Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

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Ernest Hemingway im ‚Café de Flore‘ von Paris

Café de Flore Paris
Das Café de Flore steht für die Lebenslust in Paris. Irgendwie fühlt es sich an wie das Wunsch-Entree zum Himmelreich. Foto: W. Stock.

In Frankreich wird der junge Ernest Hemingway in einen Kontrastkosmos geschleudert. Das bigotte Vorstadt-Leben von Chicago hinter sich lassend, verwandelt sich der 22-jährige Amerikaner schon nach wenigen Tagen in Saint-Germain-des-Prés zum prächtigen Bonvivant. Der Korrespondent des Toronto Star genießt die aufregende Zeit als Reporter und die angenehmen Seiten als Flaneur. Alles geschieht mühelos, ohne eigenes Zutun, in Paris wird man wie von Zauberhand hineingeworfen in ein Paradies der Lebenslust.

Die Metropole an der Seine ist in den 1920er Jahren für einen Burschen, der in der calvinistischen Enge des amerikanischen Mittelwestens aufgewachsen ist, ein diesseitiger Vorgeschmack auf alle Sinnenfreuden. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition seit geraumer Zeit die gute Laune verderben, hocken die aus dem Land vertriebenen Intellektuellen in den Pariser Straßencafés und nippen an einem roten Cabernet Sauvignon.

Das Café de Flore befindet sich im quirligen 6. Arrondissement, im südlichen Rive Gauche, genau gegenüber von der Brasserie Lipp. Das Flore, 1887 gegründet, ist eines der ältesten Kaffeehäuser der Stadt. Seinen Namen verdankt es einer Skulptur der Blumen-Göttin Flora, die auf der anderen Straßenseite stand. Im Flore hielt Jean-Paul Sartre im Oktober 1964 eine Pressekonferenz ab, in der er die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an ihn ausschlug.

Jeder Künstler, der etwas auf sich hält, ist hier gewesen. Simone de Beauvoir, Jean Cocteau, Boris Vian und Romain Gary. Auch Ernest Hemingway klebt in einer Vitrine am Treppenaufgang zum oberen Stockwerk. Neben einem Foto der Schauspielerin Simone Signoret. Die Liste der Stars und Sternchen ist lang. Für Karl Lagerfeld, der um die Ecke gewohnt hat, ist es ein zweites Wohnzimmer gewesen.

Das Café de Flore kommt daher wie ein Künstler-Café in reinster Form, mit bequemen Jugendstil-Sesseln, braun gepolsterten Sitzbänken und feinen Fin de Siècle-Deckenleuchten. Die Kellner tragen weiße Schürzen und schwarze Westen, dazu eine dunkle Fliege. Alles liegt in einem angenehmen Bereich. Das Ambiente, die Speisen, die Preise, die Bedienung. Alles schön und gut, es haut einen nicht unbedingt vom Hocker.

Der Café au lait, nun ja, guter Durchschnitt. Das Gebäck und der Kuchen liegen auf dem Niveau einer tüchtigen Dorfbäckerei. Alles nicht unbedingt im Mittelmaß, zugleich aber keine Sternstunde. Speise und Trank kann also die Reputation dieser Lokalität nicht ausmachen. Es muss mehr dahinter stecken. Und so ist es. Das Café de Flore wird umweht von einem Geheimnis.

Denn dieser Schauplatz ist weit mehr als eine Örtlichkeit fürs Trinken und Essen. Es ist ebenso eine Wirkungsstätte zum in sich kehren, zum Kraft tanken, ein Ort, um sich der Freunde zu versichern. Wir betreten am Boulevard Saint-Germain Nummer 172 ein Basislager des suchenden Menschen, einen Sehnsuchtsort, um unsere Mitte und den Frieden zu finden, und die Rolle im kleinen Leben.

Café de Flore
Paris
Selbst der Gang auf die Toilette wird im Café de Flore mit Kunsthandwerk aus dem Jugendstil gefördert. Foto: W. Stock.

Irgendwie kommt einem dieses Kaffeehaus vor wie ein heiliger Ort. Wie eine Stätte, die Zuflucht gewährt, die Zuversicht und Inspiration ausstrahlt. Im Grunde ist das Café de Flore ein sakraler Tempel wie die Kirchen und Kapellen in seiner Heimat. Schutzort und notwendiger Stützpunkt in stürmischen Zeiten. Unantastbare Plätze. Viele dieser Lokalitäten in Saint-Germain-des-Prés sehen deshalb heute noch so aus wie damals.

Dieses Kaffeehaus steht – pars pro toto – für die Stadt, die es beherbergt. Das Café de Flore dient als Synonym für Paris. Doch wie so oft bei Ernest Hemingway, man  muss einen zusätzlichen Schritt wagen, denn er sagt es nicht frei heraus. Eine Bar wie diese steht für Lebensfreude und Erleuchtung. Im Grunde genommen postieren die Gaststätten sich als

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Ein unbeschriebenes Blatt – Wer Ernest Hemingway als Autor wirklich entdeckte

Der Querschnitt
Ernest Hemingway
Das Berliner Magazin Der Querschnitt ist das erste große Medium, das eine Erzählung von Ernest Hemingway veröffentlicht. Vor allen anderen. Im Juni 1925. Foto: Archiv Dr. Stock.

Vor genau hundert Jahren – im Sommer 1925 – druckte ein Berliner Kulturmagazin die Kurzgeschichte eines völlig unbekannten US-Schriftstellers. Es sollte der Auftakt eines rasanten Aufstiegs werden. Der Name des Neulings: Ernest Hemingway.

Von Wolfgang Stock

Deutschland zu hassen, dafür gäbe es auf Ernest Hemingways Lebensweg genug Anlässe. Nach Machtübernahme der Nazis kommt der US-Autor auf die Schwarze Liste, im Mai 1933 wird sein Anti-Kriegs-Buch In einem andern Land öffentlich verbrannt. Als Reporter im Spanischen Bürgerkrieg erlebt er das gnadenlose Bombardement der Legion Condor gegen die einheimische Zivilbevölkerung. In den Vogesen wird im Oktober 1944 sein ältester Sohn von der Wehrmacht festgenommen und ein halbes Jahr im Kriegsgefangenenlager Moosburg an der Isar inhaftiert. Dem blanken Horror begegnet der Amerikaner dann im Winter 1944, wenige Kilometer hinter der Front im Hürtgenwald, wo in den dichten Wäldern der Nordeifel eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs stattfindet.

Kaiser Wilhelm, Hitler, die Nazis – die Krauts zu verabscheuen, das müsste dem Autor aus Oak Park bei Chicago eigentlich leichtfallen. Doch Ernest Hemingway hasst Deutschland und die Deutschen nicht. Vor allem aus einem Grund, ein Mensch verhindert dies. Sein Name: Hermann von Wedderkop. Von Freunden Weddo gerufen. Heute ist dieser bedeutende Medienmann der Weimarer Republik fast vergessen. Wedderkop ist wunderbar. Sie zahlen mir 550 Francs, jubelt in Paris der junge Autor im Januar 1925. Er kann das Geld aus Berlin gut gebrauchen.

Seit Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Metropole an der Seine, es sind beschwerliche Lehrjahre für den ambitionierten Journalisten. Mühsam hält der junge Vater, Sohn John wird 1923 geboren, seine dreiköpfige Familie über Wasser. Ein kleiner Erbschaftsfonds von Ehefrau Hadley verhindert das Schlimmste. Vor kurzem hat er seinen einträglichen Vertrag als Europa-Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star gekündigt, Ernest Hemingway geht voll ins Risiko. Der Sohn eines Arztes hat einen Traum: Er möchte Schriftsteller werden.

Paris ist in jenen Jahren eine Weltstadt im Aufbruch. Literaten, Maler und Musiker auf der Suche nach neuen Ideen zieht es nach Saint-Germain-des-Prés oder zum Boulevard du Montparnasse, wo im Café de Flore oder Le Dôme die Freude am Dasein ausgelebt wird. Einem jungen Amerikaner, der mit den calvinistischen Werten des Mittleren Westens aufgewachsen ist, muss Rive Gauche vorkommen wie eine Pforte ins Himmelreich. Autoren, die berühmt werden wollen, gibt es zur Genüge in der Stadt an der Seine. Zwar hat der Mittzwanziger, Hemingway ist vom Jahrgang 1899, bereits in zwei Pariser Kleinstverlagen veröffentlicht, doch sind diese Schriften eher Privatdrucke seiner Expat-Freunde Robert McAlmon und Bill Bird. Von seinem Erstling Three Stories and Ten Poems kommen 1923 gerade einmal 300 Exemplare in Umlauf. Ernest hält Ausschau nach einem zahlungskräftigen Verlag, doch der bleibt weit und breit nicht auszumachen.

Der Traum vom Erfolgs-Schriftsteller

Ernest Hemingway erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Ablehnung nach der anderen. Seine Frau versucht, ihn wieder aufzurichten. Hadley glaubt an mich und das ist mehr als genug, um den Schmerz der Absagen zu überbrücken. Das Schreiben der Stories ist schon schwer genug gewesen, aber noch schwerer war, dass sie abgelehnt wurden. In seinem Heimatland findet er kein Periodikum, das seine Kurzgeschichte über Spanien drucken will. Damit hat er nicht gerechnet. Jede angesehene Zeitschrift und auch die verrufenen Magazine haben die Stierkampf-Story abgelehnt. Es sei eine großartige Geschichte, aber sie können sie nicht veröffentlichen, erklärt der Newcomer resigniert in einem Brief. Die Story sei zu hart für die Leser. Voller Zweifel beginnt Hemingway, sich als Autor in Frage zu stellen. Den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen erste Depressionsschübe.

Nach vielen Tiefschlägen trifft in Paris endlich eine Zusage ein. Zur Überraschung kommt das Angebot nicht aus den USA, sondern aus Deutschland. Hermann von Wedderkop, der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt, will die Torero-Erzählung veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz seinem Freund Harold Loeb. All mein Zeug werde demnächst erscheinen, sagt er. Persönlich treffen sich Hermann von Wedderkop und der junge Amerikaner dann am 9. Oktober 1924, im Pariser Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Ernest zeigt sich angetan von dem 24 Jahre älteren Deutschen. Der Kerl ist zu gut, um sich lange halten zu können.

Die Kulturzeitschrift mit dem seltsamen Namen Der Querschnitt erscheint seit 1921 in Berlin. Gegründet hat sie der Kunsthändler Alfred Flechtheim, zunächst als Mitteilungsblatt seiner Galerie. Mitte der 1920er Jahre reiht der Großverleger Hermann Ullstein das Magazin in seinen Propyläen Verlag ein, das Erscheinen wird auf Monatsrhythmus erhöht, die Druckauflage steigt auf 20.000 Exemplare. Jeden Monat überrascht Der Querschnitt mit einem snobistischen Scharfblick auf Kunst, Literatur und Gesellschaft. Dazu hier und da ein ästhetischer Akt, in weiblicher oder männlicher Ausprägung. Als Chefredakteur und Herausgeber entwickelt der Autodidakt Hermann von Wedderkop die kleinformatige Gazette zur vielbeachteten Avantgarde-Zeitschrift in der Weimarer Republik.

Ein wunderbarer Kerl aus Berlin

Zunächst druckt Der Querschnitt im Herbst 1924 einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann. Der US-Amerikaner zeigt sich begeistert von dem Berliner Zeitgeist-Magazin. Sie behaupten, sie würden alles kaufen, egal, was ich schreibe. Ich fürchte, Von Wedderkop ist verrückt. Aber er ist ein wunderbarer Kerl. Und solange Von Wedderkop nicht gefeuert wird, bin ich im Geschäft, schwärmt Hemingway in einem Brief aus den Winterferien in Schruns im Januar 1925. Sein Hang zur Großsprecherei prägt sich schon damals aus: In Deutschland bin ich als der junge amerikanische Heine bekannt.

Oft macht er sich lustig über seinen Verleger, es ist ein gutes Zeichen. Wedderschnitt, persifliert Hemingway den Namen des Chefredakteurs liebevoll, der Wedderschnitt vom Querkopf. Hermann von Wedderkop wird im November 1875 in Eutin geboren, er entstammt einem Adelsgeschlecht aus Niedersachsen. In München, Kiel und Berlin studiert er Rechtswissenschaft, dazu Kunstgeschichte und Archäologie. Zunächst arbeitet der Jurist als Regierungsbeamter in Brüssel und Köln. Doch die Staatsverwaltung ist nicht seine Welt, es zieht ihn zur zeitgenössischen Malerei. Weddo schreibt lieber Artikel und Bücher über moderne Kunst. Dabei lernt er den Kunsthändler Alfred Flechtheim kennen, der ihn Anfang 1924 zum Chefredakteur seines Magazins Der Querschnitt beruft.

Hermann von Wedderkop wird dafür gerühmt, innovative Autoren mit originellen Themen und realistischem Stil zu fördern. Die pomadigen Satzgirlanden eines Thomas Mann hält er für unzeitgemäß. Die neuen Taktgeber heißen Gottfried Benn, Bert Brecht und Alfred Döblin, die in ihren Werken die herrschende Trostlosigkeit schonungslos sezieren. Ernest Hemingway fühlt sich verstanden, auch er ist dabei, mit lebensechten Erzählungen und seinem kargen Eisberg-Stil den viktorianischen Rührstücken à la Charles Dickens ein für alle Mal den Garaus zu machen.

Im Sommerheft des Jahres 1925 ist es dann soweit: Der Querschnitt übersetzt und druckt Hemingways Stierkampf-Story. Im nächsten Heft, der Nr. 7 vom Juli, findet sich der zweite Teil der Erzählung über einen gealterten Torero. Der ehemals berühmte Matador Manuel Garcia erbettelt einen letzten Kampf. Im Verlauf der Corrida wird Garcia von dem Stier mehrfach verwundet, er kann dem Bullen aber letztendlich den Todesstoß versetzen. Schwer verletzt wird der Stierkämpfer von den Helfern aus der Arena getragen und in ein Hospital gebracht. Sofort kommt er auf den Operationstisch. Ob das Leben des Matadors gerettet werden kann? Der Autor lässt es offen.

Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Kampf gegen die menschlichen Grenzen und die Wahrung von Würde in der unvermeidlichen Niederlage. Nach Veröffentlichung in Der Querschnitt tritt die Short Story über den Torero Manuel Garcia unter dem Titel The Undefeated (zu Deutsch: Der Unbesiegte) ihren Siegeszug um die Welt an. Diese typische Hemingway-Erzählung wird in der Winter-Ausgabe 1925/1926 des Pariser Literaturmagazins This Quarter veröffentlicht und schließlich 1927 als Buch in der Sammlung Men Without Women (Männer ohne Frauen) in New York herausgegeben.

Der Durchbruch mit Fiesta

Die lakonische Prosa des Neulings zieht Leser und Kritiker in den Bann. Die Klarheit der Sprache wird ebenso gelobt wie die Unterkühltheit in den Dialogen. Während andere Schriftsteller noch die gespreizte Stilistik der Vätergeneration pflegen, kommt Ernest Hemingway ohne Umschweife zur Sache. In seinem grandiosen Debütroman The Sun Also Rises – zu Deutsch: Fiesta – fängt der junge US-Autor im Oktober 1926 das konfuse Lebensgefühl der Verlorenen Generation wirklichkeitsnah ein. Die von Gertrude Stein so titulierten Männer und Frauen leiden nach dem Zivilisationsbruch unter Werteverfall und Orientierungslosigkeit.

Wie ein anschauliches Menetekel zwischen zwei schrecklichen Kriegen erscheint da Hemingways Fiesta. Amerikanische Intellektuelle in Paris und auf Besuch der Sanfermines in Pamplona geben den Blick frei auf eine Verlorenheit, die bei dem mittelalterlichen Bullen-Spektakel mit reichlich Alkohol und allerlei erotischen Eskapaden verdrängt werden möchte. Auf solch eine Unverblümtheit hat die Leserschaft sehnsüchtig gewartet. Von Europa aus erklimmt der 27-Jährige mit Fiesta den Gipfel der Literatur. Wie ein kraftvoller Bannerträger, wie jemand, der Klartext redet und damit einer bedrückten Generation eine frische Stimme gibt. Ernest Hemingway, nahbar und leutselig, steigt auf zum Weltstar.

So viel Glück ist seinem Mentor in Berlin nicht beschieden. Nach der erfolgreichen Zeit beim Querschnitt, die sich von 1924 bis 1931 erstreckt, versucht sich Hermann von Wedderkop selbst als Autor. Er schreibt launige Reiseführer, über das Rheinland, über Paris, London und Rom. Wie man Freunde gewinnt, den Bestseller des US-Motivationstrainers Dale Carnegie, überträgt er ins Deutsche, wird gar Co-Autor des Werkes. Im Jahr 1933 tritt er der NSDAP bei und hegt offene Sympathien für Benito Mussolini. Allerdings gerät er wegen seiner Vorliebe für moderne Kunst wiederholt in Konflikt mit der braunen Obrigkeit. Der polyglotte Adlige zieht sich zurück und verbringt die Zeit des Nationalsozialismus überwiegend in Italien.

Im Kulturbetrieb der Nachkriegszeit verschwimmt das Profil dieses einst gewichtigen Blattmachers. Er selbst meidet weitgehend die große Öffentlichkeit, lieber übersetzt er ein Buch des italienischen Reiseschriftstellers Emilio Cecchi. Seine Erfolge um die Förderung der künstlerischen Avantgarde mit seinem Zeitgeist-Magazin Der Querschnitt geraten über die Jahre in Vergessenheit. Der medialen Aufmerksamkeit entschwunden und kinderlos stirbt Hermann von Wedderkop nach langen Sanatoriumsaufenthalten in der Schweiz im Oktober 1956 mit 80 Jahren in Hamburg.

Zwei Jahre zuvor, im Oktober 1954, ist seinem ehemaligen Schützling in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Der Novize aus Pariser Tagen, schon lange eine Berühmtheit, vergisst seinen frühen Förderer nicht. In Paris – Ein Fest fürs Leben, dies sind biografisch gefärbte Erzählfragmente seiner sieben Jahre in Europa, erinnert Ernest Hemingway an seinen ersten Verleger. Im Dialog mit der Buchhändlerin Sylvia Beach, er nutzt Shakespeare and Company in der Rue de l`Odéon als Postadresse, erwähnt er seinen Berliner Mentor.
Es war ein Brief, und er fühlte sich an, als ob Geld darin sei.
„Wedderkop“, sagte Sylvia.
Es muss vom ‚Querschnitt’ sein (…). Es sind 600 Francs. Er schreibt, es kommt mehr. Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich etwas verkaufen kann.

Hemingway dankt seinem Entdecker

Der Querschnitt ist das erste namhafte Medium gewesen, das diesen ehrgeizigen Jungautor veröffentlicht hat. Somit haben die Deutschen ihn ein wenig entdeckt, noch vor allen anderen. In The Green Hills of Africa setzt Ernest Hemingway dem Berliner Magazin 1935 ein literarisches Denkmal, als er mit einem österreichischen Safari-Kameraden über seinen Beginn als Autor plaudert. The Querschnitt war eine deutsche Zeitschrift, für die ich einige ziemlich obszöne Gedichte geschrieben habe, und wo ich eine längere Erzählung veröffentlicht habe, Jahre bevor ich in Amerika überhaupt etwas verkaufen konnte.

Die ausführliche Passage aus Die grünen Hügel Afrikas druckt Der Querschnitt im Juni 1936 unter dem Titel The Man with the Tyrolese Hat bei Nennung des Autors auf anderthalb Seiten nach. Dieser Mut erstaunt. Denn Hemingways Name befindet sich auf der Liste unliebsamer Autoren. Politisch bleibt das Magazin zwar diffus, doch eckt es mit seiner Unangepasstheit mehrfach bei den nationalsozialistischen Machthabern an. Unter dem 12. Oktober 1936 notiert Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: „Gestern: gelesen, gearbeitet. Zwei Zeitschriften Inneres Reich und Querschnitt wegen dreister Unverschämtheiten verboten. Das hat wohlgetan. Die waren wieder frech wie Dreck.“

Mit Der Querschnitt erfährt Ernest Hemingway eine emotionale Bindung zu Deutschland und darüber hinaus einen Zugang zur deutschen Literatur. Thomas Mann bewundert er, Ringelnatz ebenso. Der Amerikaner ist ein offener und neugieriger Mensch, als Nicht-Studierter muss er sich vieles abschauen. Über allem Ruhm vergisst er nicht, wer seine erste Spanien-Geschichte und die vorlauten Poeme veröffentlicht hat. Eine deutsche Zeitschrift und ihr Chefredakteur haben an ihn geglaubt, während Verlage in der Heimat seine Manuskripte in den Papierkorb geschleudert haben.

Dankbar blickt der Nobelpreisträger zurück auf den Beistand von Weddo in den schwierigen Anfangsjahren. Die insgesamt sieben Veröffentlichungen in dem Berliner Magazin werden Ernest Hemingway vor einem Trugschluss bewahren, der gemeinhin schnell gemacht ist. Deutschland ist nicht allein das Land der Bücherverbrenner und der Joseph Goebbels. Deutschland, das ist ebenso das Land von Der Querschnitt und des Hermann von Wedderkop.

Dr. Wolfgang Stock lebt als Journalist und Buchautor in Herrsching am Ammersee. Er betreibt das Portal Hemingways Welt (www.hemingwayswelt.de) und hat eine Biografie über den Nobelpreisträger geschrieben (Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru).

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Gertrude Stein – die kluge Lehrmeisterin des Ernest Hemingway

Gertrude Stein
Er solle sich mit dem Aufregenden befassen, das er in Europa vorfinde. Pamplona, da gäbe es alljährlich ein Spektakel rund um Leben und Tod. Ernest beherzigt den Ratschlag der Gertrude Stein. Und so nimmt die Literaturgeschichte ihren Lauf.

Am 8. Februar 1922 besuchen Ernest Hemingway und seine Frau Hadley zum ersten Mal die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein, es ist eine Einladung zum Nachmittagstee. Die wohlhabende Kunstsammlerin und einflussreiche Mäzenin wohnt in Paris zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Alice Toklas in einem feudalen Apartment in der Rue de Fleurus. Gertrude Stein ist zu jenem Zeitpunkt 48 Jahre alt, Ernest gerade einmal 22. Die resolute Frau nimmt schnell die Aufgabe einer Mentorin ein für den jungen Mann aus Oak Park.

Gertrude Stein ist eine Schriftstellerin von ungeheuerem Fleiß und mit Mut zur Veränderung. Sie veröffentlicht originelle Erzählungen und Bühnenwerke, auch der Umfang ihres Briefwechsels bleibt beachtlich. Mit ihrer experimentellen Erzählweise – wie in ihrem tausend Seiten dicken Hauptwerk The Making of Americans – setzt sie sich über die üblichen grammatikalischen Konventionen hinweg, verzichtet weitgehend auf Satzzeichen und baut endlose Variationen und Satzwiederholungen ein. Doch der kommerzielle Erfolg der risikofreudigen Autorin erreicht nicht den verdienten Ruhm. Ihr Einfluss auf die Vertreter der Lost Generation allerdings bleibt beachtlich, gleichermaßen wie ihre Rolle als Vorkämpferin feministischer Ideale.

Paris in den 1920er Jahren ist ein brodelnder Ideentopf. Auf einmal wird nicht mehr nur impressionistisch oder expressionistisch gemalt, sondern es elektrisieren Stilrevolutionen wie Kubismus, Surrealismus und Dadaismus. Künstler malen wirr und konfus, wie aus einem überdrehten Traum. Schriftsteller schreiben ohne Punkt und Komma, mancher Roman liest sich wie aus dem Tollhaus geworfen. All dies ist eine aufregende Welt für einen Arztsohn aus dem biederen Speckgürtel von Chicago.

Bei Frau Stein in Paris gehen die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche ein und aus. Die Maler Pablo Picasso, Henri Matisse, Juan Gris und Georges Braque, auch die Schriftsteller Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald, Ford Madox Ford und James Joyce oder die Komponisten Darius Milhaud und Arthur Honegger. Zu ihnen gesellt sich ab Februar 1922 ein unbekannter Journalist namens Ernest Hemingway. Der hochgewachsene Korrespondent für die kanadische Tageszeitung Toronto Star fällt auf durch ein gesundes Selbstbewusstsein und höhere Ambition.

Die Mäzenin aus Pittsburgh ist eine Person von Einfluss und Erfahrung in den Pariser Künstlerkreisen, sie findet Gefallen an dem kernigen Kerl und fördert seine Begabung als Autor. Sie erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf den ersten Blick. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, sagt sie. Doch mehr als einmal fällt der hemdsärmelige Amerikaner unangenehm auf in der soignierten Runde des literarischen Salons in der Rue de Fleurus 27.

Der junge Journalist redet in einem fort über Sex. „A man talking so much about sex“, meint Frau Stein pikiert, „must be either important or impotent.“ Wer so viel über Sex redet, der müsse entweder important oder impotent sein. Auch Hadley hat zu knabbern. Die bodenständige Mrs. Hemingway wird mit der lesbischen Künstlerin nicht so recht warm und fühlt sich in deren Gesellschaft unwohl. Sprachlos reagiert sie, als Gertrude Stein vorschlägt, Hadley solle ihr schönes langes Haar doch kurz schneiden lassen. 

Trotz manch Reibereien wird Gertrude Stein zu einer scharfsinnigen Lehrmeisterin für den angehenden Erzähler. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert umsichtig, regt Verbesserungen an. Als sie das Manuskript Up in Michigan durcharbeitet, bezeichnet sie die Geschichte als unpublizierbar. Gertrude Stein hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich in der nördlichen Seenlandschaft seiner ländlichen Heimatregion ab. Er möge doch nicht über Dinge schreiben, die keiner lesen will. Im gebeutelten Europa lägen die Themen doch auf der Strasse.

Klar und deutlich erkennt die lebenskluge Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen Korrespondentenvertrag zu kündigen, ermutigt sie ihn, ins Risiko zu gehen. Ihre literarischen Ratschläge sind für den Novizen noch wichtiger.

Zunächst sensibilisiert Gertrude Stein den jungen Autor für die Wichtigkeit der Wörter, sie erklärt ihm die Bedeutung von Wortwiederholungen, drängt ihn zu einer minimalistischen Erzählweise, Ernests lakonische Sätze zeigen ihren Einfluss. Der junge Journalist akzeptiert Gertrude Stein als seine Lehrmeisterin, es geht so weit, dass er ihre Angewohnheiten kopiert und beispielsweise seine Texte in einem blauen Notizbuch festhält, ganz wie sie. Ernest zeigt sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler.

Hemingway, der nie eine Hochschule besucht hat, lernt schnell. Ab 1924 ist er nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen. Seine Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein literarischer Stil beginnen sich zu festigen. Auch die Leser erkennen sein Talent. Sein erster großer Roman The Sun Also Rises – er spielt vorwiegend in Pamplona während der Sanfermines – schlägt 1926 ein wie eine Bombe. Ernests Art zu schreiben und seine Themen wirken unverbraucht und freiheraus.

Der Erste Weltkrieg hat die Menschen verändert. Die Kämpfe an der Front sind grausam gewesen. Ein solcher Zivilisationsbruch lässt eine lost generation zurück, der Begriff ist von Gertrude Stein geprägt. Er meint eine Generation, deren Werte und Zuversicht mit einem Schlag zerstört worden sind. Mit dem Naturburschen, der rund um den Lake Michigan aufgewachsen ist, kommt nun ein neuer Typus in die Welt der Literatur. Ernest Hemingway schwingt sich empor zur Stimme der belesenen Mittelschicht, dieses Mannsbild erstrahlt als Identifikationsfigur, auf die so viele gewartet haben. Endlich! Ein Erlöser, wenn man will, literarisch zumindest.

Privat vertieft sich die Freundschaft zunächst. Gertrude Stein und Alice Toklas werden Taufpatinnen von Sohn John, der im Oktober 1923 geboren wird und in Paris aufwächst. Liebevoll kümmert sich das lesbische Paar um den Sprössling der Hemingways, es geht mit dem Baby spazieren, besucht die Spielplätze und die Parks, wie den Jardin du Luxembourg, der bei der Rue de Fleurus um die Ecke liegt.

Die Freundschaft jedoch zerbricht nach wenigen Jahren, 1926 verkracht sich Ernest mit Gertrude, es sind

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Warum ‚Fiesta‘ ein Juwel der Weltliteratur ist

Fiesta
The Sun Also Rises
So kündigt der Verlag Charles Scribner’s Sons aus New York das Debüt seines Autors Ernest Hemingway für den 22. Oktober 1926 an. Es ist ein Freitag.

Es brauchte seine Zeit, bis ich mit diesem Roman so richtig warm wurde. Als ich das erste Mal Fiesta las, da fand ich die Erzählung lau, bisweilen gar langatmig. Bei der nochmaligen Lektüre, Jahre später, da erlebte ich das Sittengemälde aus den 1920ern durchaus anregend. Und wenn ich heute Ernest Hemingways Debüt zur Hand nehme, dann streckt es mich jedes Mal nieder.

Denn Fiesta – im amerikanischen Original heißt das Werk The Sun Also Rises – ist hohe Kunst. Es vergeht kein Wiederlesen, bei dem ich nicht neue Schmucksteine und Kleinode entdecke. Besonders, wenn es gelingt, sich in den historischen Kontext der Geschichte einzufühlen. Es geht um die taumelnde Zeit zwischen den beiden schrecklichen Weltkriegen.

Ernest Hemingways Fiesta fällt im Oktober 1926 in die Welt der Literatur ein wie einst die Jakobiner in die Paläste der Aristokratie. In der Sprache einfach und volksnah, in Botschaft und Wirkung brachial. Der Erste Weltkrieg hat auch die Kultur zerstört. Es braucht etwas Neues, von Tradition gespeist, ein Neustart mit frischen Werten und Idealen. Ebenso sollte das Themen-Panorama sich öffnen und weiten. Und so geht es in Fiesta um die durch den Krieg verlorenen Sicherheiten und um die Sinnsuche in Zeiten der Orientierungslosigkeit.

Allein der neuartige Stil der Erzählung gleicht einer Revolution: kühl, ohne Schnörkel, alles weit weg von jedem viktorianischen Erziehungs-Habitus. Das Geschehen wird vielmehr durch persönliches Erleben des Autors verbrieft, auch deshalb passt das Werk zum Autor. Es ist ein glaubwürdiger Blick durchs Schlüsselloch in die unbekannte Welt hinter den Bergen. Die geschwätzige Blümchen-Prosa der Vätergeneration à la Charles Dickens ist mit einem Schlag passé.

Wie geschickt Ernest Hemingway seine Erzähl-Perspektive anlegt, mag man zu Anfang des 12. Kapitels von Fiesta erkennen. Man liest schnell über diese Passage hinweg und bemerkt dadurch die Finesse des Textes nicht.

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So – scheinbar – harmlos fängt das Kapitel 12 von Fiesta an.

Ernesto nimmt uns mit in eine fremde Welt – das wann und wo verrät er hier nicht – und so müssen wir uns selber hineinfinden. Es ist die Zeit nach der Postkutsche und während des Aufkommens der Motorbusse. Wir befinden uns in einem Land am Fuße eines Gebirges, das Ambiente ist bäuerlich, der Ziegenbock springt umher. Der Protagonist steht auf und öffnet das Fenster seines Zimmers, so wie wir nun durch das geöffnete Fenster in die Handlung hinausgeworfen werden. Keine Gefühlsregung wird geäußert, wir müssen uns selber ein Reim auf das Ganze machen.

Unsere Stadt heißt Pamplona. In der nordspanischen Kleinstadt lässt der 27-jährige Hemingway seinen Erstling überwiegend spielen. Mit einem Mal werden die Sanfermines, bis dahin ein lokales Ereignis in einem weitgehend unbekannten Land, mit seinen Stieraufläufen, den Prozessionen und Tänzen ins Bewusstsein der Welt katapultieren. Um die blutige Fiesta herum entwirft der junge Novize ein Kaleidoskop menschlicher Irrungen und Wirrungen.

Die amerikanischen Protagonisten auf Entdeckungsreise in Pamplona lassen kein Laster aus: Abenteuer, Stierkampf, sexuelle Ausschweifungen und vor allem Alkohol. Fiesta ist ein grandioses Epochen-Porträt zwischen zwei schlimmen Kriegen, ein Blick auf die Verlorenheit, die mit viel Schnaps weggetrunken werden möchte. Themen wie Liebe, Sex, Männlichkeit, Exzess und die Suche nach der eigenen Rolle im Leben spielen in dem Roman eine zentrale Rolle.

Durch den Weltkrieg sind die zuversichtlichen Aufbruch-Werte der Belle Époque perdu. Denn die Schlacht ist abscheulich gewesen. Alle Kriege sind grauenhaft, aber dieser war es besonders, wegen seiner Sinnlosigkeit. Wer ist Gegner, wer der Freund? In der Katastrophe zwischen 1914 und 1918 sind die Rollen fließend verteilt, ein Stück ist man in das Inferno hineingeschlittert. Ein Krieg der Schlafwandler, wie es der australische Historiker Christopher Clark treffend umschrieben hat.

Am Ende des Krieges stehen alle als Verlierer da. Deutschland mit Hyperinflation, Reparationen und einer noch größeren Tragödie vor Augen. Aber auch der Gewinner, die USA, sehen einem düsteren Jahrzehnt entgegen, das 1929 in der Weltwirtschaftskrise detonieren wird. Prohibition, Wirtschaftsdepression und die aufkommende Mafia lassen die Zeiten auch in den USA trostlos erscheinen. Die Welt wird in den Abgrund gezogen, es ist eine leidvolle Dekade allerorten. 

Und so wird in The Sun Also Rises aka Fiesta nichts ausgelassen, was zwischen erwachsenen Menschen so passieren kann. Liebeleien, Seitensprünge, Obsessionen, Schlägereien, Saufgelage. Hemingway selbst umschreibt seinen Roman als eine verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen. Ich vermute, Ernesto will eigentlich eins draufsetzen und sagen, wie die ‚Menschheit‘ zugrunde gehen kann.

The Sun Also Rises

The Sun Also Rises heißt das Original. In Europa wird säkular der Titel Fiesta daraus.

Doch wo bleibt die Hoffnung? Der Autor, der in Paris lebt, deutet sie im biblischen Vor-Zitat gleich zu Beginn seines Buches an. Ein Motto des Predigers Salomo als Denkspruch, es wird zum Leitgedanken von Fiesta. Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt ewiglich. Dieser Rabauke, der nichts auslässt im Leben, liegt in dieser Hinsicht goldrichtig: Eine Generation geht, eine andere kommt. Das Wesen von Blühen und Vergehen. Hier findet man Trost: Auch das Schlechte wird verblühen, so wie das Gute neu gedeiht.

Das Schöne an Hemingways The Sun Also Rises ist, dass er nicht nur die Orientierungslosigkeit und die Dekadenz des Zeitalters beschreibt, sondern zugleich auch einen Lösungsansatz andeutet. Das Hinauswagen auf unbekanntes Terrain, die Unerschrockenheit und die Entdeckerfreude, die Neugier auf eine neue Kultur. Sich das Andersartige und das Fremde anzuschauen. Andere Menschen und ihre Gepflogenheiten wertzuschätzen.

Und darüber hinaus – wo auch immer – die Stille der Natur zu suchen. Ernest beschreibt, wie er seine äußere und innere Ruhe findet in den Ausläufern der Pyrenäen, an den einsamen Bächen rund um das Kloster Roncesvalles. Durch den Kontrast zur lärmenden Fiesta unten im Pamplona geht der Blick nach oben, in die Berge, in die Ruhe und den Frieden. Möglicherweise ganz in der Höhe.

Abermals bestaunen wir den Zwiespalt, der für Hemingways Werk so typisch ist. Auf der einen Seite das desillusionierte Karussell von Laster und Eitelkeiten, das sich um Saufen, Stierkampf, Krieg und Tod dreht. Auf der anderen Seite die Vergötterung der Natur, die anmutigen Bäche in den Pyrenäen-Tälern, wo Jake Barnes, der Protagonist, angelt und Erdverbundenheit sucht.

The Sun Also Rises. Die Fiesta findet irgendwann ihr Ende. Das Blut des Spektakels ist noch

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Die Bars und Restaurants als Vorhalle zum Paradies

Café de Flore, Paris
Das Café de Flore. Das Basislager der Künstlerwelt in Paris. Foto: W. Stock, 2022.

Als Ernest Hemingway im Winter 1921 in Paris ankommt, da tritt er ein in eine für ihn fremde Welt. Aus Oak Park stammend, einem bigotten Vorort von Chicago, mit den Sonntagskonzerten, dem Kirchgang und dem biederen Alltagstrott, wird er aus dem Mittleren Westen der USA mit einem Mal hineingeschmissen in einen aufregenden Kosmos.

Eine solche Kultur rund um die Bars und Kaffeehäuser mag es in Paris und Wien geben, nicht jedoch im calvinistisch geprägten Chicago. Und schon gar nicht in den rechtschaffenen Vorstädten mit ihren hausbackenen Gepflogenheiten. Ganz anders Paris. Das Leben spielt sich ab in den Bars rund um den Boulevard Montparnasse, wo sich die Künstler tummeln, wo Revolutionäre Schach spielen und die Bohemiens aller Ausprägungen gesehen und gehört werden wollen.

Schnell beginnt Ernest Hemingway zu begreifen, welche Mission die Bars und Restaurants in diesem Wahnsinn erfüllen. Die Closerie des Lilas, das Café de Flore, das Le Dôme oder das Le Select. Diese Schauplätze umweht ein Geheimnis. Denn es sind nicht nur Örtlichkeiten zum Trinken und Essen. Es sind ebenso Wirkungsstätte zum in sich kehren und zum Kraft tanken. Ein Basislager des suchenden Menschen, um seine Mitte zu finden und seine Rolle im kleinen Leben.

Irgendwie scheinen es heilige Orte, die Zuflucht gewähren und Zuversicht ausstrahlen. Im Grunde sind es sakrale Stätten wie die Kirchen und Kapellen in seiner Heimat. Schutzorte und notwendige Stützpunkte in stürmischen Zeiten. Unantastbare Plätze. Viele dieser Lokalitäten sehen deshalb heute so aus wie damals.

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Wie eine Gedenktafel im Kirchenhaus. Das Café de Flore vergisst die Seinen nicht. In Dankbarkeit. Foto: W. Stock, 2022.

Eine Bar steht – pars pro toto – für die entsprechende Stadt. Die Close für Paris und das Café Iruña für Pamplona. Doch wie so oft bei Hemingway, man muss mental einen zusätzlichen Schritt wagen. Die Bars stehen auch für Lebensfreude und Erleuchtung. Im Grunde genommen postieren sie sich als Platzhalter für das Paradies.

Man beachte, wie Ernesto die Akteure seiner Erzählungen skizziert. Barbesitzer verteilen das Manna und den Wein, erhalten mitunter eine gottähnliche Aura. Barkeeper missionieren wie Petrus, bei ihnen wird gebeichtet und gebetet. Selbst die Kellner. Sie werden von Hemingway nicht wie Dienstleister dargestellt, sondern eher wie Götterboten.

So scheinen die Bars und Restaurants wie eine Pforte zum Himmelreich. Als irdisches Gotteshaus, das nicht verbietet, sondern die Daseinsfreude feiert. Als Orte, um dem Ideal ein wenig näher zu kommen. Und auch, um sich dem

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Ernest Hemingway. Place de la Concorde, Numéro 4. In Paris

Ernest Hemingways Bank-Quittung aus dem Jahr 1938. Die Guaranty Trust Company of New York. Mehr als nur eine Bank.

Als der amerikanische Schriftsteller mit Familie im März 1926 zum Winterurlaub im österreichischen Schruns weilt, nutzt er im Hotel Taube eine merkwürdige Meldeadresse. 4, Place de la Concorde, Paris. So schreibt sich der junge Journalist ins Gästebuch ein. Darunter setzt er den Namen seiner Frau, Hadley R. Hemingway und den des Sohnes John Hadley Nicanor Hemingway. „Zwei Jahre, fünf Monate“, hat die Wirtsfamilie Nels ergänzend dahinter gesetzt.

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In seiner Schrunser Ferien-Unterkunft Hotel Taube setzt Ernest Hemingway unter seinem Namen als Anschrift die Pariser Adresse 4 Place de la Concorde. Daneben den seltsamen chez-Zusatz: Guaranty Trust  Co. of N. Y.

Alles schön und gut. Doch an der feinen Place de la Concorde wohnt der amerikanische Korrespondent nicht. Seit Anfang Februar 1924 hat die dreiköpfige Familie eine Unterkunft in der Rue Notre-Dame-des-Champs Nummer 113 bezogen. Das Viertel mit seinen breiten Straßen und den traditionellen Stadtvillen im 6. Arrondissement ist teuer, in diesem Quartier residiert das wohlhabende Bürgertum von Paris. Die Closerie des Lilas, sein Lieblings-Café, liegt um die Ecke.

Die Anschrift Place de la Concorde Nummer 4 ist gleichwohl von anderem Kaliber. Zwischen dem Jardin des Tuileries und der Avenue des Champs-Elysées findet sich diese pickfeine Adresse. Auch der Louvre ist nicht weit weg. Sicherlich gehört die Place de la Concorde mit ihren klassizistischen Monumentalbauten zu den besten Anschriften in Paris.

Nun fällt mir in diesen Tagen die Hemingway-Quittung eines Bankhauses in die Hände, auf der wiederum die mysteriöse Adresse auftaucht. Guaranty Trust Company of New York ist eine amerikanische Bank, sie residiert just an der Place de la Concorde Nummer 4. Üblicherweise hat der Schriftsteller bei seinen Aufhalten in Paris seine Geldgeschäfte über dieses Finanzinstitut getätigt.

Zugleich hat Ernest das Bankhaus wohl auch als Postadresse verwendet. Eine ebenso pragmatische wie prestigeträchtige Maßnahme des Weltenbummlers. Früher ist es durchaus üblich gewesen, Bankadressen als Anlaufstation für persönliche Briefe und Päckchen zu nutzen. Ich kann mich noch gut an die 1970er Jahre erinnern, als ich in Indien, Mexiko und Südamerika herumturnte und die Stadtbüros des American Express als Poststelle nutzte.

Die Guaranty Trust Company of New York ist ein angestammtes Geldhaus gewesen, heute allerdings nicht mehr existent. Im Jahr 1959 ist der Guaranty Trust mit J. P. Morgan verschmolzen worden unter dem Merger-Namen Morgan Guaranty Trust Company. Später erfolgt dann eine Fusion mit der Chase Manhattan Bank.

Meiner Quittung zufolge hat Ernest Hemingway am 6. Mai 1938 bei dieser Geschäftsbank zwei Schecks eingezahlt. Der eine über den Betrag von 200 Dollar, der andere in der Höhe von 188,68 Dollar. Eine Menge Geld damals, dieser Gesamtbetrag von 388,68 Dollar, wir schreiben das Jahr 1938. Heutiger Kaufkraft entsprechend macht dies rund 8.500 Dollar aus.

Wir schreiben den 6. Mai 1938. Der damals bereits berühmte Reporter befindet sich auf dem Sprung nach Valencia und Madrid, wo er über den Bürgerkrieg berichten will. Am 16. Mai ist er wieder in Paris. Da besucht er Sylvia Beach in ihrer Buchhandlung Shakespeare & Company, wo beide über den Krieg in Spanien diskutieren. Ende Mai fährt Hemingway dann mit der Normandie zurück nach New York.

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In Paris – Ein Fest fürs Leben erwähnt Ernest Hemingway den Guaranty Trust. Er zahlt dort seinen Wettgewinn vom Pferderennen ein.

Den Guaranty Trust hat Ernest in Paris – Ein Fest fürs Leben in einer kurzen Passage erwähnt. Dort ruft er sich seine schöne Zeit in der französischen Hauptstadt ins Gedächtnis. Manche Beobachter sehen den Autor am 6. Mai jedoch

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Ernest Hemingways Bücher in der DDR

Ernest Hemingways Paris – Ein Fest fürs Leben hieß in der DDR leicht abgewandelt: Ein Fest fürs Leben. Zwanzig Pariser Skizzen. Auch nicht schlecht! Foto: W. Stock, 2025.

In einem Antiquariat erstehe ich ein kleines Konvolut mit Büchern und Veröffentlichungen von Ernest Hemingway, die vor fünf Jahrzehnten in der Deutschen Demokratischen Republik verlegt worden sind. Im deutschen Sozialismus also. Ein Fest fürs Leben. Zwanzig Pariser Skizzen. Ich lese die Ausgabe als Ausweis für die Reputation dieses Jahrhundert-Autors im Kommunismus. Aus dem Reclam Verlag, Leipzig. Verkaufspreis 2 Mark (DDR).

Das ostdeutsche Verlagshaus hat für sein Verbreitungsgebiet eine Unterlizenz des Rowohlt Verlags in Hamburg erstanden. Als Übersetzerin zeichnet Gudrun Strelow verantwortlich. Änderung zur westdeutschen Fassung erfolgen allerdings in homöopathischer Dosis, mal wird hier ein Verb geändert oder ein Adjektiv getauscht. Ein umsichtiger Schachzug. Die bewährte Übersetzung von Annemarie Horschitz-Horst schlägt weiterhin voll durch. Der Hemingway-Sound bleibt damit gesichert – hüben wie drüben.

Gibt es darüber hinaus Unterschiede zur westdeutschen Ausgabe? Zunächst fällt auf, dass man eine solche Unterlizenz nicht als Erzeugnis für die Resterampe angelegt hat. Man hätte – wie im Verlagsgewerbe bei Lizenzausgaben oft üblich – die fertigen Satzfilme der Originalausgabe übernehmen und billig nachdrucken können. Stattdessen erstellt der DDR-Reclam Verlag einen neuen Satz und ändert zudem ein paar Kleinigkeiten in der Typografie wie Anführungszeichen und Kursiv-Setzungen.

Damit kommen wir nicht ans Ende aller Mühen. Daneben findet sich in dem DDR-Hemingway ein Anmerkungsteil, der sich inhaltlich auf seine Skizzen bezieht. Dort bekomme ich übersetzt und erklärt, was denn Pommes à l’huile sind oder wer Ernest Walsh war. Meine westdeutsche Ausgabe lässt mich bei diesen Fragen dumm zurück.

Zu den Skizzen gesellt sich ein Nachwort von Gudrun Strelow. Auf 15 Seiten wird das Werk Hemingways scharfsinnig eingeordnet und der Leserschaft die historischen Zusammenhänge vor Augen geführt. Die Zeilen machen zurecht darauf aufmerksam, wie tief der Reifeprozess gewesen ist, den der Amerikaner in Paris durchlaufen hat. Als Mensch und Literat. Es bleibt zu erwähnen, dass Frau Strelow den späteren Nobelpreisträger in ihren Ausführungen fair und profund charakterisiert.

Plus zwölf Zeitdokumente. Dies ist ein gelungener Kniff. Während Hemingway in seinen Pariser Skizzen nebst der Lobrede auf die Seine-Metropole vor allem Kollegen und Freunde porträtiert, schauen die Dokumente ins Spiegelbild. Die Lektoren haben zwölf Texte gesucht und gefunden, mit Anmerkungen von Zeitgenossen über Ernest Hemingway. Die Interviews, Memoirenfragmente und Artikel runden so das Bild ab. Chapeau!

Es wundert nicht, dass die DDR-Variante mit all den Ergänzungen auf 225 Seiten kommt, die westdeutsche Ausgabe sich hingegen mit 125 Seiten begnügen darf. Positiv ist mir zudem aufgefallen, dass der ostdeutsche Verlag uns mit dem marxistischen SED-Gesülze verschont. Es wird kein Versuch unternommen, den Mann aus Chicago ideologisch irgendwie hinzubiegen.  

Dennoch bleibt die Verehrung des Ernest Hemingway für die DDR-Oberen eine Gratwanderung. Schon wegen der unmittelbaren Nachwirkung: Der US-Amerikaner schildert Paris in seinem Werk mit solcher Verve und Anmut, dass man am liebsten sofort die Koffer packen würde. Für DDR-Bürger jedoch ein unerfüllbarer Traum. So erzeugt man Enttäuschung. Da bringt ein Verlag die Lobeshymne heraus auf eine Metropole voll mit Kultur und Lebensfreude, dem geneigten Leser zwischen Rostock und Dresden aber bleibt verboten, selbst einmal nachzuschauen.

Insofern erweist sich ein Weltenbummler wie Ernest Hemingway als überaus heikel für den Sozialismus, sei es in der DDR oder anderswo. Ein Nonkonformist wie er bleibt schwierig einzuhegen. In ein Staatswesen, das nicht das Individuum, sondern das Kollektiv auf die oberste Stufe stellt. Da kann keine aufrichtige Liebe sprießen, es werden höchstens wirklichkeitsfremde Sehnsüchte geweckt.

Vor allem da dieser Nobelpreisträger aus dem Jahr 1954 jemand ist, der sich wenig um politisch Korrektes schert. In diesem Sinne wirkt ein Hyper-Individualist wie Hemingway trotzköpfig auf jede kollektivistische Ideologie. Subtil kommt diese

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Ernest Hemingway – Wie ein wilder Stier

Ernest Hemingway
Idaho
Ein Gewehr, Ernest Hemingway und der Sohn Patrick, genannt Mouse. Es ist Urlaubszeit in Idaho, 1946. Photo Credits: Ernest Hemingway Collection of the John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Ernest Hemingway kann mit Kindern so gar nichts anfangen. Erst als die Söhne groß genug sind, um eine Angel zu halten oder gar ein Gewehr, dann erwacht sein Interesse. An der Angelrute und an einem Schießeisen – beides Apparaturen, die den Tod bringen – sieht er sich als Lehrmeister des Nachwuchses. Wie tief ist die Sehnsucht zur Vernichtung bei Ernest ausgeprägt?

Damit argumentativ keine Schieflage auftritt: Der Nobelpreisträger von 1954 besitzt wunderbare Charakterzüge. Er ist offen und zugewandt, ein guter Freund, er hilft, wenn Hilfe gebraucht wird, jeder soziale oder intellektuelle Dünkel ist ihm fremd. Aber Ernest Hemingway hat auch eine andere Seite. Eine dunkle Seite, auf der Feindseligkeit und Groll zu Hause sind.

Meist fängt es klein an. Der Zorn entlädt sich mehr oder weniger verbal. Den Personen um ihn herum gibt er launige Namen. Pickle, mein Gürkchen, für Ehefrau Mary, Feo, der Hässliche, für seinen Arzt Dr. José Luis Herrera Sotolongo, Mouse für den Sohn Patrick. Mrs. Fathouse Pig – fettes Hausschwein – für seine wunderschöne dritte Ehefrau Martha Gellhorn. 

Die zweite Stufe der Wut bezieht sich auf das Handeln. Subtil, in der Regel. Im Leben des Schriftstellers fällt schon auf, dass er vieles, was er liebt, schlecht behandelt. Seine Ehefrauen, die Söhne und letztendlich wohl auch sich selbst. Steckt Schlimmeres dahinter? Ist es vielleicht ein Zwang, wenn er etwas liebt, immer darauf herumzuhauen bis es kaputt ist?

Will ernest Hemingway mit seinem Hass auf alles und jedes letzten Endes etwa die Liebe totschlagen? Oder, noch schlimmer, kann er möglicherweise gar nicht lieben? Außer die Natur vielleicht, die er tief und innig liebt. Aber was ist mit den Menschen?

Je mehr Narben über seiner Seele liegen, desto dünnhäutiger wird er. Weil er in seinem Wertekanon nicht stabil genug ist und auch, weil seine Persönlichkeit in Sachen Liebe über die Jahre emotional nicht mitgewachsen ist. Im Gegenteil: Seit der Ehe mit Hadley geht es mit ihm seelisch bergab. Er lässt sich ablenken, von blonden Strähnen, von langen Flinten und wilden Stieren.

Die höchste Stufe seiner Feindseligkeit kehrt er heraus, wenn er angegriffen wird. Sobald er das Gefühl bekommt, von einem Menschen gekränkt zu werden oder in seinen Empfindungen verletzt zu sein. Dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Ernest kontert schließlich mit offener Aggression, mit kaum verborgenem Hass, er verhöhnt die betreffende Person lang und breit, oft unter der Gürtellinie, auch in seinen Werken.

Lassen sich mildernde Umstände ausmachen? Ernest Hemingway ist ein Gefühlsmensch durch und durch, in allen Facetten. Er kennt den emotionalen Gegenpol zur Missgunst. In ruhigen Stunden ist er ein sympathischer Romantiker. Dieser leutselig auftretende Mann bleibt tief im Inneren eine empfindsame und verletzliche Seele. Dessen harte Schale meist nur den weichen Kern schützen will.

Es gibt die Stunden, wo er in blinder Aggression um sich schlägt. Hinter seinem Zorn liegt oft Selbsthass. Hinter jedem guten Schriftsteller verbirgt sich ein Drama, so sagt man. Es ist ein Unglück, dass dieser so grandiose Schreiber es nicht geschafft hat, seinen inneren Frieden zu finden. Außer in den frühen Jahren vielleicht, mit der

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Wer ist das Kartoffelgesicht bei Ernest Hemingway?

Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936.

In The Snows of Kilimanjaro – zu Deutsch: Schnee auf dem Kilimandscharo – finden wir einen heiteren Abschnitt. Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris gelebt hat, von 1921 bis 1928, taucht ein in das savoir vivre der französischen Hauptstadt. Besonders die Café-Kultur eröffnet ihm eine neue Welt, er schreibt in den Cafés seine Erzählungen und belauert dort die Menschen um ihn herum.

Der junge Kerl aus Chicago besitzt einen festen Blick auf die mutigen Neuerungen, die in Malerei, Literatur, Architektur und Musik den Denkrhythmus vorgeben. In den 1920er Jahren passieren just in Paris, wie unter dem Brennglas, spannende Dinge. Das Althergebrachte wird in Frage gestellt und wälzt sich um, es wird gewagt und experimentiert in der Metropole an der Seine. Dadaismus, Surrealismus, Kubismus – irritierende Sichtweisen werden ausprobiert, die kopfgetriebene Revolution wirkt als Motivator.

Doch Hemingway, der aus dem beschaulichen Mittleren Westen der USA kommt, schaut genau hin. Es ist eine neue Welt, die so nichts zu tun mit Oak Park, wo das Sonntagskonzert den Höhepunkt der Woche bildete. Ernest staunt, erspürt, lernt und ist dankbar, wie Paris seinen Horizont erweitert. Mit vielen Neuerern – von Pablo Picasso über Juan Gris bis James Joyce – ist er befreundet. Die Veränderungen inspirieren ihn, aber er bleibt ruhig im Blut, letztlich geht er seinen eigenen Weg.

Für manches, was er sieht und hört, hat der bodenständige Bursche aus der Vorstadt dann nur noch Sarkasmus und Spöttelei übrig.

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Welch wunderbare Stelle! Ein amerikanischer Dichter mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht. Genau so steht es im Original: a stupid look on his potato face. Doch wer ist das Kartoffelgesicht?

In einer ersten Fassung hat Hemingway noch Roß und Reiter genannt. Und dann kam er einmal an einem Café vorbei, wo Malcolm Cowley vor einem Stapel Unterteller saß und mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht und sprach über die Dada-Bewegung mit einem Rumänen, der sagte, sein Name wäre Tristan Tzara.

Der dumme Ausdruck inklusive Kartoffelgesicht gehört also Malcolm Cowley. Der Mann vom Jahrgang 1898 ist ein US-Historiker und Autor. So wie Hemingway gehört Cowley zum amerikanischen Expat-Zirkel in Paris. John Dos Passos, Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald und Gertrude Stein, alles Ikonen der Moderne, man kennt sich und neckt sich.

Bevor Ernest die Story beim Esquire einreicht – das Magazin druckt die Kurzgeschichte im August 1936 – tilgt er schlauerweise Cowleys Namen und schreibt neutral dieser amerikanische Dichter. That American poet. Besser

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Paris prägt Ernest Hemingway wie keine andere Stadt

Die Künstler und Paris – ein Himmelreich auf Erden. Foto: W. Stock, Paris im Oktober 2022.

Im Dezember 1921 erreichen der Amerikaner Ernest Hemingway und seine Frau Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das frisch vermählte Ehepaar dann den Nachtzug nach Paris. Das junge Paar plant, sich dort für längere Zeit niederzulassen, es sollten sieben Jahre werden.

Vom ersten Tag an empfindet Ernest eine intensive Verbundenheit mit seiner neuen Wahlheimat. Als freier Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt der junge Ernest Hemingway nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die Alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die einen Weltkrieg hinter sich haben und durchgerüttelt werden von politischen Konflikten, wirtschaftlichen Krisen und sozialen Erschütterungen.

Der junge Journalist wird hineingeworfen in diese brodelnde Region, er ist unbedarft und hungrig nach dem Leben. Der attraktive Journalist aus Oak Park, einem Vorort von Chicago, ist jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, die Erträge einer kleinen Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole an der Seine, sie sind arm, aber glücklich. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Der Amerikaner wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner bigotten Erziehung und der nüchternen Strenge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem Himmelreich auf Erden. In der Stadt des Lichtes finden amerikanische Intellektuelle den Glanz und Glamour, jenen joie de vivre, den sie in der heimatlichen Tristesse aus Wirtschaftsdepression und Prohibition so schrecklich vermissen.

Ernest Hemingway und Paris – es passt wunderbar. Ein Bauch- und Augen-Mensch wie Ernest wird hier zum Flaneur, der in den Buchhandlungen stöbert, durch die engen Gassen des Quartier Latin bummelt oder als Müßiggänger im La Closerie des Lilas vor einem Café au Lait sitzt, das bunte Treiben beobachtet und schreibt. Vor allem die Gegend um den Boulevard du Montparnasse wird zu seinem Revier, hier warten Lebenslust und Frivolität an jeder Ecke.

In Paris begegnet Ernest Hemingway anregenden Frauen und Männern, er steht direkt an der Wiege neuartiger Ideen und kühner Anschauungen. Künstlerische Pioniere wie James Joyce und Pablo Picasso gehören zu seinem Freundeskreis. Der junge Ernest merkt, wie dieses kreative Flair ihn als Schreiber ermutigt. Die Harmonie mit seiner Ehefrau wirkt als Ruhepol, die umgängliche Hadley fängt den stürmischen Ehemann mehr als einmal auf. 

Er ist angekommen in seiner Traumwelt. Schöner vermag der 22-Jährige sich das Paradies nicht auszumalen. Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann bleibt die Stadt bei Dir, einerlei wohin Du in Deinen Leben noch gehen wirst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Diese Metropole der Lebenslust überfällt den Amerikaner wie

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