Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 5 von 63

Im ‚Txoko‘ von Pamplona fühlt sich Ernest Hemingway wohl im Leben

Das Txoko auf der Plaza del Castillo von Pamplona. Foto: W. Stock, April 2024.

Von dieser Bar gibt es Dutzende Fotografien mit Ernest Hemingway, meist umrundet von Freunden und Bewunderern. Und man sieht einen glücklichen Schriftsteller aus Chicago, der auf der Terrasse der Bar Txoko von Pamplona sitzt und sich wohl fühlt im Leben. Diese Taverne befindet sich in der südlichen Ecke der Plaza del Castillo Nummer 20, dort wo die Calle Espoz y Mina auf den großen Platz einmündet.

Das Txoko steht unterhalb des ehemaligen Hotels Quintana, für den US-Amerikaner ist die Bar so etwas wie der vorgelagerte Speisesaal des Hotels gewesen. Auch Miss Mary verrät in ihren Memoiren How it was, dass im Txoko traditionell gefrühstückt wurde und es das Lieblingslokal von ihm gewesen sei. „Unser öffentliches Leben spielte sich in der Bar Choko ab, unter den Arkaden vor dem Hotel, das einmal Juanito Quintana gehört hatte.“

Im Spanischen heißt das Lokal Bar Choco, unter diesem Namen hat sie Ernest Hemingway in den Jahren 1953, 1956 und 1959 gekannt. Txoko auf Baskisch, die Basken sind stolz auf ihre Sprache. Zurecht, es ist ein kleines idiomatisches Juwel, von nur 700.000 Menschen im spanischen Norden gesprochen. Das Baskische ist in Europa die einzige isolierte Sprache, sie ist mit keiner anderen bekannten Sprachfamilie verbunden. Deshalb bleiben wir beim Txoko.

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Das Txoko, ein Favorit von Ernest Hemingway im baskischen Pamplona. Foto: W. Stock, April 2024.

Seit 1920 gibt es das Txoko. Berühmt sind die Picoteos, kleine Apetithäppchen, die anderswo Pintxos genannt werden. Croquetas, Calamar, Pollo con Salsitas, den Jamón Ibérico, Migas de Pastor, Calabacín, eine Zucchini mit Käse und Honig. Die Preise sind nicht zu teuer und nicht zu billig, wie jede gute Bar zieht sie die Menschen über alle Schichten und Geschichten an. Die Geschäftsleute, den Händler, den Touristen und auch die Pilger auf dem Jakobsweg.

Unter großen weißen Sonnenschirmen sitzen die Gäste und beobachten das Treiben auf der Plaza. Über dem Eingang prangt Café Bar Txoko, zwei breite Flügeltüren geben den Eingang zur Schänke frei. Auf der Karte tummeln sich, sagen wir, solides Mittelmaß. Das Txoko scheint eher eine Bar für den schnellen Cortado und den kleinen Tinto.

Ernest Hemingway ist noch präsent, wie kann es anders sein. Auch wenn diese Bar die Erinnerung an ihn langsam verblassen lässt. Viele Besucher kommen vorbei und bestellen das gleiche wie er. Sein Lieblingsgetränk sei der Vanilla Milkshake mit Cognac gewesen, meint der Wirt. Aha!

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Bocadillos und Picoteos gehören zu den Spezialitäten der Bar Txoko in Pamplona. Foto: W. Stock, 2024.

Im Jahr 1959, bei seinem letzten Besuch bei den Sanfermines, ist es für Ernesto, als erlebe er aufs Neue die 1920er Jahre: Das Land unverdorben vorzufinden und es noch einmal mit den Personen, die mich begleiteten, genießen zu können, machte mich so glücklich wie nie zuvor, und all die Menschenmassen und modernen Neuerungen in Pamplona waren bedeutungslos dagegen. 

Diese Reise zurück in die Jugend hat Ernest Hemingway in seinem Buch The Dangerous Summer – zu Deutsch: Gefährlicher Sommer – festgehalten. Er ist wieder da in Pamplona, sitzt auf der Terrasse des Txoko und ist

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Ernest Hemingway trägt Pamplona im Herzen – und umgekehrt

Alles dreht sich um den Stier in Pamplona. Und ein US-Schriftsteller spielt dabei eine tragende Rolle. Foto: W. Stock, April 2024.

Das Herz des Hemingway’schen Baskenlandes schlägt in Pamplona. Zwischen 1923 und 1959 hat er die Stadt zehnmal besucht, mit einer langen Pause von zwei Jahrzehnten nach dem verlorenen Bürgerkrieg. Ab 1953 ist der Schriftsteller dann wieder regelmäßig in Nordspanien. Der alljährliche Bullenauflauf der Sanfermines Mitte Juli bleibt ein heiliger Termin in seinem Kalender. Rund um die Plaza del Castillo spielt sich die Welt des Ernest Hemingway ab.

Pamplona – in der baskischen Sprache: Iruña ist die Hauptstadt der autonomen Region Navarra. Vieles hat sich in den letzten hundert Jahren zum Besseren verändert, anderes aus Hemingways Zeit ist leise verschwunden. Die Bar Torino, das Café Kutz, das Café Suizo, die Casa Marceliano in der Calle Mercado. Und das Hotel Quintana oder sein Lieblingsrestaurant Las Pocholas im Paseo Sarasate.

Das Café Iruña trotzt den Widrigkeiten der Zeitläufte. Besonders das Iruña ist ein Fixstern, wenn man seinen Hemingway-Weg in Pamplona ablaufen will. Es kann einen ziehen zur Calle Eslava Nummer 5, zu einer billigen Pension, wo er gewohnt hat als er es nicht so dicke hatte. Oder gleich zur Plaza de Toros, zu der in diesen Tagen ein Paseo Hemingway führt.

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In Pamplona werden die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zur Eröffnung des Spektakels im Juli herunter gezählt. Foto: W. Stock, April 2024.

Die Zeit scheint wie angehalten in Pamplona, auf eine merkwürdige Art und Weise retardiert. Die Basken sind ein eigenwilliges Volk, sehr auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung bedacht. Mit großem Stolz auf die eigene Sprache und Kultur. Als Volk, dessen Vorfahren überwiegend aus Fischern und Seefahrern entstammt, besitzen sie einen ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit und Störrigkeit. Charaktereigenschaften, die Ernest Hemingway nicht nur gefallen, sondern auch seinem eigenen Wertesystem entstammen.

Ernest Hemingway wirkt wie ein Magnet. Besonders die Amerikaner werden vernarrt in die Sanfermines. Berühmtheiten kommen. Orson Welles, Arthur Miller, Inge Morath, der Nobel-Kollege Derek Walcott. Und dieser New Yorker James A. Michener, der so schöne dicke Bücher schreiben kann. Tausende Besucher kommen im Juli nach Pamplona, viele aus Übersee. Manche in der Stadt jedoch sehen die Meriten des Amerikaners aus einem Vorort von Chicago kritisch.

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Paseo de Hemingway. Der Amerikaner bekommt in Pamplona seinen Flanierweg, der zur Stierkampf-Arena führt. Foto: W. Stock, April 2024.

Er sei dafür verantwortlich, aus dem Volksfest einen Bullen-Ballermann gemacht zu haben. Aus Jux hat man Ernest Hemingway im Juni 2023, zu seinem Hundertjährigen, den Prozess gemacht. Vor einem fiktiven Gericht, mit Ankläger, Verteidigung, Geschworenen und Richter. Sein Roman Fiesta sei dafür verantwortlich, dass Horden von Touristen einfallen und dem Volk das Volksfest vermiesen. Nein, nein, meint die Verteidigung, Hemingway habe Pamplona und seine Kultur in der Welt bekannt gemacht und die Wirtschaft angekurbelt. Das Votum der Jury fällt knapp aus. Ernesto wird freigesprochen.

Einig sind sich alle, eine bessere Werbefigur wie Hemingway kann es nicht geben. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist Spanien Terra incognita gewesen, ein weitgehend unbekanntes Land am Rande Europas hinter den hohen Pyrenäen. Da muss erst ein US-Amerikaner kommen und schreiben über diesen Landstrich. Zum Glück kann er gut beobachten und tief einsteigen in die Kultur und Gepflogenheiten seines Gastlandes.

Solch ein Hemingway-Bummel durch Pamplona endet am besten an der Plaza de Toros, die im Jahr 1920 eingeweiht wurde. Am Ende der Gasse, die heute als Paseo de Hemingway seinen Namen trägt, thront eine Liebeserklärung in Stein. Vor dieser weltweit viertgrößten Stierkampf-Arena weiht

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Mittendrin und ein Teil davon – Ernest Hemingway im ‚Café Iruña‘ von Pamplona

Das Café Iruña in Pamplona, die gute Stube der Stadt. Foto: W. Stock, April 2024.

Wir tranken im ‚Iruña‘ unseren Kaffee, saßen in den bequemen Korbstühlen und schauten aus der Frische unter den Arkaden auf den großen Platz. Die Korbstühle sind, über hundert Jahren später, neu und immer noch bequem und die Plaza del Castillo nach wie vor noch gewaltig. Das Café Iruña in Pamplona spielt die heimliche Hauptrolle in Ernest Hemingways Erstling The Sun Also Rises. Denn dieses Café Iruña dient den Besuchern aus Übersee als Stützpunkt, von dem sie ausschwärmen in diese merkwürdige Sphären Nordspaniens.

Jacob Barnes und die Freunde kommen aus Paris, wir schreiben das Jahr 1923. Die quirlige Stadt an der Seine ist für einen Amerikaner eh schon die Vorhalle zum Paradies, doch das Baskenland mit einer rustikalen Archaik kann die Pariser Schüttelglas-Drolerie locker übertrumpfen. Nach nur ein paar Zugstunden werden die jungen Leute in einen isolierten Landstrich geworfen, in eine Terra incognita, die geheimnisvoll und sonderbar daher kommt.

So sieht unbekanntes Land aus. Jenseits der Pyrenäen pflegen die Bewohner mittelalterliche Riten und hetzen Bullen durch die engen Gassen der Altstadt. Stossgebete werden in einer knorrigen Sprache gen Himmel geschickt, und ganz normale Frauen und Männer tanzen wie außer Rand und Band zum Trommelwirbel, mit Kränzen aus Knoblauch um den Hals. Über die ganze Szenerie legt sich der Anflug eines ungewöhnlichen Zaubers.

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Die Zeit scheint wie gefroren im Café Iruña von Pamplona. Foto: W. Stock, April 2024.

Nach dem Essen gingen wir hinüber ins Iruña. Es war schon ziemlich voll, und als der Beginn des Stierkampfs nahte, wurde es noch voller, und die Tische wurden dichter zusammengeschoben. Ein dichtes Summen lag in der Luft, wie jeden Tag vor einem Stierkampf. Dieses Geräusch herrschte zu keiner anderen Zeit in dem Café, ganz gleich, wie voll es war. Das Summen hielt sich, und wir waren mittendrin und ein Teil davon.

Alles ist so ganz anders als in der bigotten Heimat. Und der Amerikaner Ernest Hemingway schreibt über all die Merkwürdigkeiten ein dickes Buch. Er verfasst einen Roman, der stilistisch ähnliches anrichtet wie die Jakobiner mit dem französischen Adel. The Sun Also Rises heißt das Werk, in Europa wird es übersetzt mit Fiesta. Die eigensinnige Verneigung des Mannes aus Chicago geht an das geerdete Pamplona. Und müsste man einen Baustein aus der Erzählung herausgreifen, die Wahl würde auf das Café Iruña fallen.

Am liebsten sitzt Hemingway draußen unter den Markisen des Iruña, bei einem Cognac und dem Kaffee. Und sein Blick schweift über die monumentale Plaza del Castillo von Pamplona. Mit einer Bibelstelle aus dem Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. beginnt Hemingway The Sun Also Rises. Das überrascht bei einem Atheisten wie ihm, es muss also etwas bedeuten. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe. Eigentlich müsste The Sun Also Rises in der Übersetzung lauten: Die Sonne aber bleibt ewiglich. Darum geht es. Das „aber“ ist der Schlüssel.

Auch das Café Iruña, von Serafín Mata kurz vor den Sanfermines im Jahr 1888 eröffnet, besitzt diesen Hauch von Ewiglichkeit. Wie in einem Mikrokosmos vereint es Historie und Tradition des Baskenlandes. Von der Belle Époque bis heute scheint die Zeit wie gefroren. Marmortische, goldfarbene Säulen, Riesenspiegel, Emailleschilder, prächtige Leuchten im Jugendstil, die lang gestreckte Theke mit den Rollitos de Queso, den Patatas Bravas oder dem Jamón Ibérico. Im Café Iruña wird alles zusammen geführt. Das Alte und das Neue, die Stadt und das Land, Eleganz und Populäres, der Einheimische und der Fremde, der Millionär und der arme Schlucker.

Die Zeiten konnten dem Iruña wenig anhaben. Das Café hat Krieg und Despotie erlebt, Bombenschlachten und Terror – und doch steht

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Heinrich Heine könnte Ernest Hemingway gemeint haben…

„Wer mit den wenigsten und einfachsten Symbolen das meiste und bedeutendste ausspricht, der ist der größte Künstler.“ Heinrich Heine.

So ziemlich genau ein Jahrhundert liegt zwischen diesen beiden Literaten. Die Weisheiten jedoch, die Heinrich Heine (Düsseldorf, 1797 – Paris, 1856) über die Kunst festgehalten hat, sie trifft auf ihn selbst, aber ebenso auf Ernest Hemingway (1899 – 1961) zu. Die Sätze des bärtigen Amerikaners jedenfalls klingen frisch und unverbraucht. Allerdings auch arg karg und knapp. Es ist Gertrude Stein, seine Mentorin, die den Novizen aus Oak Park zu einer minimalistischen Erzählweise drängt.

Die Literaturwissenschaft lobt die Kürze und Klarheit seines Stils, besonders diese unterkühlte Genauigkeit in den Dialogen. Während andere zeitgenössische Autoren immer noch die gespreizte Stilistik der Klassiker pflegen, kommt Ernest Hemingway auf Anhieb zur Sache. Dieser lakonische Stil, die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze und die kraftvolle Sprache werden typisch für viele Schriftsteller der Lost Generation zwischen beiden Weltkriegen.

Wenn ich anfing, kompliziert zu schreiben oder wie einer, der etwas bekanntmachen oder vorführen will, erkannte ich, dass ich die Schnörkel oder Ornamente ausmerzen und wegwerfen und mit dem ersten wahren einfachen Aussagesatz anfangen konnte, den ich geschrieben hatte. Oben in diesem Zimmer fasste ich den Entschluss, über alles, worin ich mich auskannte, eine Geschichte zu schreiben. Darum habe ich mich beim Schreiben immer bemüht, und das war eine gute und harte Schule für mich. (Ernest Hemingway: Paris – Ein Fest fürs Leben).

Unter dem Einfluss von Gertrude Stein, Sherwood Anderson und dem britischen Romancier Ford Madox Ford perfektioniert der junge Amerikaner seinen journalistischen Romanstil. Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein wirklich guter Erzähler mit eigenem Stil, sondern darüber hinaus auch ein sprachlicher Erneuerer.

Das alles geschieht in Paris, seine sparsame Art zu formulieren, hat der spätere Nobelpreisträger in der Stadt an der Seine erlernt. Für 25 Jahre übrigens das Exil von Heinrich Heine, bis an das Ende. Am 17. Februar 1856 stirbt Heinrich Heine in Paris im Alter von 58 Jahren. Er wird auf dem Cimetière de Montmartre beerdigt.

Es kann kein Zufall sein. Ein wenig ähneln sich manche Daten. Die literaturhistorischen Unterschiede bleiben. Heinrich Heine kommt aus der Romantik, er ist mehr Dichter, bewegt sich in Richtung Aufklärung. Literarisch bereitet er dem Vormärz den Weg. Hemingway hat mit der Politik wenig am Hut und kommt aus der bodenständigen Tradition eines Mark Twains. Es gelingt ihm, die angelsächsische Literatur von den Manierismen der Charles Dickens-Schule zu befreien. 

Was bleibt: Beide sind baumstarke

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Als Ernest Hemingway einmal mit der deutschen Bahn reiste

Ernest Hemingway Reportagen
Dateline: Toronto. Die gesammelten Berichte des jungen Reporters Ernest Hemingway für die kanadische Zeitung Toronto Star.

Nach gut drei Urlaubswochen im Schwarzwald begeben sich Ernest Hemingway und Ehefrau Hadley im August 1922 nach Frankfurt. Der junge Reporter aus den USA macht große Augen in Deutschland. Und bedient fleißig alle Klischees. Die Schraube dreht er bis zum Anschlag. Man sollte dabei nicht alles für bare Münze nehmen. Wir sahen Mütter, die ihren rosigwangigen Kindern Bier aus großen Halbliterkrügen zu trinken gaben. Solches schreibt er am 1. September 1922 im Toronto Star.

In der ersten Klasse fahren die beiden Amerikaner mit der Bahn in Richtung Mainz. Es ist der erste Besuch des jungen Mannes aus Chicago in Deutschland, Ernest fremdelt merklich mit Germany. Das ganze Land ächzt unter der Last des verlorenen Ersten Weltkrieges. Nichts klappt reibungslos, man verwaltet den Mangel und ist froh, wenn es einigermassen läuft. 

Auf dem Bahnsteig des Frankfurter Hauptbahnhofs erblickt Hemingway das ganze Elend. Die Bahn verliert Geld mit jeder Fahrt, und deshalb sieht man ein Minimum an Wagen und ein Maximum an Passagieren. Die Reisenden stehen in den Korridoren wie die Stifte in einer Box. Am Gleis wartet der Express nach Amsterdam, voll wie man sich nur vorstellen kann, aber irgendwie, auf den Fluren und Gängen, kommen alle Passagiere unter.

Der US-Amerikaner deutet die Ursache der Misere an. Die Reparationszahlungen machen es unmöglich to recover into a properous nation. Derart geknebelt sei eine Erholung zu einer Nation mit Wohlstand nicht möglich. Dazu kommen dann noch die Inflation, die sozialen Unruhen und die politischen Turbulenzen. Die Zugfahrt nutzt der junge Korrespondent für ein paar Charakterstudien. 

Ihm fällt einiges auf im Zusammenleben der Deutschen. Am meisten, dass viele Männer ihre Frauen schlecht behandeln. Der deutsche Mann entert als Erster das Zugabteil oder nimmt der Frau direkt einen Sitzplatz weg. Die Ehefrauen lassen die Herabsetzung mehr oder weniger über sich ergehen und schweigen. Ganz anders würde eine Französin in seiner Wahlheimat Paris reagieren, nämlich mit lautstarkem Protest.

Der deutsche Mann drängelt sich gerne vor, auf Kosten seiner Frau. Hubby Dines First, Wifie Gets Crumbs! Gemahl speist als erster, Frauchen kriegt die Krümel! So überschreibt Ernest Hemingway eine Reportage über Essgewohnheiten in der Bahn für den Toronto Daily Star, die am 30. September 1922 in der kanadischen Tageszeitung veröffentlicht wird.

Ernest beobachtet einen Mann, der zur Mittagszeit alleine in den Speisewagen geht. Anderthalb Stunden später kommt er, mit Bierfahne, zurück ins Abteil. In der Hand ein angeknabbertes Käsebrötchen für die Gemahlin, die sich gierig über das kleine Stück Brot hermacht. Die Familie hat gespeist, lautet Hemingways trockenes Fazit.

Doch dem US-Amerikaner ist klar, als Ausländer einer Siegermacht sollte er nicht all zu laut auftreten oder gar einen Streit anfangen. Düstere Gedanken schießen ihm durch den Kopf. Ein Land, das einen Walther Rathenau – den liberalen Reichsaußenminister, der im Juni 1922 von Rechtsradikalen ermordet wurde – tötet, würde nicht zögern, auch ihn ins Jenseits zu befördern.

Kein Wunder, dass Hemingway nicht so recht warm wird mit seinem Gastland. Über das deutsche Idyll macht er sich lustig:

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Goethes ‚Wandrers Nachtlied‘ und Hemingways ‚Best of all‘

Best of all. Sein grandioses Poem ist am Hemingway Memorial in Ketchum, Idaho, verewigt. Foto: W. Stock, 2018.

Zwei Titanen der Literatur. Zwei Poeme. Die Gemeinsamkeiten sind verblüffend. Zunächst Wandrers Nachtlied aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe. 

Über allen Gipfeln
Ist Ruh‘,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.

Dieses Gedicht hat Goethe am 6. September 1780 mit Bleistift geschrieben an die Holzwand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn, einem Berg bei Ilmenau in Thüringen. Ein Klassiker der europäischen Lyrik.

Dagegen, nein, vielmehr Hand in Hand, der Zwilling aus der neuen Welt. Best of all von Ernest Hemingway. Aus dem Jahr 1939.

Best of all he loved the fall
The leaves yellow on the cottonwoods
Leaves floating on the trout streams
And above the hills the high blue windless skies
…Now he will be a part of them forever

Als Bestes von allen liebte er den Herbst,
das gelbgefärbte Laub der Pappelbäume
Blätter, die auf den Forellenbächen treiben
Und über den Hügeln der hohe blaue windstille Himmel
…Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein

Das gleiche Thema. Der Mensch und seine Vergänglichkeit. Bei Goethe wie auch bei Hemingway. Mit jeweils einem apodiktischen Ausklang. Verse, die an die Endlichkeit erinnern. Zugleich ein Poem über die Kraft der Natur. Philosophische Gedanke über die Stellung des Menschen im Kosmos. 

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In beiden Gedichten wird die Zwangsläufigkeit von Werden und Vergehen beschrieben. Die Vehemenz der Natur ist stärker als alles andere. Goethes Wanderer erreicht seinen Ruhepunkt. So wie alle Menschen sich der Natur zurückgeben müssen. Irgendwann. Warte nur! Balde ruhest du auch. Die gleiche Einsicht bei Hemingway. Jetzt wird er auf immer ein Teil von ihnen sein.

Wenn man beide Poeme aufmerksam liest, dann erkennt man, dass man die Botschaft des Mannes aus Chicago, Ernest Hemingway, und des Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe übereinander legen kann. Aufbau, Tonalität und Botschaft ähneln sich.

Eine fast religiöse Demut nimmt man bei beiden Dichtern wahr. Eine Sehnsucht nach dem

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Ernest Hemingway und die Heilung am Meer

Wie klein der Mensch ist am Meer! Auch an dieser Bucht mit diesem tiefblauen Ozean ist Ernest Hemingway gewesen. Der Pazifik vor Acapulco, Mexiko. Foto: W. Stock, 1992.

Das Leben dieses Schriftstellers erschließt sich über das Meer. Das Meer hat mein Schreiben beeinflusst wie nichts anderes, meint Ernest Hemingway. La Mar es la gran influencia en mi vida. Das Meer sei der entscheidende Einfluss auf sein Leben. Er sagt es dem kubanischen Fernsehreporter Juan Manuel Martínez auf Spanisch, der ihn auf Finca Vigía interviewt, nachdem die Nachricht von der Verleihung des Nobelpreises die Runde gemacht hat. 

Trato de comprender la mar, formuliert Ernest Hemingway bei dieser Gelegenheit im kubanischen Fernsehen, ich versuche, das Meer zu verstehen. Ein Schriftsteller will das Meer verstehen. Diese Auffassung überrascht, denn die meisten Autoren wollen die Welt verändern oder zumindest den Menschen ergründen. Ernest Hemingway indes will das Meer verstehen. 

Darum zieht es ihn an Orte, die dem Meer nahe sind. Nach Finca Vigía, nicht weit von Cojímar und dem Golfstrom, nach Venedig, wo sich sein Zimmer im Gritti gleichsam weit in das adriatische Meer schiebt, nach La Cónsula bei Málaga, an die Sonnenküste Andalusiens, nach Barcelona am Mittelmeer, nach Acapulco in Mexiko, nach Cabo Blanco am Pazifik Perus, nach Key West, das ja ebenfalls umrahmt wird vom Meer. 

Sein Wunsch ist immer und überall, nahe dem Meer zu leben. Deshalb liebt er jene Landstriche, die ohne das Meer nicht vorstellbar sind. Der Autor fühlt sich angenommen in den Städten am Meer, die ihre eigene Tradition hochhalten und dennoch den offenen Brückenschlag in die Ferne bilden. Ich bin ein Mann des Meeres, pflegt er zu sagen und man hört diesen Satz oft von ihm. Auch in vielen seiner Werke singt er das Loblied auf das große Meer. 

Auf den ersten Blick mag es erstaunen, wie liebevoll und wie zärtlich dieser Rabauke und Trunkenbold über das Meer und über den Menschen am Meer schreiben kann. Er will das Meer verstehen. Ersetzen wird den Begriff Meer doch einfach durch den Begriff Evolution. Ernest Hemingway will das Wunder des Lebens ergründen. Damit er sich auch selber versteht. Das Meer trägt Geburt und Heilung in sich, es ist das Thema seines Schreibens. Leben und Untergang. Die Gesetzmäßigkeit dieses Kreislaufes der Natur, das Werden und Vergehen, das will er enträtseln und verstehen. 

Ernest Hemingway selbst wird am Meer ein anderer Mensch, vielleicht wird er hier auch erst so richtig zum Menschen. Die Zeit, die ich auf dem Meer vor den spanischen, afrikanischen und kubanischen Küsten verbracht habe, ist die einzige Zeit, die ich nicht verschwendet habe. Er kann sich so wunderbar erfreuen am Geheimnis des Daseins, ganz nahe am Meer, ganz nahe an sich.

So schön überfällt einen das Meer. Mit der Zeit wird man leichtsinnig am Ozean, auch sinnlich und draufgängerisch. Man nimmt endlich wieder den eigenen Körper wahr und entwickelt eine neue Lust am Leben. Deshalb fühlt sich Ernest Hemingway auf Kuba so wohl. Die Glut der Sonne kitzelt so manch verschüttete Begierde, der Mensch begibt sich in jene so selbstverständliche Natürlichkeit, die nur ein Ort am Meer ausstrahlen kann. Man muss nur den Mut aufbringen, sich in diese Körperlichkeit fallen zu lassen.

Wenn man länger am Meer lebt, dann kann man

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Auch in Köln wird Ernest Hemingway von den Nazis in die Flammen geschleudert

Vor der Hochschule in Köln sind Bodenplatten gegen den braunen Terror eingemeißelt. Nebst einer erklärenden Gedenktafel am Portal. Foto: W. Stock.

Am Rheinufer, am Platz vor dem Gebäude in der Claudiusstraße 1, findet vor der Universität im Frühjahr 1933 ein abscheuliches Ereignis statt. Wenige Monate nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erlebt auch das liberale und lebensfrohe Köln das gleiche widerwärtige Schauspiel wie andere deutsche Universitätsstädte.

In Feuer und Rauch werden am 17. Mai 1933 die Werke von Schriftstellern verbrannt, deren Weltbild nicht in das Nazi-Dogma passt. Die Bücher von jüdischen, marxistischen und anderen politisch unliebsamen Autorinnen und Autoren werden öffentlich in einer hysterischen Zeremonie aufgerufen und unter dem Gejohle der Studenten in die Flammen geschmissen.

Organisiert wird die Kampagne unter der Bezeichnung Wider den undeutschen Geist vom Teilen der deutschen Studentenschaft. Öffentliche und akademische Bibliotheken sollen von zersetzendem Schrifttum gesäubert werden. Unter dem Jubel geifern sich Studenten, wissenschaftliches Personal und Professoren an dem Feuer-Spektakel.

In unserer Zeit residiert in der Claudiusstraße die Fachhochschule, Campus Südstadt. Auf dem Platz vor dem Haupteingang der ehemaligen Universität – dem heutigen Sitz der TH Köln Technology, Arts and Sciences – erinnert ein Mahnmal an die Bücherverbrennung durch die Nazis.  Im Jahr 2001 hat der Kölner Kunstkritiker Walter Vitt das Memorial konzipiert. Steinmetz-Lehrlinge des Berufskollegs Ulrepforte haben die Namen von 95 Autorinnen und Autoren, deren Werke 1933 symbolisch vernichtet wurden, in Bodenplatten aus Basalt eingemeißelt.

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Ernest Hemingway darf nicht fehlen, wenn es um die Gegner der Nationalsozialisten geht. Die Hemingway-Bodenplatte an der Hochschule zu Köln. Foto: W. Stock.

Die Liste der Autoren, die in Köln in die Flammen geworfen worden sind, ist lang. Schriftsteller, die zur Elite der Welt gehören, finden sich darunter: Bertolt Brecht, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Claire Goll, Maxim Gorki, Joachim Ringelnatz, Anna Seghers, Stefan Zweig, Franz Kafka, Robert Musil, Arthur Koestler, Oskar Maria Graf, B. Traven, Vicki Baum, Upton Sinclair, Arthur Schnitzler und Hannah Arendt. Und Ernest Hemingway.

Wenig überraschend, möchte man denken. Denn Ernest Hemingway ist den Nazis verhasst. Er, der in der Öffentlichkeit heute gerne als Bellizist gesehen wird, ist in Wirklichkeit ein Gegner des Krieges und der Gewalt. Seit seiner traumatischen Verletzung im Ersten Weltkrieg bei Fossalta ist er jemand, der sich in neben die Unterdrückten einreiht und als Anhänger unbedingter Freiheitsliebe laut aufschreit.

Im Spanischen Bürgerkrieg ist er engagierter Beobachter, mit Herz für die freie Republik. Im Zweiten Weltkrieg marschiert er ein als Korrespondent in das befreite Paris und erlebt dann das Grauen an der tiefblutigen Front des Hürtgenwaldes bei Aachen. Nein, für die Schlacht ist dieser Mann nicht gemacht, obwohl er sich in seinen Kneipenmonologen bisweilen so aufführt. Ernest Hemingway liebt die Freiheit und das Leben zu sehr, als dass er auf tyrannische Bauernfänger und despotische Schufte hereinfallen könnte.

Über das Bodendenkmal informiert eine von dem Kölner Bildhauer Heribert Calleen entworfene Tafel an der Gebäudewand der Hochschule. Das gesamte Mahnmal ist eine Abrechnung mit der braunen Willkür. Und es ist ein Plädoyer für das freie Denken. Zugleich zeigt das Monument aber auch, welche Stärke die Wörter und Ideen entfalten können. Dabei zeugt das Schauspiel der Bücherverbrennung vom wunden Punkt jeder Diktatur. Die Pompösität der Randale soll die Furcht des Despoten vor der Kraft des Wortes verdecken.

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10 knifflige Fragen zu Ernest Hemingway – ein Quiz zu Leben und Werk

Sind Sie Experte in Sachen Ernest Hemingway? Testen Sie Ihr Wissen über den Nobelpreisträger mit 10 leichten bis mittelschweren Fragen.

Sie haben einige Bücher und Kurzgeschichten von Ernest Hemingway gelesen. Sie kennen – nicht zuletzt durch Hemingways Welt – einige Lebensstationen dieses Jahrhundert-Schriftstellers. Dann stellen Sie Ihr Wissen auf die Probe!

Die Biografie von Ernest Hemingway wirft Fragen auf. Und sie ist reich, wie kaum eine andere. Wo ist er nicht alles gewesen? In Pamplona und Andalusien, in Venedig, hoch in den Alpen oder tief im Schwarzwald, in Paris, in der Karibik, in China, in der Türkei, in den Rocky Mountains oder auch in Ostafrika. Auch wenn die Hommage oft nur an der Oberfläche kratzt, das Wirken dieses Mannes bleibt ein Phänomen.

Ein Quiz über Ernest Hemingway schöpft also aus den Vollen. Dazu: Seine Person und sein Tun kann man von seinem Werk nicht trennen. Er lebt wie eine seiner Romanfiguren und er stirbt auch so. William Faulkner, der Nobelpreis-Kollege, meint denn auch, wohl ein wenig neidisch: „Den wenigen, die ihn gut kannten, war er als Mann fast so viel wert wie die Bücher, die er geschrieben hat.“

Dank seines turbulenten Lebens wird es wohl immer Menschen geben, die beim Lesen seiner Geschichten und Romane ins Schwärmen geraten. Ernest Hemingway, der sich von Freunden gerne Papa rufen lässt, kostet das Leben aus. Er schreibt, er lacht, er säuft und er treibt es auch sonst ziemlich bunt. Zuweilen könnte man ihn für einen narzisstischen Rüpel halten. Ach ja, und er schreibt wie ein Titan der Sprache. Viel Stoff. Ein großes Leben für ein kleines Quiz.

Sollten Sie es schaffen, alle 10 Fragen korrekt zu beantworten, dann gratuliere ich. Vielleicht schicken Sie mir eine kurze Info. Es wäre ein Anstoß, mir 10 richtig schwere Fragen auszudenken.

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Ernest Hemingway: Der Schmetterling und der Panzer

The Butterfly and the Tank. Im Monatsmagazin Esquire aus New York, Dezember 1938.

An diesem Abend ging ich zu Fuß vom Zensurbüro heim zum Hotel Florida, und es regnete. So startet Ernest Hemingway seine Erzählung Der Schmetterling und der Panzer. Diese Short Story von knapp 20 Seiten belegt ein weiteres Mal, die Korrespondenzen und Kurzgeschichten aus dem Spanischen Bürgerkrieg gehören mit zum besten, was Ernesto je geschrieben hat. In den Jahren 1936 bis 1939 befindet er sich auf dem Höhepunkt. Als Mann und als Schreiber.

Man kann die Qualität seiner spanischen Depeschen an dieser wenig bekannten Geschichte gut nachvollziehen. The Butterfly and the Tank hat Hemingway für Esquire geschrieben, in der Dezember-Ausgabe des Jahres 1938 wird sie veröffentlicht. Der Ich-Erzähler – ein Schriftsteller, wohl Ernest himself – beschließt, in der Bar Chicote noch schnell einen Drink zu sich zu nehmen. Das Lokal ist rappelvoll und der namenlose Literat setzt sich zu anderen an einen Tisch. 

Plötzlich betritt ein Zivilist in einem brauen Anzug die Bar und beginnt lachend einen Kellner mit einer Insektenspritze zu besprühen. No hay derecho, antwortet dieser, mit Würde. Das darf man nicht. Der Kerl wird aus der Bar geworfen, kommt aber blutverschmiert zurück und spritzt mit wildem Blick um sich. Eine Gruppe Uniformierter packt den Irren, einer der Soldaten setzt ihm eine Pistole auf die Brust und drückt ab. Der Spritzen-Mann liegt tot auf dem Boden. Die Ordnungshüter rücken wenig später an, doch der Mörder ist bereits über alle Berge.

Als die Polizei eingetroffen war, behielt sie alle stundenlang da. Zuerst rochen sie an allen Pistolen, um jene zu finden, mit der vor kurzem geschossen worden war. Tragisch: In der Insektenspritze befindet sich lediglich Eau de Cologne. Eigentlich für eine Hochzeit bestimmt. Das Ganze ist bloß ein übermütiger Jux gewesen. An dessen Ende eine Leiche am Boden liegt. Im Krieg. Bei den Guten. Der Spritzen-Mann hat mit einer Albernheit den Krieg vergessen lassen wollen.

Daraus könne eine gute Geschichte entstehen, merkt der Schriftsteller an zu seinen Tischgenossen. Energisch widerspricht ein Mädchen, das neben ihm sitzt. Er dürfe das nicht schreiben, es würde der spanischen Sache schaden. Als der Autor am nächsten Tag ins Chicote zurückkommt, erhält er vom Besitzer der Bar die gegenteilige Anregung. Er müsse diesen Vorfall unbedingt zu Papier bringen und schlägt als Titel Der Schmetterling und der Panzer vor.

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Esquire. Im Dezember 1938 mit einer Story von Ernest Hemingway aus dem Spanischen Bürgerkrieg.

Der Plot ist dicht und aussagekräftig aufgebaut. Es ist die meisterliche Kunst Hemingways über den Krieg zu schreiben, ohne dass im Text Pulverdampf oder Handgranaten für sprachliche Explosionen sorgen. Vielmehr erzählt er eine ungewöhnliche Geschichte aus dem Alltag in der spanischen Hauptstadt, abseits der Kampfhandlungen. Erstaunlich, wie viel lokales Kolorit der spätere Nobelpreisträger in dieser Kurzgeschichte unterbringt. Man merkt, er ist vor Ort.

Wir vernehmen, dass es bei den Republikanern eine Zensurbehörde gibt, dass durchaus unterschiedliche Sichtweisen bei den Loyalisten existieren. Wir erfahren, dass die Bars wegen des Artilleriefeuers früh schließen, dass der Tabak knapp ist und dass in der Sierra heftig gekämpft wird. Nonchalant streut der US-Amerikaner diese Sachverhalte ein, wir bekommen einiges mit über diesen Bürgerkrieg, denn bei Lichte besehen, diese Geschichte könnte in jeder anderen Großstadt stattfinden, auch ohne Krieg.

Zudem leistet sich Hemingway die eine oder andere versteckte Frotzelei gegen den Freund und Rivalen F. Scott Fitzgerald. Ein wenig ist er der Flit Gun Man, der Kerl mit der Insektenspritze. So hat er Kellner oft schlecht behandelt. Eine bodenlose Frechheit! Für Ernesto ist dieser Berufsstand heilig. Boten im Garten Eden, wenn man so will. Ein Kellner, den ich kannte, diese Formulierung findet sich häufig bei Hemingway, so auch hier. Oder, der Kellner war ein Freund von mir.

In Paris – Ein Fest fürs Leben beschreibt er den Rivalen F. Scott Fitzgerald, wie dieser die Farbe von gebrauchtem Kerzenwachs annahm. Mit grauen Wachshänden und seinem grauen Wachsgesicht wird ebenso der Tote bei Chicote umschrieben. Dazu: Schmetterling. Auch so ein Seitenhieb auf den bisexuellen Kollegen. Und dann diese Spritze. Man sollte einen Freudianer an den Text setzen!

Wie auch immer, selbst im Krieg kann Ernest Hemingway von seinen Kindereien nicht lassen. Zugleich zieht er für sich allerdings die Grenzlinien als Reporter: Der Mann aus Chicago taugt nicht zum Propagandisten. Dazu ist er politisch zu freimütig und vom Charakter zu störrisch. Aber er kann die Atmosphäre des Krieges einfangen, jenseits von Analysen und abseits des Dogmas.

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