Ernest Hemingway auf dem Pazifik vor Cabo Blanco in Peru. Im April 1956. Foto: Modeste von Unruh, AI-colorized. Archiv: Dr. Stock.
Jeder Mensch kämpft einen Kampf. Diese Schlacht ist nicht greifbar und laut, sondern versteckt und dauerhaft. If you want to understand a certain kind of quiet heroism, read Hemingway. He found the extraordinary in the ordinary. Dieses Zitat stammt von Tom Hanks. Das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen finden. So sieht der berühmte Schauspieler das stille Heldentum des hemingway’schen Helden.
Die Hollywood-Legende liegt richtig. Tom Hanks hat die Essenz des Werkes von Hemingway verstanden. Nebenbei bemerkt: Der Mime besitzt ein Ferienhaus in Ketchum, dem Sterbeort von Ernest. Als Schauspieler dramatischer Rollen vermag er den Kern von Hemingways Helden wohl klarer zu erkennen als andere. Was nicht ganz einfach ist. Denn Papas Helden leiden, aber sie leiden still. Doch bei Hemingway kann das Schweigen lauter sein als der Radau.
Der Nobelpreisträger von 1954 ist ein Virtuose des Weglassens. Es ist wie der Blick auf den Eisberg, zwischen den Zeilen steht mehr als erzählt wird. Einerlei, ob es sich um den Boxer handelt, der seine besten Jahre hinter sich hat. Oder um den Soldaten, der den Krieg nicht aus seinem Kopf bekommt. Oder um den Stierkämpfer, der um eine Corrida bettelt. Hemingways Protagonisten suchen nach Würde in einer Welt, die für Verlierer wenig bereithält. Trotzdem muss der Held seinen letzten Kampf ausfechten.
Seinen letzten Kampf? Ernests Leitfiguren – häufig Stierkämpfer, Jäger oder Fischer – kämpfen, um ihre Würde zu bewahren. Ihr Kampf ist leise und unsichtbar und wird zur Bewährungsprobe. Wie bei dem alten Fischer Santiago in Der alte Mann und das Meer. Seine Niederlage gegen die Haie symbolisiert nicht das Scheitern. Sondern den inneren Sieg. Stolz, Durchhaltevermögen und Hoffnung wiegen stärker als das Debakel.
Jeder Kampf in den Erzählungen des Ernest Hemingway ist weit mehr als nur eine physische Auseinandersetzung. Letztlich folgen seine Helden einer ethischen Überzeugung: Tapferkeit und Würde im Angesicht des Todes. Von den Protagonisten fordert die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit große Seelenstärke und Charakterfestigkeit. Äußerlich lassen sich die inneren Konflikte nicht lösen. Es sei denn, man gibt auf. Für den bärtigen Naturburschen vom Michigan See selbstverständlich keine Option.
In seinen Erzählungen umreißt Ernest den Konflikt, unter schwierigen Bedingungen mit Würde zu leben. Der Mann aus Chicago zeigt, dass Haltung und Mut im Kampf eine tiefere Bedeutung haben als der Sieg selbst. Am meisten beeindruckt, wie diese Helden mit einer Niederlage umgehen. Trotz der Pleite starten sie jeden Tag einen weiteren Versuch. Kein großes Wehklagen. Kein Lecken der Wunden. Ohne jede Motivation von außen.
Der alte Mann Santiago strahlt trotz seiner Niederlage eine menschliche Größe aus. Weil er sich nicht besiegt gibt und am nächsten Tag mit seinem armseligen Fischerboot wieder herausfahren wird. Und jeder Mensch, diese Botschaft will Ernest uns mit auf den Weg geben, vermag seine ureigene Würde zu wahren. Denn Siegen ist einfach. Die Niederlage hingegen verliert ihr Stigma, wenn der Verlierer mit moralischer Stärke antwortet.
Oft sind es traditionelle Werte und Ansichten, die vor dem Schlimmeren schützen. Wertvorstellungen, die Ernest nicht in den satten USA vorgefunden hat, sondern in bitterarmen Ländern wie Kuba und Spanien. Katholische Glaubenssätze wie Sünde, Buße und Vergebung erlebt er besonders während der Semana Santa in Andalusien und bei den Sanfermines im Baskenland. Insofern sind Hemingways Werte weder neu noch fremd. Dieser ungehobelte Autor hat den althergebracht Wertekanon des Abendlandes nur neu verpackt und in die heutige Zeit geschoben.
Hemingways säkulare Helden stellen sich dem Leben und dem Tod mit kühler Geradlinigkeit. Seine Protagonisten kommen
Er solle sich mit dem Aufregenden befassen, das er in Europa vorfinde. Pamplona, da gäbe es alljährlich ein Spektakel rund um Leben und Tod. Ernest beherzigt den Ratschlag der Gertrude Stein. Und so nimmt die Literaturgeschichte ihren Lauf.
Am 8. Februar 1922 besuchen Ernest Hemingway und seine Frau Hadley zum ersten Mal die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein, es ist eine Einladung zum Nachmittagstee. Die wohlhabende Kunstsammlerin und einflussreiche Mäzenin wohnt in Paris zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Alice Toklas in einem feudalen Apartment in der Rue de Fleurus. Gertrude Stein ist zu jenem Zeitpunkt 48 Jahre alt, Ernest gerade einmal 22. Die resolute Frau nimmt schnell die Aufgabe einer Mentorin ein für den jungen Mann aus Oak Park.
Gertrude Stein ist eine Schriftstellerin von ungeheuerem Fleiß und mit Mut zur Veränderung. Sie veröffentlicht originelle Erzählungen und Bühnenwerke, auch der Umfang ihres Briefwechsels bleibt beachtlich. Mit ihrer experimentellen Erzählweise – wie in ihrem tausend Seiten dicken Hauptwerk The Making of Americans – setzt sie sich über die üblichen grammatikalischen Konventionen hinweg, verzichtet weitgehend auf Satzzeichen und baut endlose Variationen und Satzwiederholungen ein. Doch der kommerzielle Erfolg der risikofreudigen Autorin erreicht nicht den verdienten Ruhm. Ihr Einfluss auf die Vertreter der Lost Generation allerdings bleibt beachtlich, gleichermaßen wie ihre Rolle als Vorkämpferin feministischer Ideale.
Paris in den 1920er Jahren ist ein brodelnder Ideentopf. Auf einmal wird nicht mehr nur impressionistisch oder expressionistisch gemalt, sondern es elektrisieren Stilrevolutionen wie Kubismus, Surrealismus und Dadaismus. Künstler malen wirr und konfus, wie aus einem überdrehten Traum. Schriftsteller schreiben ohne Punkt und Komma, mancher Roman liest sich wie aus dem Tollhaus geworfen. All dies ist eine aufregende Welt für einen Arztsohn aus dem biederen Speckgürtel von Chicago.
Bei Frau Stein in Paris gehen die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche ein und aus. Die Maler Pablo Picasso, Henri Matisse, Juan Gris und Georges Braque, auch die Schriftsteller Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald, Ford Madox Ford und James Joyce oder die Komponisten Darius Milhaud und Arthur Honegger. Zu ihnen gesellt sich ab Februar 1922 ein unbekannter Journalist namens Ernest Hemingway. Der hochgewachsene Korrespondent für die kanadische Tageszeitung Toronto Star fällt auf durch ein gesundes Selbstbewusstsein und höhere Ambition.
Die Mäzenin aus Pittsburgh ist eine Person von Einfluss und Erfahrung in den Pariser Künstlerkreisen, sie findet Gefallen an dem kernigen Kerl und fördert seine Begabung als Autor. Sie erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf den ersten Blick. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, sagt sie. Doch mehr als einmal fällt der hemdsärmelige Amerikaner unangenehm auf in der soignierten Runde des literarischen Salons in der Rue de Fleurus 27.
Der junge Journalist redet in einem fort über Sex. „A man talking so much about sex“, meint Frau Stein pikiert, „must be either important or impotent.“ Wer so viel über Sex redet, der müsse entweder important oder impotent sein. Auch Hadley hat zu knabbern. Die bodenständige Mrs. Hemingway wird mit der lesbischen Künstlerin nicht so recht warm und fühlt sich in deren Gesellschaft unwohl. Sprachlos reagiert sie, als Gertrude Stein vorschlägt, Hadley solle ihr schönes langes Haar doch kurz schneiden lassen.
Trotz manch Reibereien wird Gertrude Stein zu einer scharfsinnigen Lehrmeisterin für den angehenden Erzähler. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert umsichtig, regt Verbesserungen an. Als sie das Manuskript Up in Michigan durcharbeitet, bezeichnet sie die Geschichte als unpublizierbar. Gertrude Stein hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich in der nördlichen Seenlandschaft seiner ländlichen Heimatregion ab. Er möge doch nicht über Dinge schreiben, die keiner lesen will. Im gebeutelten Europa lägen die Themen doch auf der Strasse.
Klar und deutlich erkennt die lebenskluge Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen Korrespondentenvertrag zu kündigen, ermutigt sie ihn, ins Risiko zu gehen. Ihre literarischen Ratschläge sind für den Novizen noch wichtiger.
Zunächst sensibilisiert Gertrude Stein den jungen Autor für die Wichtigkeit der Wörter, sie erklärt ihm die Bedeutung von Wortwiederholungen, drängt ihn zu einer minimalistischen Erzählweise, Ernests lakonische Sätze zeigen ihren Einfluss. Der junge Journalist akzeptiert Gertrude Stein als seine Lehrmeisterin, es geht so weit, dass er ihre Angewohnheiten kopiert und beispielsweise seine Texte in einem blauen Notizbuch festhält, ganz wie sie. Ernest zeigt sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler.
Hemingway, der nie eine Hochschule besucht hat, lernt schnell. Ab 1924 ist er nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen. Seine Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein literarischer Stil beginnen sich zu festigen. Auch die Leser erkennen sein Talent. Sein erster großer Roman The Sun Also Rises – er spielt vorwiegend in Pamplona während der Sanfermines – schlägt 1926 ein wie eine Bombe. Ernests Art zu schreiben und seine Themen wirken unverbraucht und freiheraus.
Der Erste Weltkrieg hat die Menschen verändert. Die Kämpfe an der Front sind grausam gewesen. Ein solcher Zivilisationsbruch lässt eine lost generation zurück, der Begriff ist von Gertrude Stein geprägt. Er meint eine Generation, deren Werte und Zuversicht mit einem Schlag zerstört worden sind. Mit dem Naturburschen, der rund um den Lake Michigan aufgewachsen ist, kommt nun ein neuer Typus in die Welt der Literatur. Ernest Hemingway schwingt sich empor zur Stimme der belesenen Mittelschicht, dieses Mannsbild erstrahlt als Identifikationsfigur, auf die so viele gewartet haben. Endlich! Ein Erlöser, wenn man will, literarisch zumindest.
Privat vertieft sich die Freundschaft zunächst. Gertrude Stein und Alice Toklas werden Taufpatinnen von Sohn John, der im Oktober 1923 geboren wird und in Paris aufwächst. Liebevoll kümmert sich das lesbische Paar um den Sprössling der Hemingways, es geht mit dem Baby spazieren, besucht die Spielplätze und die Parks, wie den Jardin du Luxembourg, der bei der Rue de Fleurus um die Ecke liegt.
Die Freundschaft jedoch zerbricht nach wenigen Jahren, 1926 verkracht sich Ernest mit Gertrude, es sind
Oje, die Krawatte mal wieder viel zu kurz gebunden. Ernest Hemingway auf Reisen. In Talara, in Nordperu, am 16. April 1956. Foto: Mario Saavedra-Pinón.
In einer famosen Reportage für die Zeitschrift HOLIDAY lässt Ernest Hemingway im Juli 1949 tief in sein Inneres blicken. Seit zehn Jahren lebt der amerikanische Starautor auf einem tropischen Anwesen in der Nähe von Havanna. Die Menschen fragen mich, warum ich auf Kuba lebe, und ich sage, weil ich es mag. So weit, so gut. Doch jetzt wird es spannend. Ich kann natürlich auch sagen, ich lebe gerne auf Kuba, weil ich Schuhe nur anziehen muss, wenn ich in die Stadt fahre. Schuhe, immer wieder die Schuhe.
Kein Zweifel, der US-Amerikaner passt wunderbar zu Kuba. Zu dem anarchischen Alltag, zu dem beschaulichen Ehrgeiz, zur entspannten Lebenslust. Er kann sich nicht vorstellen, in New York oder Boston zu leben, seine Heimat ist ihm über die Jahre irgendwie fremd geworden. Und so lässt er sich auf der Insel am liebsten mit Ernesto ansprechen, als einer der ihren. Ernest Hemingway ist ein altmodischer Mann in einem altmodischen Land.
Der Schriftsteller hasst diese aufgesetzte Theatralik anderenorts. Das Geschnatter in der Großstadt, die sozialen Verwicklungen der urbanen Mittelschicht. Alles Oberfläche für ihn, im besten Falle Zerstreuung und Ablenkung vom Alltag. Darum sollen sich andere Autoren kümmern, sein Kosmos ist bodenständig und heißt Italien, Andalusien und Ostafrika. Es sind die Berge und Wälder, die ihn faszinieren, die wilden Stiere, die weite Steppe, das blaue Meer.
Als sein Nachbar Frank Steinhart in San Francisco de Paula April 1948 den Besuch des feinen Duke of Windsor anzeigt und zu einer eleganten Party lädt, da muss er mehrmals überredet werden. Eigentlich will er dort nicht hin, es ist nicht seine Welt. Lieber bleibt er auf seiner Finca Vigía. Doch Steinhart lässt nicht locker, drängt wiederholt am Telefon, Ehefrau Miss Mary pocht ebenfalls auf Teilnahme ihres Gatten.
Schließlich lässt der prominente Schriftsteller sich breitschlagen und geht widerwillig hin. Allerdings nicht in feinem Zwirn und langer Hose, sondern wie im Alltag, in Shorts und Sandalen. Ganz so, als komme er geradewegs vom Swimming-pool im Garten. Unter all den Anzugsträgern wird der Autor zum Tuschel-Thema des Abends. Doch der ehemalige König Eduard VIII. nähert sich ihm, man unterhält sich zwanglos. Schließlich legt der englische Aristokrat sein Jackett ab und lockert seine Krawatte.
Schuhe, Schlips, Sakko. Ein Graus für Ernesto. Wenn er auf Reisen ist, zieht er im Hotelzimmer als erstes das dicke Jackett und sein langärmeliges Hemd aus. Er entledigt sich der langen Hose, schießt die steifen Schuhe in die Ecke, rupft die Socken und feuert die blöde Krawatte in den Koffer. Dann kramt er die weißen Shorts hervor, streift ein kurzärmeliges Polo aus Baumwolle über und schlüpft in offene Sandalen.
Freunden und Besuchern fällt auf, dass er wenig Wert auf Kleidung legt. Die Farbe des Jacketts, in der Regel grünlich, ist, nun ja, von unbegrenzt modischem Zauber. Man sieht, der prominente Autor hat es nicht so mit dem Äußeren. Die Hose oft zu knapp geraten, die Krawatte meist zu kurz gebunden, die Fußbekleidung ungeputzt. Gerade in lateinamerikanischen Gefilden ist dies ein No-Go, denn in jenen Breiten gilt gutes und sauberes Schuhwerk als Ausweis von Vornehmheit.
Doch vornehm will er nicht sein. Allüren und Blasiertheit sind ihm fremd. Die Optik ist ihm einerlei. Und Schuhe hasst er wie die Pest. Am liebsten läuft er barfuß rum wie ein armer Schlucker. Bestenfalls schlüpft er in Sandalen oder Mokassins. Den feinen Anzug und dunkles Schuhwerk braucht er nicht, da kann der Kaiser von China kommen.
Trotzdem wird die Party beim Nachbarn Steinhart dann doch noch zum Erfolg. Denn der Duke of Windsor ist eine verdammt
Pete Carvill: A Duel of Bulls – Hemingway and Welles in Love and War. Foto: Archiv Dr. Stock.
Eines habe ich bei Amerikanern und Briten immer bewundert: Buchtitel entwerfen können sie wie die Götter. Das hier ist so einer: A Duel of Bulls. Kampf der Bullen, so müsste die deutsche Übersetzung wohl lauten. Die beiden Stiere sind zwei Männer. Es geht um die Rivalität zwischen Ernest Hemingway und Orson Welles. Zwei Jahrhundert-Künstler. Spanien-Liebhaber bis aufs Blut. Das ist die Klammer, davon erzählt diese Neuerscheinung.
In Spanien werden beide oft verwechselt. Statur und Habitus gleichen sich. Groß, kräftig, etwas beleibt, ein dichter Bart. Den irdischen Genüssen zugewandt. Dem Autor gelingt es, die Charakterzüge seiner Protagonisten herauszuarbeiten. Ernest Hemingway, der Spanien-Liebhaber, der die Feigheit verachtet. Orson Welles, immer auf der Suche nach Investoren für seine seltsamen Filmprojekte.
Dennoch sind beide unterschiedlich. Hemingway ist – entgegen seiner Fama – diszipliniert und zielgerichtet. Orson Welles lebt als ein Genie im Chaos. Er hat Kinofilme gedreht, die es nie in die Lichtspielhäuser geschafft haben. Kleine Filme aufgenommen, die große fünf Minuten enthalten. Und drei, vier Meisterwerke entworfen. Der beste Spielfilm aller Zeiten, so Kritiker, zahlt ein auf sein Konto: Citizen Kane.
Carvills Buch kommt daher als lockerer Mix aus facts und fiction. Kein Sachbuch, dazu ist es zu unterhaltsam. Kein Roman, denn dafür bewegt sich das Werk zu sehr an der Wirklichkeit. So begleiten wir Ernest Hemingway in Spanien. Die Themen liegen auf des Amerikaners Seele. Seine Liebschaft mit Martha Gellhorn, der Bruch der Freundschaft mit John Dos Passos, die Querelen zwischen Ernesto und Orson Welles rund um den Film The Spanish Earth. Und auch Orson Welles sieht Spanien als Heimat seines Herzens.
Das Buch schildert diese Passion der beiden. Fürs Schreiben über Spanien bei dem einen, fürs Filmdrehen bei dem anderen. Dazu die Frauen. Beide Männer sind fixiert auf amouröse Leidenschaft und kommen irgendwie doch nicht so richtig ans Ziel. Der Don Quijote, das nie zu Ende gelangte Filmprojekt von Orson Welles, steht symbolisch für dieses Scheitern. Großartiger Stoff, indes der beste Künstler muss sich daran verheben.
Die Unterschiede werden einem klar. „Ich bin ein Mann, der im falschen Jahrhundert lebt“, meint Orson Welles und liegt damit wohl richtig. Er ist ein Renaissance-Mensch, ein Falstaff, aber keiner, der in die Moderne springen mag. Hemingway hingegen geht auf in seiner Zeit, all die Umbrüche, Kriege und Abenteuer fließen ein in seine Erzählungen.
Überhaupt Spanien. Es ist der Dreh- und Angelpunkt in diesem Buch. Das Glück liegt nicht in Spanien, ist in Carvills Buch zu lesen, das Glück ist Spanien. Der fremde Kosmos südlich der Pyrenäen hat beide Amerikaner fasziniert, mehr noch, sie sind der iberischen Kultur mit Haut und Haaren verfallen. Orson Welles drückt es deutlich aus: „Ich bin ein altmodischer Mann in einem altmodischen Land.“ Touché. Dieser Fürst des Hedonismus kann mit der Moderne wenig anfangen.
Mit den letzten Tagen von Hemingway und Welles endet das Buch. Ernesto stirbt in Ketchum, von
Mario Vargas Llosa im Januar 1986. In seinem Haus am Meer in Lima/Peru. Foto: Norbert Böer.
Mit dem Ableben von Mario Vargas Llosa endet die Epoche der lateinamerikanischen Boom-Generation. Vieles hat der Peruaner sich von seinem Nobel-Kollegen Ernest Hemingway abgeschaut.
Am Malecón Paul Harris wohnte Vargas Llosa in einer gigantischen weißen Villa mit Blick auf den Pazifik. Dort auf der Anhöhe über der Brandung des Meeres in Limas feinem Stadtteil Barranco waren Don Mario und seine Ehefrau Patricia allerdings nur selten anzutreffen. Eher konnte man ihnen in London, Barcelona oder Madrid über den Weg laufen. Die spanische Hauptstadt wurde in den letzten Jahrzehnten das neue Zuhause, 1993 nahm der Schriftsteller zusätzlich die spanische Staatsbürgerschaft an.
Das erste Mal traf ich Mario Vargas Llosa Anfang der 1980er Jahre in Lima. In den Reichenviertel von Perus Hauptstadt, in Miraflores und San Isidro, hingen damals über Nacht Hunde mit den Hinterpfoten an Laternenpfähle und im Maul der toten Viecher steckte eine Stange Dynamit. Die Drohung schickte eine maoistische Terrorgruppe, die sich die Bezeichnung Sendero Luminoso zugelegt hatte. Poetisch war beim Leuchtenden Pfad nur der Name. Am Ende von 10 Jahren Terrorschrecken standen 70.000 Tote.
Geboren wurde Jorge Mario Pedro Vargas Llosa im März 1936 in Arequipa, dem Zentrum im Süden Perus. Der Vater Ernest arbeitete als Telegraphist und Flugplatzfunker in Tacna, die Mutter Dora entstammte dem angesehenen Bildungsbürgertum, ihr Vater wirkte als Präfekt in Piura. Im kolonialen Arequipa, einem großen Dorf, laufen die Uhren gemächlich über den Tag. Mit Lima, dem hektischen Getöse und seinem unsteten Bürgertum, ist Vargas Llosa eigentlich nie richtig warm geworden. Schon in jungen Jahren zog es ihn nach Europa, nach Paris und Barcelona.
Mario Vargas Llosa hat über zwei Dutzend Romane veröffentlicht. Kritiker und Leser loben vor allem sein Frühwerk. Die Stadt und die Hunde (La ciudad y los perros), Gespräch in der Kathedrale (Conversación en La Catedral) und Das grüne Haus führten weltweit zu seinem Durchbruch als Autor. Der Peruaner überzeugte als ein opulenter Geschichtenerzähler und als ein vollendeter Handwerker der Sprache. Dabei orientierte er sich am Konzept des totalen Romans und des komplexen Erzählens. Die Aufgabe dieser Literatur liegt darin, ein umfassendes Abbild der Wirklichkeit in all seinen Facetten zu erfassen.
Tollkühn hat sich Mario Vargas Llosa im Jahre 1990 in ein Abenteuer gestürzt, so bunt und wild wie aus dem Roman. Als haushoher Favorit gestartet, bewarb er sich um das Präsidentenamt seines vom sozialistischen Populisten Alan García gründlich ins Elend herunter gewirtschafteten Landes. Doch Vargas Llosa verlor deutlich gegen einen unbekannten Agraringenieur japanischer Abstammung mit Namen Alberto Fujimori. Diese Niederlage hat Vargas Llosa, den brillantesten Sohn der Nation, schmerzlich getroffen.
Doch die Indios und Mestizen, die Mehrheit der Wähler, hatten ihn einer knappen und harschen Beurteilung unterzogen: zu weiß, zu reich, zu europäisch. Für die Welt der Kultur freilich bleibt es ein Segen, dass Mario Vargas Llosa die Präsidentenwahl im Juni 1990 mit Pauken und Trompeten verloren hat. Sonst hätten die Peruaner einen vorzüglichen Schriftsteller weniger und einen lausigen Präsidenten mehr gehabt.
Unbeschwert fühlte sich MVLL, so wird er in Peru tituliert, vor allem in der frankophonen Welt. Im Februar 2023 wurde er – als erster nicht französisch schreibender Autor – in die ehrwürdige Académie française aufgenommen. Diese Ehre bedeutete ihm viel, den die schwierigen Anfangsjahre hatte er in Paris verbracht. Wie seine Vorbilder Jorge Luis Borges und Ernest Hemingway.
Dieses Foto hätte MVLL gefallen. Zusammen mit Ernest Hemingway in einem Straßencafé von Lima. Solches gelingt nur der KI, hier aus der AI Grok-Fabrik.
Die Parallelen zwischen Hemingway und Vargas Llosa fallen ins Auge. Beide kommen aus gutbürgerlichen Familien und haben blutjung als Journalist angefangen. Ernest Hemingway mit 18 Jahren im Oktober 1917 beim Kansas City Star, Mario Vargas Llosa – noch im Schulalter – in den Sommerferien 1952 bei La Crónica in Lima.
Bei dem bärtigen Kollegen aus Oak Park hat sich Vargas Llosa den Aufbau eines Spannungsbogens abgeschaut, ebenso wie das Anlegen einer Dialogführung. Alles nicht eins zu eins, vielmehr gelingt es dem Peruaner, die Techniken kreativ auf den magischen Realismus Lateinamerikas umzulegen. Mario Saavedra-Pinón, einer der großen Publizisten Perus, meint, Vargas Llosa schreibe als Journalist mindestens ebenso gut wie als Romancier. Gleiches darf auch für Ernest Hemingway gelten.
Guter Journalismus als Lehrklasse für gute Romane. So funktioniert es bei vielen. Das Leben als Abenteuer, auch diese Maxime teilt Mario Vargas Llosa mit dem bärtigen Kollegen aus Oak Park. Der Peruaner ging wie Ernesto hinaus in die Welt, er reiste umher, nicht als Tourist oder zur Erholung, sondern zur Inspiration, als jemand, der
Die legendäre Paris Review. In der Nummer 18, im April 1958, wird ein ausführliches Interview mit Ernest Hemingway veröffentlicht. So grandios, wie sonst nirgends.
Das beste Interview mit Ernest Hemingway findet man in der Paris Review. In diesem US-Magazin verrät ein Autor in heiterer Laune, was ihm für sein Schreiben wichtig und existenziell scheint. Der amerikanische Nobelpreisträger, der auf Kuba lebt, gibt selten Interviews. Das Räsonieren und gelehrt daher reden liegt ihm nicht. Schon gar nicht will er über seine Bücher diskutieren.
Für die Paris Review macht er eine Ausnahme. Das lange Gespräch mit ihm führt Chefredakteur George Plimpton, die Zeitschrift wird es in der Nummer 18, im Frühjahr 1958, veröffentlichen. In dem tief schürfenden Gedankenaustausch, der Anfang März auf Finca Vigía stattfindet, verrät der bärtige Schriftsteller seine Techniken und Angewohnheiten, die Stil und Prosa zu Gute kommen.
Wenn ich an einem Buch oder an einer Geschichte arbeite, dann fange ich jeden Morgen nach Tagesanbruch an, so früh wie möglich. Niemand ist da, der einen stört, und es ist frisch und kühl, und man geht mit Tatkraft ans Werk. Zuerst lese ich, was ich gestern geschrieben habe. Denn ich höre immer dann auf, wenn ich mich noch im Schreibfluss befinde und weiß, wie es weitergehen soll. An das gestrige Pensum knüpfe ich dann an. Ich schreibe solange, wie die Energie reicht und ich den Fortgang der Handlung im Kopf behalte. Sodann schließe ich mein Tagespensum ab mit der Vorfreude auf morgen. Und am nächsten Tag lege ich dann wieder los.
George Plimpton besucht Ernest Hemingways auf Kuba und beschreibt sein Anwesen in San Francisco de Paula, mit scharfem Blick auf die Arbeitsnische im Schlafzimmer. Die vollgestopften Bücherregale, den übervollen Schreibtisch mit Zeitungen, Manuskripten und den Stapeln Papiere.
Le mot juste – die richtigen Worte finden
Plimpton fragt, wie viel er denn umschreiben müsse. Es kommt darauf an, antwortet Ernest Hemingway. Ich habe das Ende von ‚In einem andern Land‘ oft umgeschrieben. Die letzte Seite neununddreißigmal, bevor ich zufrieden gewesen bin. ‚Worin lag das Problem‘, fragt der Interviewer. Die richtigen Worte zu finden, antwortet Hemingway knapp. Le mot juste, so umschreibt die französische Literaturwissenschaft den Anspruch an das treffende Wort. An den millimetergenau passenden Begriff. Und auch Hemingway gibt sich nicht zufrieden, bis er das vollkommene Wort gefunden hat.
Mit offenen Fragen kitzelt George Plimpton einiges aus Ernesto heraus. Der Journalist aus New York ist ein Profi, zumal er als Chefredakteur von 1953 bis zu seinem Tod im September 2003 die Geschicke der Zeitschrift lenkt. Der Nobelpreisträger, in beschwingter Stimmung, redet frei heraus. Wer denn seine Vorbilder seien?
Mark Twain, Flaubert, Stendhal, Bach, Turgenjew, Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Andrew Marvell, John Donne, Maupassant, der gute Kipling, Thoreau, Captain Marryat, Shakespeare, Mozart, Quevedo, Dante, Virgil, Tintoretto, Hieronymus Bosch, Brueghel, Patinir, Goya, Giotto, Cézanne, Van Gogh, Gauguin, San Juan de la Cruz, Góngora – ich bräuchte einen Tag, damit mir jeder in den Sinn kommt.
Bei der Aufzählung überrascht, dass die Liste sich nicht nur auf Literaten beschränkt. Auch Maler und Komponisten befinden sich darunter. Dies bedarf einer Erläuterung.
Ich habe auch Maler genannt, weil ich von den Malern genauso viel über das Schreiben gelernt habe wie von Schriftstellern. Sie werden fragen, in welcher Hinsicht? Das würde einen weiteren Tag der Erklärung erfordern. Ich denke, was man auch von Komponisten und aus dem Studium der Harmonielehre und des Kontrapunkts lernen kann, ist klar und deutlich.
Die Paris Review wird 1953 in der französischen Hauptstadt von einer Gruppe enthusiastischer US-Literaten gegründet. Die Zeitschrift fördert und veröffentlicht etablierte als auch junge Autoren, vorwiegend aus dem angelsächsischen Sprachraum. Die Mission der heute vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift besteht darin, die Entwicklung kreativer Menschen, seien es Schriftsteller oder andere Künstler, zu fördern. In über sieben Jahrzehnten hat das Magazin viel zur öffentlichen Wertschätzung in Literatur und Grafik beigetragen. Als Mäzen des Literaturmagazins wirkte in den Anfangsjahre der steinreiche Aga Khan, der die Finanzierung sicherte. Der Multimillionär übernahm die Rolle des Verlegers für 23 Jahre.
Mit den Augen schreiben
Wie sein Handwerk funktioniere, fragt Plimpton. Ich glaube, es für einen Schriftsteller schwierig, darüber zu sprechen, wie er schreibt. Ich schreibe, um vom Auge gelesen zu werden. Über diesen Sachverhalt sollte keine weitere Erklärung nötig sein. Wenn sie mit den Augen schreiben, können sie sicher sein, dass die Prosa mehr enthält, als man beim ersten Lesen erkennen wird.
Rasch findet die Paris Review Anerkennung in der englischsprachigen Literaturszene. Der Erfolg hängt vor allem mit George Plimpton zusammen. Er macht die Zeitschrift zu seinem Lebenswerk. „I would give up my own writing before I would give up editing The Paris Review“. Der Chefredakteur ist ein Spitzenkönner in der Liga der Literaturkritik. Ob Hemingway andere Autoren als Konkurrenten sehe?
Noch nie. Früher habe ich versucht, besser zu schreiben als der eine oder andere bereits verstorbene Autor, von dessen Prosa ich beeindruckt gewesen bin. Seit geraumer Zeit versuche ich einfach, so gut zu schreiben, wie ich kann. Manchmal habe ich Glück und schreibe besser, als ich es kann.
Seit der ersten Ausgabe wird die Paris Review gerühmt für ihre Art of Fiction-Interviews, in denen zeitgenössische Schriftsteller über ihre Handwerkskunst sprechen. Diese Gespräche mit Autoren werden von den Lesern verschlungen. Von Ersterscheinen im Jahr 1953 bis zum Frühjahr 2025 wurden über alle Ausgaben des Magazins hinweg weit über 450 Autoren interviewt, viele von ihnen gelten heute als moderne Klassiker. „Kommen Ihnen die Buchtitel, während Sie an der Geschichte arbeiten?“, fragt George Plimpton den Nobelpreisträger von 1954.
Nein. Ich erstelle eine Liste mit Titeln, erst nachdem ich die Erzählung oder den Roman fertiggestellt habe. Bisweilen stehen auf der Liste bis zu hundert Vorschläge. Dann fange ich an, zu streichen. Manchmal streiche ich alle.
Das Interview macht Ernest Hemingway sichtlich Freude. Kluge Fragen, kluge Antworten. Hier ist sein Leben und seine Berufung drin. Der Schriftsteller mit dem ergrauten Bart wird in seinem kubanischen Refugium herausgefordert. Nicht zuletzt, auch über sich nachzudenken. Wir schreiben das Jahr 1958, der Korridor bis zu seinem Tod ist nicht arg lang. Er spürt es. Der Gedankenaustausch scheint wie der Rückblick auf ein großes Literatenleben. Möglicherweise redet hier ein Mensch von seinem literarischen Vermächtnis. Auf jeden Fall bietet das Gespräch die eine oder andere Anregung für die nachfolgenden Generationen.
Schreiben wie beim Blick auf einen Eisberg
Für Ernest Hemingway ist das Beobachten die Königsdisziplin eines Autors. Wenn ein Schriftsteller aufhört zu beobachten, ist er am Ende. Er darf jedoch weder einseitig beobachten, noch an das Ergebnis denken. (…) Ich versuche, nach dem Prinzip des Eisbergs zu schreiben. Auf jeden sichtbaren Teil kommen sieben Achtel unter Wasser. All ihr Wissen sollten Sie weglassen, es wird dadurch den Eisberg stärken. Ihre Kenntnis wird zum Anteil, der nicht sichtbar ist.
Plimpton berichtet davon, wie Hemingway seinen täglichen Fortschritt festhält, auf einer großen Tabelle, die er aus der Seite eines Kartons gebastelt hat und an der Wand unter der Trophäe eines Gazellenkopfes aufgehängt hat. Die Zahlen mit dem täglichen Wortausstoß variieren bei 450, 575, 462, 1.250 und 512. Eine höhere Produktivität entlastet das schlechte Gewissen, der kernige Naturbursche kann den nächsten Tag unbeschwert mit dem Angeln im Golfstrom verbringen. Doch Obacht: Bei allen Zahlen, Ausführlichkeit ist nicht Hemingways Ziel, im Gegenteil. Die gerade mal hundert Seiten von Der alte Mann und das Meer zeigen es beispielhaft auf.
‚Der alte Mann und das Meer‘ hätte ich auch über tausend Seiten lang schreiben können. Ich hätte jede Figur des Dorfes entwerfen und ihren Alltag beschreiben können. Wie die Fischer ihren Lebensunterhalt verdienen, wie ihre Kindheit verlaufen ist, die Erziehung, ob sie Kinder haben, und so weiter. Das können manche Autoren hervorragend. Ich jedoch habe ein anderes Konzept verfolgt. Zunächst habe ich versucht, alles auszusondern, was den Leser von der Kernhandlung ablenkt. Mit dem Ziel, dass ich Unmittelbarkeit schaffe. Alles soll der eigenen Phantasie des Lesers dienen und so erscheinen, als habe sich alles tatsächlich so zugetragen. Das ist eine verdammt schwere Übung gewesen, ich habe hart daran gearbeitet.
Solche Gespräche für die The Paris Review können mehrere Stunden dauern, häufig treffen sich die Interview-Partner auch zu Gesprächsrunden an verschiedenen Tagen. Für die Veröffentlichung des Interviews mit Ernest Hemingway räumt die Zeitschrift 21 Seiten frei.
Ein Scheiße-Sensor als Alarm-Sirene
„Was braucht ein Schriftsteller“, fragt George Plimpton harmlos. Die wichtigste Voraussetzung für einen guten Schriftsteller ist ein eingebauter, stoßfester Scheiße-Sensor. Dies ist die Alarm-Sirene eines Autors und alle großen Schriftsteller haben ihn.
Was ihn antreibt, will George Plimpton zu Ende des Gesprächs aus dem Jahrhundert-Autor heraus kitzeln.
Von allem was geschieht und mit all deiner Erfahrung und Kreativität erzeugst du eine neue Wirklichkeit. Du machst alles lebendig, und wenn du gut genug bist, dann machst du diese neue Wirklichkeit unsterblich. Deshalb schreibe ich, aus keinem anderen Grund.
Unsterblichkeit als Ziel. Mit seinen Büchern. Wie könnte es anders sein? Doch was bedrückt ihn
Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo, 1936.
In The Snows of Kilimanjaro – zu Deutsch: Schnee auf dem Kilimandscharo – finden wir einen heiteren Abschnitt. Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris gelebt hat, von 1921 bis 1928, taucht ein in das savoir vivre der französischen Hauptstadt. Besonders die Café-Kultur eröffnet ihm eine neue Welt, er schreibt in den Cafés seine Erzählungen und belauert dort die Menschen um ihn herum.
Der junge Kerl aus Chicago besitzt einen festen Blick auf die mutigen Neuerungen, die in Malerei, Literatur, Architektur und Musik den Denkrhythmus vorgeben. In den 1920er Jahren passieren just in Paris, wie unter dem Brennglas, spannende Dinge. Das Althergebrachte wird in Frage gestellt und wälzt sich um, es wird gewagt und experimentiert in der Metropole an der Seine. Dadaismus, Surrealismus, Kubismus – irritierende Sichtweisen werden ausprobiert, die kopfgetriebene Revolution wirkt als Motivator.
Doch Hemingway, der aus dem beschaulichen Mittleren Westen der USA kommt, schaut genau hin. Es ist eine neue Welt, die so nichts zu tun mit Oak Park, wo das Sonntagskonzert den Höhepunkt der Woche bildete. Ernest staunt, erspürt, lernt und ist dankbar, wie Paris seinen Horizont erweitert. Mit vielen Neuerern – von Pablo Picasso über Juan Gris bis James Joyce – ist er befreundet. Die Veränderungen inspirieren ihn, aber er bleibt ruhig im Blut, letztlich geht er seinen eigenen Weg.
Für manches, was er sieht und hört, hat der bodenständige Bursche aus der Vorstadt dann nur noch Sarkasmus und Spöttelei übrig.
Welch wunderbare Stelle! Ein amerikanischer Dichter mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht. Genau so steht es im Original: a stupid look on his potato face. Doch wer ist das Kartoffelgesicht?
In einer ersten Fassung hat Hemingway noch Roß und Reiter genannt. Und dann kam er einmal an einem Café vorbei, wo Malcolm Cowley vor einem Stapel Unterteller saß und mit einem dummen Ausdruck in seinem Kartoffelgesicht und sprach über die Dada-Bewegung mit einem Rumänen, der sagte, sein Name wäre Tristan Tzara.
Der dumme Ausdruck inklusive Kartoffelgesicht gehört also Malcolm Cowley. Der Mann vom Jahrgang 1898 ist ein US-Historiker und Autor. So wie Hemingway gehört Cowley zum amerikanischen Expat-Zirkel in Paris. John Dos Passos, Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald und Gertrude Stein, alles Ikonen der Moderne, man kennt sich und neckt sich.
Bevor Ernest die Story beim Esquire einreicht – das Magazin druckt die Kurzgeschichte im August 1936 – tilgt er schlauerweise Cowleys Namen und schreibt neutral dieser amerikanische Dichter. That American poet. Besser
Ein Thron vor weitem Meer. Der rheinhessische Dramatiker Carl Zuckmayer atmet tief die Nordsee-Luft. Foto: W. Stock, 2024.
Seit 2008 findet der Besucher auf Sylt einen Kunst- und Kulturpfad, mit dem das Dorf Kampen zahlreiche Kunstschaffende ehrt. Künstler, die in der einen oder anderen Weise in dem Friesenort gewirkt und gelebt haben. Denn die Kultur hat sich von Sylt inspirieren lassen, genauso wie die Kultur die Insel inspiriert hat. So lädt die facettenreiche Landschaft zwischen Dorf, Dünen und Nordsee ein zu einem anregenden Spaziergang von acht Kilometern.
Auf dem liebevoll angelegten Kulturpfad rund um das Dorf vermag man so auf den Spuren vergangener Tage zu wandeln. Es ist eine Vergangenheit mit Namen bekannter Maler, Schriftsteller und Verleger. Drei der 40 Gedenktafeln sind Künstlern gewidmet, deren Lebenslinien sich mit jenen des US-Schriftstellers Ernest Hemingway merkbar gekreuzt haben.
„Einen Tummelplatz der freien Geister“ nennt Ernst Rowohlt seinen Verlag. Einer seiner Spitzenautoren wird Ernest Hemingway – und er ist es noch heute, ein Jahrhundert später. Rowohlt, ein gebürtiger Bremer, reist 1927 zum ersten Mal nach Kampen und kommt bei seinen Besuchen in den Logierhäusern Klenderhof und Kliffende unter. „Mit seiner Urfröhlichkeit beherrschte er jeden Kreis“, so erinnerte sich seine Pensionswirtin an den erfolgreichen Buchverleger.
Als er 1908 seinen ersten Verlag gründet, in Leipzig, da ist Rowohlt gerade 21 Jahre alt. In beiden Weltkriegen dient der Verleger als Soldat, wobei er zeitweilig ins Visier des Nazi-Regimes rückt: Mehrere seiner Autoren sind von den Bücherverbrennungen betroffen, so auch Hemingway. Zudem wird Rowohlt 1938 wegen „Tarnung jüdischer Schriftsteller“ aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was de facto einem Berufsverbot gleichkommt.
Ernest Hemingways deutscher Verleger Ernst Rowohlt, unweit vom Hotel Rungholt, blickt über die Heide in den Norden der Insel. Foto: W. Stock, 2024.
Er geht ins Exil – Schweiz und Brasilien – und kehrt 1940 nach Deutschland zurück und wurschtelt sich durch die Kriegstage. Mit dem Ende der Nazi-Diktatur kommt auch Ernest Hemingway zurück als Autor zu seinem alten Verlagshaus. Der Verleger des Rowohlt-Verlags bleibt ein bunter Hund in der Buchbranche. Heute geht der Blick des großen Verlegers zur Lister Bucht. „Ich lese keine Bücher“, meint er flapsig, „ich rieche sie nur und verlasse mich auf mein Näschen.“
Wer ist Zuckmayer?, erwidert der Strandwärter auf meine Frage, wo Zuckmayer zu finden sei. Volkstümlicher Dramatiker mit Tiefgang. Es liegt mir als Replik auf der Zunge. Der Hauptmann von Köpenick. Des Teufels General. Doch dann halte ich meinen Mund und zeige bloß meine Kurkarte vor. Dabei hat Zuckmayer den besten Platz in Kampen. An der Sturmhaube, Rotes Kliff, mit Aussicht auf den Weststrand.
Der damals 30-jährige Autor Carl Zuckmayer bringt Ernest Hemingways Roman In einem andern Land in Deutschland auf die Bühne. Gustav Fröhlich, Käthe Dorsch, Paul Hörbiger und Brigitte Horney verkörpern die Protagonisten der Erzählung, die im Ersten Weltkrieg spielt. In Berlin feiert die Aufführung von KAT – in Anspielung auf die weibliche Protagonistin Catherine Barkley – am 1. September 1931 die Premiere. Ernest Hemingway reist eigens dafür in die deutsche Hauptstadt. Es wird ein Besuch, den man so schnell nicht vergessen wird.
In der Silvesternacht 1932, im Kampener Ferienhaus des Verlegers Peter Suhrkamp, greift Carl Zuckmayer zur Feder und bringt die Gedanken, die ihn am Jahresende umtreiben, zu Papier:
Es schläft das Meer, es ruht das Watt, die Wildgans schläft von Muscheln satt, der Wachs tropft von den Lichtern. Wir trinken unsern Portwein still, mag kommen, was da kommen will – der Himmel helf‘ den Dichtern.
Doch der Himmel hilft nicht. Bei den Nationalsozialisten eckt der Jude Zuckmayer mit seiner pazifistischen Haltung an, die Werke des gebürtigen Rheinhessen werden im Jahr 1933 verboten. Carl Zuckmayer entscheidet sich für das Exil. Zunächst in Österreich, 1938 geht er in die Schweiz, ein Jahr später in die USA. Als er dort ankommt, unbekannt und ohne Arbeit, stellt Ernest Hemingway ihm ein Empfehlungsschreiben aus.
Renée Sintenis Gedenktafel am Leuchtturm von Kampen. Mit ihrem freien Lebensstil passt die Künstlerin wunderbar zu Sylt. Foto: W. Stock, 2024.
Ganz vernarrt ist Ernest Hemingway in die Skulpturen der Renée Sintenis. Der US-Amerikaner erwirbt einige kleinformatige Plastiken der Künstlerin, die in Berlin residiert. „Der erste Eindruck von dir, 1924, ist immer geblieben: dein schmales, scheues, lächelndes Gesicht.“ So erinnert sich Clara Tiedemann, die Besitzerin der Pension Kliffende, an Renée Sintenis.
Ab den 1920er Jahren verbringt die Pferdenärrin regelmäßig die Sommerferien in Kampen, wo sie mit Vergnügen am Strand ausreitet. Mit ihrer mondänen Erscheinung ist Renée Sintenis ein Glanzpunkt der Berliner Szene, Joachim Ringelnatz und Rainer Maria Rilke zählen zu ihren Freunden. Im Jahr 1931 nimmt die Künstlerin an einer Gruppenausstellung im Museum of Modern Art in New York teil.
Ernest Hemingway, der mehrmals Berlin besucht hat, wird Sammler ihrer Werke, zu denen viele Tier- und Sportlerplastiken zählen. Die braunen Machthaber erzwingen den Austritt der Halbjüdin aus der Preußischen Akademie der Künste. Ihre Skulpturen werden von den Nazis als Entartete Kunst gelistet, aber sie erhält kein Ausstellungsverbot.
Nach dem Krieg wird Renée Sintenis 1955 als Professorin an die Berliner Akademie der Künste berufen, wo sie bis zu ihrem Tod lehrt. Das bekannteste Werk der Renée Sintenis, der Berliner Bär, wird seit 1951 als vergoldete oder versilberte Miniatur an die Preisträger des Filmfestes Berlinale verliehen. Ein sonniger Platz direkt am Kampener Leuchtturm erinnert an die große Künstlerin.
Der Bär der Renée Sintenis vor dem Hotel Miramar in Westerland. Bis Berlin ist es weithin. Foto: W. Stock, 2024.
Ungeachtet aller Spuren der Weggenossen sollte eines noch erwähnt werden: Auf
Sein Debüt The Sun Also Rises erscheint im Jahr 1926. Mit einer Wucht, als habe ein Revolutionär einer verstaubten Epoche den Todesstoß versetzt.
Dieser Kerl mit dem himmlischen Rauschebart will den Kosmos um sich herum für die Ewigkeit inszenieren. Unsterblichkeit ist sein Ziel gewesen. Die hat er ja sogar irgendwie bekommen, auch wenn er seit über 60 Jahren still und leise auf dem Dorffriedhof von Ketchum ruht. Bei einem Schriftsteller, der derart aneckt, ist es kein Wunder, dass sich die Kritiker und Neider lauthals melden. Angriffsfläche bietet der Bärtige genug.
Hauptvorwurf: Er sei unmodern. Er passe nicht in die heutige Zeit. Seine Inhalte und sein Stil – schrecklich altbacken. Moderne Themen, die unter den Nägeln brennen, seien bei ihm nicht zu finden. Mit dem Alltag und seinen Schattenseiten hat er in der Tat nichts am Hut. Berufsprobleme, Ehezwist, Emanzipation, der Moloch der Großstadt, prekäres Leben, Diskriminierung, soziale Benachteiligung. Gibt es alles, mehr als erträglich, schlimm genug. Doch dies sind nicht Hemingways Themen. Und die langen, komplizierten Sätze und die eierköpfige Annäherung erst recht nicht.
Ernest mag vielmehr die unangestrengte und grundehrliche Erzählung. Alles selbst gesehen und schmerzlich erlebt. Das ist seine Welt. Fischer, Kneipiers und Malocher gehören zu seinen Freunden. Professoren und Intellektuelle eher nicht. Ernest Hemingway verachtet die literarische Selbstbemitleidung der Großstadt-Neurotiker. Deshalb hat er sich in seine tropische Finca auf Kuba verkrochen, weit weg vom Blitzlichtgewitter der Presse. Und noch wichtiger: Weit weg von den Kollegen.
Gegner tauchen trotzdem auf. Man reibt sich an ihm. Einerseits. Andererseits kopiert man ihn, man folgt seiner Marschroute. Sein schnörkelloser Stil, die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze und die kraftvolle Sprache werden typisch für viele Schriftsteller, weltweit. Ernest Hemingway wird ein Stilbildner, ganze Autorengenerationen hat er beeinflusst. Truman Capote, Nelson Algren, Malcolm Lowry, Bruce Chatwin. Alles Top-Schreiber, alleine aus der angelsächsischen Sprachwelt.
Die Enkel rücken in den 1960er Jahren noch näher. Mit dem New Journalism proben sie die Kulturrevolution, Hemingway ist ihr bewunderter Großvater. Hunter S. Thompson, Gay Talese, Truman Capote, Tom Wolfe. Dieser New Journalism geht voll rein, er ist ein ästhetischer Barrikadenkampf gegen die pomadig schreibenden Väter. Doch in ihrer schrillen Subjektivität besitzen die neuen Reportagen etwas, das auch Hemingways Texte haben: Nähe und Authentizität.
Und in unseren Tagen? Mittlerweile sind die ungestümen Enkel vom New Journalism ebenfalls Geschichte. Doch der Großvater, oh Wunder, springt noch immer quicklebendig umher. Einer, der ernsthaft schreibt, kommt nicht vorbei an ihm. Denn jeder ambitionierte Reporter an Zeitungen und Zeitschriften, ein jeder Korrespondent in der Ferne, ist irgendwann und irgendwie durch die Schule des Alten gegangen. Auch wenn so mancher die Nase gerümpft hat. Gelernt von ihm haben alle.
Einen Ernest Hemingway von heute, den gibt es nicht, es kann auch keinen geben. Ein übersprudelnder Lebemann wie er, egomanisch und ungehobelt, wird in der Zeit weichspülender Political Correctness und flüchtiger Handy-Filmchen nur schwer einen Platz finden. Ein Ernest Hemingway wäre in der Welt der Belanglosigkeiten, wo jeder Pups auf Facebook oder X stolz vermeldet wird, ganz schrecklich aus der Zeit gepurzelt.
Mit dem Hochadel, in welcher Ausprägung auch immer, hat der Mann aus einem Vorort von Chicago wenig am Hut. Er kommt aus der bodenständigen Tradition eines Mark Twain. Es ist ihm gelungen, die englische Literatur von den hochherrschaftlichen Manierismen der Charles Dickens-Schule zu befreien. Literaturhistorisch bleibt dies sein Verdienst. Auch seine Themen scheinen zeitlos. Neben dem Wunschtraum nach dem Wahren und Schönen beschreibt er, dass kein Tag ohne Kampf vergeht.
Dieser Schriftsteller kann das Außenleben messerscharf beobachten. Millimetergenau wie ein Bauzeichner legt er seine Sätze und Dialoge an. Weil seine Prosa kraftvoll auf die
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