Entdecker-Magazin Der Querschnitt. Archiv: Dr. Stock.

Das neue Stück The Man with the Tyrolese Hat ist ein opulentes Fragment aus Die grünen Hügel Afrikas, das im Oktober 1935 als Green Hills of Africa im Verlag Charles Scribner’s Sons in New York erschienen ist. In Hemingways Jagdgeschichten, sie basieren auf den Erlebnissen seiner Ostafrika-Safari im Januar und Februar 1934, kommt es zu einer skurrilen Begegnung.

In der Steppe begegnet Hemingway einem österreichischen Jagdkameraden in Lederhose und mit Tirolerhut auf dem Kopf. Und es entspinnt sich unter afrikanischer Sonne eine muntere Konversation. Der Mann mit dem Tirolerhut erzählt von diesem Aufeinandertreffen in der Savanne.

„Hemingway ist meine Name.“
„Kandisky“, sagte er und verbeugte sich. „Den Namen Hemingway habe ich schon einmal gehört. Wo? Wo habe ich ihn schon gehört? Ach, ja. The Dichter. Kennen Sie Hemingway, den Dichter?“
„Wo haben Sie etwas von ihm gelesen?“
„Im ‚Querschnitt‘.“
„Das bin ich“, sagte ich, hocherfreut. ‚Der Querschnitt‘ ist eine deutsche Zeitschrift für die ich einige Gedichte geschrieben hatte und wo eine lange Geschichte von mir veröffentlicht wurde, Jahre bevor ich etwas in Amerika verkaufen konnte. 

Die beiden Waidmänner fachsimpeln in der afrikanischen Steppe über deutsche Literatur und Autoren. Über Ringelnatz, über Heinrich Mann und über Rainer Maria Rilke. Über Vorzüge, Sympathien und persönliche Aversionen. 

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Nur auf Englisch. Um vielleicht die Zensur zu überlisten? The Man with the Tyrolese Hat. Exemplar Archiv Dr. Stock.

Der Abdruck von Ernest Hemingway Story in Der Querschnitt vom Juni 1936  ist bemerkenswert. Denn der US-Amerikaner steht auf der Schwarzen Liste der Nationalsozialisten, die seit drei Jahren Deutschland eng im Würgegriff halten. Nach der Machtergreifung der braunen Despoten ist Ernest Hemingways Buch In einem andern Land bei den Verbrennungen im Mai 1933 in die Flammen geworfen worden.

Dem Schriftsteller, der nun in Key West lebt, wird vorgeworfen, den Krieg in den Dreck zu ziehen. Als Folge: Ernest Hemingway wird in Deutschland nicht mehr publiziert. So darf die deutsche Ausgabe von Green Hills of Africa in der Nazi-Zeit nicht erscheinen, das Buch wird als Die grünen Hügel Afrikas erst im Jahr 1954 im Hamburger Rowohlt Verlag mit fast 20 Jahren Verzögerung erstverlegt.

Trotz Verbot und Zensur besitzt die Berliner Zeitschrift den Mut, eine Geschichte des Verfemten zu drucken. Herman von Wedderkop, ein Förderer Hemingways, hat im April 1931 als Chefredakteur und Herausgeber abgedankt. Die Zeiten bleiben auch unter neuer Leitung hart. Zu den wirtschaftlichen Zwängen kommt ab 1933 die politische Pression, zu sehr eckt die extravagante Publikation bei den Nazis an. Vier Monate nach der Tirolerhut-Story schlägt die letzte Stunde des Magazins.

Im Oktober 1936 wird Der Querschnitt, zu diesem Zeitpunkt mit einer Auflage von 16.000 Exemplaren, von der Hitler-Diktatur verboten. Wobei Hemingway nicht der direkte Anlass gewesen ist. Bösartig und staatsfeindlich ist den Nazis ein Artikel unter der Überschrift Fremdwörterbuch aufgestoßen. So ist dort der Begriff absurd definiert worden als

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Warum ‚Fiesta‘ ein Juwel der Weltliteratur ist

Fiesta
The Sun Also Rises
So kündigt der Verlag Charles Scribner’s Sons aus New York das Debüt seines Autors Ernest Hemingway für den 22. Oktober 1926 an. Es ist ein Freitag.

Es brauchte seine Zeit, bis ich mit diesem Roman so richtig warm wurde. Als ich das erste Mal Fiesta las, da fand ich die Erzählung lau, bisweilen gar langatmig. Bei der nochmaligen Lektüre, Jahre später, da erlebte ich das Sittengemälde aus den 1920ern durchaus anregend. Und wenn ich heute Ernest Hemingways Debüt zur Hand nehme, dann streckt es mich jedes Mal nieder.

Denn Fiesta – im amerikanischen Original heißt das Werk The Sun Also Rises – ist hohe Kunst. Es vergeht kein Wiederlesen, bei dem ich nicht neue Schmucksteine und Kleinode entdecke. Besonders, wenn es gelingt, sich in den historischen Kontext der Geschichte einzufühlen. Es geht um die taumelnde Zeit zwischen den beiden schrecklichen Weltkriegen.

Ernest Hemingways Fiesta fällt im Oktober 1926 in die Welt der Literatur ein wie einst die Jakobiner in die Paläste der Aristokratie. In der Sprache einfach und volksnah, in Botschaft und Wirkung brachial. Der Erste Weltkrieg hat auch die Kultur zerstört. Es braucht etwas Neues, von Tradition gespeist, ein Neustart mit frischen Werten und Idealen. Ebenso sollte das Themen-Panorama sich öffnen und weiten. Und so geht es in Fiesta um die durch den Krieg verlorenen Sicherheiten und um die Sinnsuche in Zeiten der Orientierungslosigkeit.

Allein der neuartige Stil der Erzählung gleicht einer Revolution: kühl, ohne Schnörkel, alles weit weg von jedem viktorianischen Erziehungs-Habitus. Das Geschehen wird vielmehr durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, auch deshalb passt das Werk zum Autor. Es ist ein glaubwürdiger Blick durchs Schlüsselloch in die unbekannte Welt hinter den Bergen. Die geschwätzige Blümchen-Prosa der Vätergeneration à la Charles Dickens ist mit einem Schlag passé.

Wie geschickt Ernest Hemingway seine Erzähl-Perspektive anlegt, mag man zu Anfang des 12. Kapitels von Fiesta erkennen. Man liest schnell über diese Passage hinweg und bemerkt dadurch die Finesse des Textes nicht.

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So – scheinbar – harmlos fängt das Kapitel 12 von Fiesta an.

Ernesto nimmt uns mit in eine fremde Welt – das wann und wo verrät er hier nicht – und so müssen wir uns selber hineinfinden. Es ist die Zeit nach der Postkutsche und während des Aufkommens der Motorbusse. Wir befinden uns in einem Land am Fuße eines Gebirges, das Ambiente ist bäuerlich, der Ziegenbock springt umher. Der Protagonist steht auf und öffnet das Fenster seines Zimmers, so wie wir nun durch das geöffnete Fenster in die Handlung hinausgeworfen werden. Keine Gefühlsregung wird geäußert, wir müssen uns selber ein Reim auf das Ganze machen.

Unsere Stadt heißt Pamplona. In der nordspanischen Kleinstadt lässt der 27-jährige Hemingway seinen Erstling überwiegend spielen. Mit einem Mal werden die Sanfermines, bis dahin ein lokales Ereignis in einem weitgehend unbekannten Land, mit seinen Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Welt katapultieren. Um die blutige Fiesta herum entwirft der junge Novize ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen.

Die amerikanischen Protagonisten auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen kein Laster aus: Abenteuer, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Fiesta ist ein grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, ein Blick auf die Verlorenheit, die mit viel Schnaps weggetrunken werden möchte. Themen wie Liebe, Sex, Männlichkeit, Exzess und die Suche nach der eigenen Rolle im Leben spielen in dem Roman eine zentrale Rolle.

Durch den Weltkrieg sind die zuversichtlichen Aufbruch-Werte der Belle Époque perdu. Denn die Schlacht ist abscheulich gewesen. Alle Kriege sind grauenhaft, aber dieser war es besonders, wegen seiner Sinnlosigkeit. Wer ist Gegner, wer der Freund? In der Katastrophe zwischen 1914 und 1918 sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück ist man in das Inferno hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie es der australische Historiker Christopher Clark treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Hyperinflation, Reparationen und einer noch größeren Tragödie vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, sehen einem düsteren Jahrzehnt entgegen, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise detonieren wird. Prohibition, Wirtschaftsdepression und die aufkommende Mafia lassen die Zeiten auch in den USA trostlos erscheinen. Die Welt wird in den Abgrund gezogen, es ist eine leidvolle Dekade allerorten. 

Und so wird in The Sun Also Rises aka Fiesta nichts ausgelassen, was zwischen erwachsenen Menschen so passieren kann. Liebeleien, Seitensprünge, Obsessionen, Schlägereien, Saufgelage. Hemingway selbst umschreibt seinen Roman als eine verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen. Ich vermute, Ernesto will eigentlich eins draufsetzen und sagen, wie die ‚Menschheit‘ zugrunde gehen kann.

The Sun Also Rises

The Sun Also Rises heißt das Original. In Europa wird säkular der Titel Fiesta daraus.

Doch wo bleibt die Hoffnung? Der Autor, der in Paris lebt, deutet sie im biblischen Vor-Zitat gleich zu Beginn seines Buches an. Ein Motto des Predigers Salomo als Denkspruch, es wird zum Leitgedanken von Fiesta. Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich. Dieser Rabauke, der nichts auslässt im Leben, liegt in dieser Hinsicht goldrichtig: Eine Generation geht, eine andere kommt. Das Wesen von Blühen und Vergehen. Hier findet man Trost: Auch das Schlechte wird verblühen, so wie das Gute neu gedeiht.

Das Schöne an Hemingways The Sun Also Rises ist, dass er nicht nur die Orientierungslosigkeit und die Dekadenz des Zeitalters beschreibt, sondern zugleich auch einen Lösungsansatz andeutet. Das Hinauswagen auf unbekanntes Terrain, die Unerschrockenheit und die Entdeckerfreude, die Neugier auf eine neue Kultur. Sich das Andersartige und das Fremde anzuschauen. Andere Menschen und ihre Gepflogenheiten wertzuschätzen.

Und darüber hinaus – wo auch immer – die Stille der Natur zu suchen. Ernest beschreibt, wie er seine äußere und innere Ruhe findet in den Ausläufern der Pyrenäen, an den einsamen Bächen rund um das Kloster Roncesvalles. Durch den Kontrast zur lärmenden Fiesta unten im Pamplona geht der Blick nach oben, in die Berge, in die Ruhe und den Frieden. Möglicherweise ganz in der Höhe.

Abermals bestaunen wir den Zwiespalt, der für Hemingways Werk so typisch ist. Auf der einen Seite das desillusionierte Karussell von Laster und Eitelkeiten, das sich um Saufen, Stierkampf, Krieg und Tod dreht. Auf der anderen Seite die Vergötterung der Natur, die anmutigen Bäche in den Pyrenäen-Tälern, wo Jake Barnes, der Protagonist, angelt und Erdverbundenheit sucht.

The Sun Also Rises. Die Fiesta findet irgendwann ihr Ende. Das Blut des Spektakels ist noch

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Goethes ‚Wandrers Nachtlied‘ und Hemingways ‚Best of all‘

Best of all. Sein grandioses Poem ist am Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho, verewigt. Foto: W. Stock, 2018.

Zwei Titanen der Literatur. Zwei Poeme. Die Gemeinsamkeiten sind verblüffend. Zunächst Wandrers Nachtlied aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe. 

Über allen Gipfeln
Ist Ruh‘,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.

Dieses Gedicht hat Goethe am 6. September 1780 mit Bleistift geschrieben an die Holzwand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn, einem Berg bei Ilmenau in Thüringen. Ein Klassiker der europäischen Lyrik.

Dagegen, nein, vielmehr Hand in Hand, der Zwilling aus der neuen Welt. Best of all von Ernest Hemingway. Aus dem Jahr 1939.

Best of all he loved the fall
The leaves yellow on the cottonwoods
Leaves floating on the trout streams
And above the hills the high blue windless skies
…Now he will be a part of them forever

Als Bestes von allen liebte er den Herbst,
das gelbgefärbte Laub der Pappelbäume
Blätter, die auf den Forellenbächen treiben
Und über den Hügeln der hohe blaue windstille Himmel
…Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein

Das gleiche Thema. Der Mensch und seine Vergänglichkeit. Bei Goethe wie auch bei Hemingway. Mit jeweils einem apodiktischen Ausklang. Verse, die an die Endlichkeit erinnern. Zugleich ein Poem über die Kraft der Natur. Philosophische Gedanke über die Stellung des Menschen im Kosmos. 

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In beiden Gedichten wird die Zwangsläufigkeit von Werden und Vergehen beschrieben. Die Vehemenz der Natur ist stärker als alles andere. Goethes Wanderer erreicht seinen Ruhepunkt. So wie alle Menschen sich der Natur zurückgeben müssen. Irgendwann. Warte nur! Balde ruhest du auch. Die gleiche Einsicht bei Hemingway. Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein.

Wenn man beide Poeme aufmerksam liest, dann erkennt man, dass man die Botschaft des Mannes aus Chicago, Ernest Hemingway, und des Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe übereinander legen kann. Aufbau, Tonalität und Botschaft ähneln sich.

Eine fast religiöse Demut nimmt man bei beiden Dichtern wahr. Eine Sehnsucht nach dem

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Ernest Hemingway: Anmerkungen über den nächsten Krieg

Im September 1935 veröffentlicht Ernest Hemingway in Esquire einen langen Artikel gegen den Krieg: Notes on the Next War.

Ernest Hemingway – ein Bellizist? Ein Anhänger und Befürworter des Krieges? Solch dicke Klischees finden sich zuhauf in den Abhandlungen über den Nobelpreisträger von 1954. Ist der Mann vom Michigan See allen Ernstes ein Kriegsjubler?

Allein sein Kriegsbuch In einem andern Land aus dem Jahr 1929 ist in Wirklichkeit ein Anti-Kriegsbuch. A Farewell To Arms heißt es im Original, in dem Hemingway seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg verarbeitet. Und genau aus diesem Grund haben die Nazis den Roman bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 in die Flammen geworfen.

Wenn man gründlich durch das umfangreiche Werk des Ernest Hemingway stöbert, fällt dem Leser so manches Glanzstück in die Hände. So ein langer Artikel  im US-Monatsmagazin Esquire aus dem September 1935. Notes on the Next War, heißt der Aufsatz. Anmerkungen zum nächsten Krieg. Es ist ein bislang wenig beachteter Essay des Schriftstellers. Und – obwohl der Text bald 90 Jahre alt wird – bleibt dies ein Werk von beklemmender Aktualität. 

Kriege werden nicht mehr aus wirtschaftlichen Interessen geführt, falls überhaupt, obwohl dies eine einfache Erklärung dafür ist. Vielmehr werden heute Kriege allein von Männern, Demagogen und Diktatoren geplant oder angezettelt, die mit dem Patriotismus ihres Volkes schamlos Schindluder treiben. Mit dem Ziel, die Menschen auf den großen Irrweg des Krieges zu leiten, nachdem ihr sonstiges Regierungshandeln auf immer mehr Proteste gestoßen ist.

Ernest Hemingway, er hat zuvor sieben Jahre in Paris gelebt, kennt sich aus in Europa. Schurken gibt es genug. Francisco Franco, Benito Mussolini, Adolf Hitler. Dem Italiener Mussolini ist er persönlich begegnet, er hat ihn interviewt. Und die beiden anderen? Er wird sie über den Krieg kennenlernen. Der Mann aus Chicago wird aus der Nähe das Leid sehen, dass General Franco und Hitler über die Jahre anrichten werden. Zeit für romantische Verklärung bleibt da keine. 

Früher hieß es, es sei süß und ehrenvoll, für sein Vaterland zu sterben. Aber der moderne Krieg ist weder schön noch voller Ehre, schon gar nicht, um darin zu sterben. Im Gefecht verreckst du wie ein Hund, ohne vernünftigen Grund. 

Die klare und deutliche Sprache des Amerikaners lässt wenig Spielraum. Ernest Hemingway positioniert sich eindeutig gegen den Krieg. Der Krieg ist kein sportlicher Wettstreit, wie er als Jugendlicher vielleicht geglaubt hat, sondern ein

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Die 10 besten Kurzgeschichten von Ernest Hemingway

Platz 10 – Up in Michigan
Oben in Michigan. Ernest Hemingways erste Kurzgeschichte aus dem Jahr 1921. Der Schmied Jim Gilmore trifft auf seine Flamme Liz Coates – es fliegen die Funken. Und endet schlimm.
« von 10 »

Wie schreibt man eine gute Kurzgeschichte? Keinen Absatz mit mehr als 25 Wörtern, meint dieser Schriftsteller. Das sei der beste Tipp, den er in der Redaktion des Kansas City Star als Anfänger bekommen habe. Und Ernest Hemingway erzählt von seinen ersten Schritten als Journalist. Wie er direkt nach der Oak Park High School im Jahr 1917 als Achtzehnjähriger auf Vermittlung eines Onkels eine Laufbahn als Lokalreporter bei der Tageszeitung in Kansas City begonnen hat, wo er dann sechs Monate geblieben ist.

Kurze Sätze, Leute, kurze Sätze. Nur in der Genauigkeit liegt die Wahrheit. Geht achtsam mit der Sprache um, verkneift euch all die Schlenker und Abstecher. Beim Kansas City Star hat man den Novizen am ersten Arbeitstag ein Style Book in die Hand gedrückt. Dies sei kein Stil-Buch gewesen, sondern ein bedrucktes Blatt Papier, auf dem die eisernen Regeln gestanden haben, wie man bei der Tageszeitung die Texte zu formulieren hat.

Im ersten Abschnitt ist zu lesen: Schreibe ein kräftiges Englisch! Dann: Sei positiv, nicht negativ! Und: Lasse alles Überflüssige weg! Das war keine schlechte Schule für meine Geschichten, erklärt der Nobelpreisträger, es sei eine ausgezeichnete Anleitung gewesen, um sich einen guten Schreibstil anzueignen. Sprachliche Knappheit, das ist wie eine blutige Revolution, denn das Unnütze muss abgesäbelt werden. Die Wahrheit liegt genau dort. Kurze Sätze und auf den Punkt. 

Die einfachen Regeln, die dem unerfahrenen Reporter beim Kansas City Star eingebläut werden, dienen fortan als Grundierung von Hemingways Texten. Im Dezember 1921 siedelt Ernest mit Ehefrau Hadley nach Paris über, für sechs Jahre. Hier kommt der US-Amerikaner mit französischen Literaten in Berührung, die bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Vor allem fasziniert ihn Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal und Marcel Prousts Großroman À la recherche du temps perdu. Die filigrane Kunstfertigkeit der französischen Prosa und Lyrik bestärkt ihn in der Wichtigkeit des le mot juste, des richtigen und treffenden Wortes. 

In dem literarischen Salon von Gertrude Stein in der Rue de Fleurus 27 perfektioniert der wissbegierige Kerl aus den Vereinigten Staaten seinen journalistischen Romanstil. Vor allen Dingen vervollkommnet er in Paris den hochraffinierten Effekt seiner Handwerkskunst: Ernest Hemingways Wörter und Sätze klingen eingängig und nahezu harmlos, die tiefere Bedeutung hinter dem Geschriebenen erweist sich jedoch als komplex und vielschichtig.

Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein guter Autor mit eigenem Stil, sondern auch ein sprachlicher Erneuerer. Seine Art zu schreiben, ist unverbraucht. Seine Sätze klingen frisch, ebenso wie seine Themen nicht gedrechselt wirken. Ernest Hemingway besteigt die Bühne der Literatur wie ein sehnlichst herbeigewünschter Revolutionär, er wird zum Schrittmacher, der einer verunsicherten Generation eine neue Sprache und ein neues Selbstbewusstsein gibt.

Der Stil seiner Geschichten wird wegweisend: Kühl reiht der US-Amerikaner Beobachtung an Beobachtung und Dialog an Dialog. Bisweilen wirkt seine Beschreibung der Details arg

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Ernest Hemingway: Verirrungen im Garten Eden

Ernest Hemingway: Der Garten Eden. Erschienen 1986, posthum.

Auf jeden Fall scheint Ernest Hemingways Liebesleben ein wenig über die gutbürgerliche Ambition hinaus zu gehen. Vier Ehefrauen kreuzen seinen Weg, von den Dutzenden Liebschaften gar nicht zu reden. Der Mann steht von morgens bis abends unter Starkstrom, literarisch, hochprozentig und noch mehr, wenn es um Frauen geht.

Allein sein posthum veröffentlichter Roman Der Garten Eden bietet sich als eine Fundgrube in dieser Hinsicht an. Diese Erzählung ist übervoll an Erotik und Sexualität, er schreibt die letzten 15 Lebensjahre an den Entwürfen, wagt aber nicht, sie seinem Verleger zu übergeben.

Das Werk wird schließlich unter viel Tamtam ein viertel Jahrhundert nach seinem Ableben veröffentlicht. Der Garten Eden erweist sich als ein seltsames Buch, weil der moderne Klassiker Ernest Hemingway versucht, in die Post-Klassik einzutreten. Dieser Versuch misslingt gründlich, vor allem weil der Stoff nicht wie sonst üblich aus dem Selbsterlebten resultiert, sondern der reinen Phantasiewelt entsprungen ist. Sozusagen ein Anti-Hemingway. 

Der Plot von Der Garten Eden bleibt wirr: Zusammen mit seiner Frau Catherine verbringt der trinkfeste US-Amerikaner David Bourne in den 1920er Jahren die Flitterwochen in Südfrankreich. Doch innerlich ist der Hauptdarsteller in der Krise. Als Schriftsteller, als Mann, als Liebhaber. Verzweifelt probiert das Ehepaar Neues aus, seine Frau und die Geliebte Marita kitzeln ihn hin zu allerlei erotischen Abenteuern. 

Sein ganzes Leben lang hat Ernest Hemingway von den Kollegen und der Kritik sich Tausende Vorwürfe anhören müssen. Er zeige keine Empathie für die sozialen Nöte der Arbeiterschaft, werfen ihm die Linken vor. Politisch sei er ein leicht zu beeinflussender Einfaltspinsel, meinen die Rechten. Er habe keinen blassen Schimmer von den Problemen des modernen Großstadtlebens, maulen die Großstadtkritiker. 

Der Nobelpreisträger, er lebt zurückgezogen auf einem tropischen Refugium nahe der kubanischen Hauptstadt Havanna, wurmt besonders der letzte Vorwurf. Der Alte möchte nicht alt dastehen. Deshalb versucht Ernest, ein modernes Buch zu schreiben. Hemingway haut alles raus, was an erotischer Verkrampfung in ihm drin steckt. Rollentausch, Lesbiertum, Homosexualität, ménage à trois. Alles narzisstische Identitäts-Phantasien eines Mannes in der Midlife-Krise, aber eben auch alles nicht persönlich erlebt.

Doch der alternde Autor sucht ein Ventil für seine Ängste und muss sich mal kräftig auskotzen: Wie im Delirium faselt der Meister von Androgynie, von Partnertausch und sonst was. Catherine und David schneiden sich die Haare kurz, das Männliche und das Weibliche verschwimmen. Mr. Scrooby, so nennt er sein bestes Stück, führt ihm diesmal die Feder, wo es sonst seine doch so geniale Beobachtungsgabe gewesen ist.

Tom Jenks, ein Lektor bei Hemingways Hausverlag Scribner’s, hat in New York das Buch aus über 1.500 Manuskript-Seiten zusammen gebastelt. Man merkt dem Werk das schlechte Karma an. Es zeigt die üblichen Schwächen eines nachgelassenen Manuskriptes: Hemingways Vorlagen werden gekürzt, auch erweitert und schließlich wird das Ganze durch den Fleischwolf gedreht.

Die Aficionados erkennen ihren Meister nicht wieder. Inhalt, Stil und vor allem die Seele der Erzählung sind meilenweit entfernt von seinen Meisterwerken wie Schnee auf dem Kilimandscharo oder Der alte Mann und das Meer. Bei einem Blindfold-Test würde der Leser mit Lachkrämpfen sich auf dem Sofa krümmen. Der Verlag und die Erben lassen den Nobelpreisträger auf voller Linie in sein Unglück rennen, nur weil irgendwer ein Geschäft wittert. 

Zum Glück kriegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum nichts mit von dem ganzen Fiasko. Denn wirklich alles in Der Garten Eden geht schief. Die Sätze lesen sich wie abgedroschenes Stroh, die einst vortrefflichen Dialoge laufen ins Leere. Die feine stilistische Prägnanz des Maestros plumpst hinab in einen banalen Manierismus. Von der ersten bis zur letzten Seite meint man, die Parodie in Händen zu halten.

Das schöpferische Feuer, das seinen Erstling The Sun Also Rises im Jahr 1926 so ausgezeichnet hat, verpufft 60 Jahre später, weil der prominente Autor nicht

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Ernest Hemingways bittersüße Lebensbeichte: Pariser Schurkereien

Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben.

Ab Herbst 1957 beginnt der Schriftsteller auf Kuba seine Arbeit an den Pariser Skizzen, wie er das Manuskript zunächst nennt. Nach der Übersiedlung in die USA im Jahr 1959 befasst der Nobelpreisträger sich in seinem neuen Wohnort Ketchum weiter mit den Fragmenten aus Paris und aus Schruns. Es ist das einzige Manuskript an dem der hinfällige Autor arbeitet, er will die schönen 1920er Jahre festhalten, denn er ahnt, was da kommen wird.

In den letzten Lebenswochen schreibt er sich den Kummer von der Seele, er versetzt sich zurück in die heitere Welt seiner sechs Pariser Jahre, in die Winterurlaube im Vorarlberg und ein letztes Mal huldigt der schwerkranke Ernest seiner großen Liebe. Der Unmut über den eigenen Fehltritt brodelt in ihm.

Das Werk wird erst nach seinem Ableben veröffentlicht, redigiert von seinem engen Freund A. E. Hotchner. Im Jahr 1964 erscheinen, gegen den erbitterten Widerstand seiner letzten Frau Mary, die Erinnerungen unter dem Titel Paris – Ein Fest fürs Leben. Von einem alternden Mann geschrieben, die eigene Endlichkeit vor Augen, erinnert die gemütvolle Erzählung mit Melancholie an die unbekümmerten Monate in Europa.

Trotz allen Frohmuts kann man das Buch zugleich als eine Art bittere Lebensbeichte des sterbenskranken Ernest Hemingway lesen. In Paris – Ein Fest fürs Leben breitet er seine Seele aus, wie in keinem anderen Werk. Die Erzähl-Fragmente lesen sich wie eine Liebeserklärung an Paris, an die mitreißende Zeit, von Ende 1921 bis Frühjahr 1928 wohnt er mit Hadley in der quirligen Metropole an der Seine.

Es sind zugleich seine Anfänge als Schriftsteller, das kreative Aufbegehren der verlorene Generation, ein Umsturz in Literatur, Malerei und Architektur, der in der Moderne münden wird. Man spürt in Paris – Ein Fest fürs Leben die beglückende Atmosphäre, die Paris in jenen Jahren so auszeichnete. In allererster Linie jedoch sind die Episoden aus Paris und aus dem Montafon eine Liebeserklärung an seine Hash.

An Hadley, jene Frau, für die er wohl das tiefste Gefühl empfunden hat und jene, die ihn bedingungslos geliebt hat. Sein erstes großes Werk The Sun Also Rises widmet er seiner ersten Ehefrau und dem Sohn. Hadley und John Hadley Nicanor zugeeignet. In Europa heißt der Roman Fiesta, es wird 1926 sein Durchbruch. Mit einem Mal ist er ein Popstar.

Wie kein anderer Mensch hat Hadley an ihn geglaubt, damals, als er noch ein kleines Licht gewesen ist in der bescheidenen Wohnung in der Rue Cardinal-Lemoine. Und sie hat ihn aufgebaut, wenn von den amerikanischen Verlagen eine Ablehnung nach der anderen in Paris eintrudelte. Diese wunderbare Liebe schlägt Ernest Hemingway im winterlichen Vorarlberg eigenhändig tot, mausetot.

Von seiner Seite ist es eine kaltschnäuzige Schurkerei, die ihn selbst bis zu seiner letzten Stunde als seelische Verwundung umtreiben sollte. Und er weiß, dass er das Desaster ganz alleine verbockt hat. Ich war es, der die Schuld daran auf sich nehmen und besitzen und verstehen musste. Hadley, die Einzige, die keinerlei Schuld daran trug, kam am Ende gut aus der Sache heraus und heiratete einen viel besseren Mann, als ich je gewesen war oder jemals zu sein hoffen konnte…

Doch der übermütige Ernest, berauscht vom sich andeutenden Erfolg als Buchautor, kann die

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Der Mann, der die Sonne umarmen will

Die US-amerikanische Erstausgabe von The Sun Also Rises.

Im Winterurlaub in Schruns legt Ernest Hemingway letzte Hand an sein Erstlingswerk. Er hat mit dem Roman über eine Spanien-Reise Ende Juli 1925 in Valencia begonnen und ihn im September in Paris fertiggestellt. Im April 1926 endlich lässt er das Manuskript seinem Lektor Max Perkins in New York zukommen.

Das Werk erscheint in den USA bei Scribner’s im Oktober 1926 unter dem Titel The Sun Also Rises, ein Jahr später wird der Londoner Verlag Jonathan Cape das Werk unter dem Titel Fiesta publizieren. Mit einem Mal ist der 27-jährige Mann aus Chicago eine Größe bei Leser und Kritik.

Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein wirklich guter Schreiber mit eigenem Stil, sondern darüber hinaus auch ein sprachlicher Erneuerer. Seine Art zu schreiben, ist unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und freiheraus. Während andere zeitgenössische Autoren weiterhin eine gespreizte Stilistik pflegen, kommt dieser Ernest Hemingway geradlinig zur Sache. Auch seine Themen scheinen nicht gedrechselt, sondern wie ein entstaubtes Abbild der konfusen Nachkriegswelt mit ihren geplatzten Träumen.

Ernest Hemingway klingt wie ein Revolutionär, wie der erste, der einer neuen Generation eine neue Sprache gibt. Seine Herangehensweise ist eine Mischung aus Realismus und Neugier, der Blick geht endlich wieder über den Tellerrand. Nach Weltkrieg und Wirtschaftskrisen ist man des Eiapopeias der Väter und Großväter überdrüssig. Ein neues Zeitalter wird eingeläutet. Die Blümchen-Prosa des Charles Dickens und seiner Adepten sieht mit einem Schlag arg alt aus.

Hemingways Schreibstil ist in der Tat wegweisend: Kühl reiht der Amerikaner Beobachtung an Beobachtung und Dialog an Dialog. Die Lakonik der Beschreibung und die Dürre der Dialoge erzeugen einen geschickten Spannungsbogen in den Subtext. Die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze wird typisch für viele Autoren der Lost Generation. Sie bauen Dialoge, die von sprachlicher Kargheit geprägt sind, denn die enttäuschten Romanfiguren breiten ihre Gefühle nur ungern aus. Man ahnt jedoch Schlimmes.

The Sun Also Rises hat Ernest Hemingway seinen ersten Roman überschrieben, merkwürdigerweise spielt er damit auf eine Bibelstelle an. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Im Alten Testament wird Kohelet – die Lutherbibel führt es unter dem Titel Der Prediger Salomo – als Buch der Weisheit betrachtet. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe, steht in Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. 

Die Sonne geht auf und wandert nach dem Tag an den Platz ihres Wiederaufstiegs. So lautet das Regelwerk unseres Kosmos. Die Sonne wird bleiben, und

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Die 10 besten Bücher von Ernest Hemingway

1935
Platz 8: Ein Mann liebt Afrika. Eine Safari mit zahlreichen Seitenblicken. Nach Paris. Und auf deutsche Dichter.
« von 10 »

Die 10 besten Bücher? Dabei ist es viel mehr. Literarisch ist dieser Mann nicht kleinzukriegen, weil die Melodie und der Rhythmus seiner Texte die Gefühlslage vieler Lesergenerationen auf den Punkt genau getroffenen hat. Und noch etwas Ungewöhnliches kommt hinzu: Dieser Literat hat zudem, wie ein Popstar unserer Tage, ein kunterbuntes Leben vorzuweisen. 

Nun kann man seine Person von seinem Werk nicht trennen. Dieser Mann lebt wie eine seiner Romanfiguren und er stirbt auch so. William Faulkner, der Nobelpreis-Kollege, meint denn, wohl ein wenig neidisch: „Den wenigen, die ihn gut kannten, war er als Mann fast so viel wert wie die Bücher, die er geschrieben hat.“

Auf den einen oder anderen Beobachter, insbesondere auf Frauen, mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego manchmal aufgeblasen wirken, wie der Idealtypus eines Macho-Mannes. Kriegsreporter, Schürzenjäger, Schnapsbruder, dieser Kerl tut einiges für sein Image. Aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Aufschneider. Verletzungen hat er zuhauf erlitten, er selbst ist kein Unschuldslamm, die Narben seiner Seele versucht er mit starken Sprüchen zu verbergen. 

Die Qualität seiner Werke ist unbestritten. Selbst bei seinen Kritikern gilt Hemingway als ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber. Dieser Autor muss um seinen Ruhm kämpfen wie ein Löwe, ihm ist nichts in den Schoß gefallen, nicht in der Literatur und auch nicht

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Die bunte Welt der Hemingway-Briefe

The Letters of Ernest Hemingway bei der Cambridge University Press.

Es ist ein Vorhaben, das mir jede Menge Respekt abringt. The Hemingway Letters Project. Eine Sammlung aller Briefe des Ernest Hemingway. Auf voraussichtlich 17 Bände ist das mehrjährige Buchprojekt angelegt. Alle Ausgaben mit Hunderten von Seiten, allein der Band Nummer 4 ist ein Ziegelstein von gut 800 Seiten.

Ernest Hemingway, wir wissen es, hat die schönste Prosa weit und breit geschrieben, dieser Schreiber hat das 20. Jahrhundert mit wunderbaren Romanen und lakonischen Kurzgeschichten bereichert. Auch ein wenig Poesie, seltsame Gedichte und anstößige Verse, sind von ihm bekannt, wir legen gütig den Mantel des Schweigens darüber. Was die wenigsten wissen: Der Nobelpreisträger von 1954 ist auch ein enorm fleißiger Briefeschreiber gewesen.

Etwa 6.000 Briefe von ihm sind bekannt, 85 Prozent davon bisher nirgends veröffentlicht. Die Cambridge University Press unternimmt die Kraftanstrengung, diese umfangreiche Korrespondenz als Sammel-Edition nach und nach herauszugeben. Das Projekt zählt auf die Unterstützung der Ernest Hemingway Foundation and Society, auch der letzte noch lebende Sohn, Patrick in Montana, hat seinen Segen erteilt. Alle zwei Jahre soll ein neuer Band erscheinen. Irgendwann, so gegen 2050 dürften dann, wenn Gott will, alle Hemingway-Briefe veröffentlicht sein. 

Ernest Hemingway (1899-1961) hat von Kindesbeinen an geschrieben, sein erster Brief datiert von Anfang Juli 1907, da ist der Knirps gerade einmal sieben Jahre alt. Es ist eine Notiz an den geliebten Vater Clarence. Dear Papa, I saw a mother duck with seven little babies. Er habe eine Mutterente gesehen, mit sieben kleinen Babies. Dieses Dokument eröffnet den Band 1, mittlerweile hat man sich vorgerobbt bis zu Band 5, der die Jahre von 1932 bis 1934 abdeckt. 

Sandra Spanier von der Pennsylvania State University koordiniert dieses aufwändige wie schwierige Vorhaben. Ein Team aus dem US-amerikanischen Uni-Betrieb steht dahinter, in sorgsamer Herangehensweise und mit tüchtigen Händen. Die Bände erfüllen höchste akademische Ansprüche, jede Seite wird mit akribischen Fussnoten versehen, ebenso finden sich bibliographische Hinweise und übersichtliche Zeittafeln.

Das Vorhaben ist ehrenwert. Denn die Briefe des Ernest Hemingway sind nicht irgendein belangloses Geschreibsel oder kurze Grüsse aus der Ferne. Nein, Ernest Hemingways Briefe beinhalten den Austausch mit der Familie und den Freunden, Zwiegespräch mit den Kollegen oder Mitteilungen an Geschäftspartner. Jeder Brief kommt mir vor wie ein winziges Puzzle-Teil, das sich mit der Zeit zu einem umfassenden Psychogramm dieses Menschen zusammensetzt.

Ernest Hemingways Korrespondenz zeugt von Disziplin und Ehrgeiz. Jeder einzelne Brief ist persönlich auf den Empfänger zugeschnitten und originell formuliert von diesem Literatur-Giganten. Aber Obacht: All die Briefe-Konversation ist bisweilen ein Tick schärfer, frecher und vorlauter als er sich dies in seiner Prosa hat erlauben können.

Dieses voluminöse Projekt zeigt, welch emsiger (Briefe-) Schreiber dieser Schnapsbruder aus Oak Park gewesen ist. Etwa 6.000 Brief auf 40 Erwachsenenjahre umgelegt, bedeuten 150 Briefe pro Jahr. Man fragt sich, wo da die Zeit bleibt zum

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