Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Kategorie: Kuba Seite 3 von 11

Ernest Hemingway im Focus

Erstaunliches gilt es zu vermelden. Das auflagenstarke Nachrichtenmagazin Focus hebt Ernest Hemingway in dieser Woche auf sein Cover, fast 59 Jahre nach dem Tod des amerikanischen Schriftstellers. Das Hemingway-Wunder überschreibt Chefredakteur Robert Schneider sein Editorial auf Seite 5 über den Nobelpreisträger von 1954. Ernest Hemingway war ein Abenteurer und Aufschneider, ein Geschichtenerzähler und Maulheld – und er war einer der größten Autoren des 20. Jahrhunderts.

Ein Autor, so groß jedenfalls, dass man den Fund einer bislang unbekannten Short Story auf dem Titel eines bekannten Wochenmagazins feiern muss. Anlass ist die Entdeckung einer Kurzgeschichte, die im Nachlass in der Ernest Hemingway Collection der John F. Kennedy Presidential Library and Museum in Boston gefunden worden ist. Ausgegraben hat die Geschichte Seán Hemingway, der Enkel des Schriftstellers, Sohn des jüngsten Sohnes Gregory.

Bei der Recherche für eine Neuauflage von Der alte Mann und das Meer entdeckt der Journalist, Jahrgang 1967, das Typoskript ohne Überschrift, aber mit handschriftlichen Anmerkungen. Ernest Hemingway, trotz seines Images als Trunkenbold und Weiberheld, war ein ungeheuer produktiver Autor, mehr als 3.000 unveröffentlichte Manuskriptseiten hat er bei seinem Tod 1961 hinterlassen. Es verwundert nicht groß, wenn man ab und an Veröffentlichungswürdiges entdeckt. 

Die Geschichte Pursuit As Happiness, die zuerst im US-Magazin New Yorker im Juni 2020 abgedruckt wurde, spielt auf Kuba. Der Titel wird nachträglich von Hemingways zweitjüngstem Sohn Patrick, dem letzten Überlebenden der drei Söhne, vergeben. In der Erzählung schreibt Ernest über seine Angeltouren mit dem Freund Joe Russell, dem Besitzer von Sloppy Joe’s in Key West. Auf der Anita fahren sie von Havanna heraus in den Golf von Mexiko auf der Jagd nach dem stolzen Marlin.

Die Erzählung spielt in den letzten Tagen des Machado-Regime auf Kuba, also um 1933 herum. Dieser Gerardo Machado y Morales, 1925 zum Präsidenten gewählt, entpuppt sich als tyrannischer Politiker, der die Interessen der latifundistischen Oberschicht im Auge hat und unter dessen Ägide Havanna zum Sündenpfuhl der USA absteigt. An dem Tag, an dem wir mit fünf Flaggen reinkamen, musste die Polizei die Menge auseinander knüppeln. Es war hässlich und brutal. Aber es war ohnehin ein hässliches und brutales Jahr an Land.

Ernest hat in dieser Erzählung einen klaren Blick für die sozialen Konflikte auf Kuba, das war nicht immer so. Die Bevölkerung darbt – trotz aller Sonne und Folklore, das Leben auf der Tropeninsel ist beschwerlich. Doch auf dem Meer, seinem The Great Blue River, findet Ernest eine andere Welt vor, hier herrschen Harmonie und Frieden, der Einklang mit der Natur sorgt für die Ruhe seiner verletzten Seele.

Ernest Hemingway lebte in den frühen 1930er Jahren in

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Ernest Hemingway und das Meer

Ernest Hemingway auf der Pilar, im Golfstrom vor der Skyline von Havanna, im Jahr 1952. Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Am Meer erwacht in Ernest Hemingway eine neue Lebenslust. Mit all seinen Sinnen liebt dieser Schriftsteller aus Chicago den Ozean. Er mag den Geruch nach Salz und Algen, er hört die krachenden Laute der Sturzwellen, vor allem jedoch liebt er den blauschimmernden Farbton des Wassers. Am endlosen Meer verspürt Ernest Hemingway Momente der Eintracht, eines inneren Friedens, der brüchig wird, je weiter er sich von der Wasserlinie entfernt.

Er braucht diese seelische Harmonie, denn dieser Mann schleppt seit Kindesbeinen vielerlei Verletzungen mit sich herum. Nur am Meer findet er Linderung für seine Wunden. An den Gewässern und am Meer fühlt Ernest Hemingway sich seinem inneren Kern nahe, er empfindet eine tiefere Emotionalität als in der Stadt. Dass der Mensch zum Meer hin sein angestammtes Terrain verlassen muss, es kitzelt ihn, auf dem Ozean kann man wunderbar seine Energie auf den Prüfstand stellen. 

Das Meer, wo auch immer, bietet einem Bauchmenschen wie Ernest Hemingway emotionalen Halt. Es ist kein Zufall, dass dieser Autor nach seinen Lehrjahren in Paris, die Großstadt meidet. Dieser Naturbursche zieht es hingegen vor, nahe dem Meer zu leben. Wie auf Finca Vigía, eine halbe Stunde südlich von Havanna. Sein tropisches Anwesen liegt nicht weit von Cojímar und dem Golfstrom, es wird über zwei Jahrzehnte sein Paradies auf Erden.

Wenn es eine Vollkommenheit auf Erden zu suchen gilt, dann mag man dieses Ideal am Meer finden. Das Meer ist von einer Weite, die das menschliche Auge nicht einfangen kann. Und das Meer wird mit einer Naturkraft ausgestattet, ohne die sich die Erde nicht drehen könnte. Der Ozean, der keinen richtigen Anfangs- und Endpunkt zu besitzen scheint, hält in höchster Vollendung den Kreislauf der Natur am Laufen.

Zeit seines Lebens wird dieser merkwürdige Rabauke aus Oak Park bei Chicago das Meer über alles verehren und mehr lieben, als alles andere in der Natur. Am Meer wird Ernest Hemingway ein anderer Mensch, vielleicht wird er hier erst so richtig zum Menschen. Die Zeit, die ich auf dem Meer vor den spanischen, afrikanischen und kubanischen Küsten verbracht habe, ist die einzige Zeit, die ich nicht verschwendet habe.

Am Meer erkennt ein Autor wie er das thematische Grundmuster seines Lebens. Die Lust am Leben will dort Oberhand über alle Verzagtheit behalten. Für einen Menschen, der seine fünf Sinne noch einigermaßen beisammen hat und der mit beiden Beinen im Leben steht, für den erweisen sich die Momente am Meer als Sternstunden für die Seele. 

Das Meer empfindet Ernest Hemingway als Gegenentwurf zum Kopfbestimmten. Das unendliche Wasser und die Tropenhitze weisen Ratio und Intellekt in die Schranken, auch deshalb fühlt er sich am Ozean so wohl. Solch ein körperlicher Mann wie

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Courage und Zweifel des Ernest Hemingway

Die Welt ist so voll von so vielen Dingen, dass ich sicher bin, wir sollten alle glücklich sein wie die Könige. Ernest Hemingway mag das Leben und die Menschen, doch die Zweifel nagen.

Ernest Hemingway hat sich auf Kuba über die Jahre sehr an einen tropischen Müßiggang gewöhnt, er benötigt die Sonne, die Schwüle der Gluthitze und er braucht vor allem das Meer, um überhaupt schreiben zu können. Und wohl auch leben zu können. Er liebt es, aufs Meer zu fahren, im Golfstrom zu fischen, mit den Freunden herumzualbern, gut zu essen und sich des Abends an der Bartheke die Kante zu geben. 

Dieser amerikanische Schriftsteller hat sich seinen eigenen behaglichen Kosmos in San Francisco de Paula eingerichtet, nur einen Steinwurf entfernt von seinem geliebten Meer. Die Welt ist so voll von so vielen Dingen, dass ich sicher bin, wir sollten alle glücklich sein wie die Könige. Doch, gerade auch diese Frage muss er sich auch auf Kuba immer öfter stellen, wie ist es um das Glück des Königs wirklich bestellt?

Ganz im Inneren ist dieser scheinbar extrovertierte Autor ein tief verunsicherter Mensch. Auf den einen oder anderen Beobachter mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego aufgeblasen wirken, aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Aufschneider. Er gilt selbst bei seinen Kritikern als ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber, dieser Autor muss um seinen Ruhm kämpfen wie ein Löwe, ihm ist nichts in den Schoß gefallen, nicht in der Literatur und schon gar nicht im richtigen Leben.

Der Preis, den er letzten Endes für seinen Weltruhm zu zahlen hat, der erweist sich als hoch. Mehr und mehr ziehen im Leben des Mittfünfzigers dunkle Wolken auf, die wilden Jahre liegen schon lange zurück, die üblichen Zipperlein des Alters haben ihn befallen, das kaputte Bein und den maladen Rücken schleppt er schon seit Jahrzehnten mit. Ganz schlimm sieht es in seinem Kopf aus. Er kann sich schlecht konzentrieren, sein Gedächtnis ist hundsmiserabel, auch das Schreiben fällt ihm schwer.

Wie ein Ertrinkender versucht er seinen Strohhalm zu finden im Leben, er klammert sich an die Erinnerungen, die wegfliegen wollen. An die Kraft, die Tag für Tag abnimmt. Und an die Hoffnung, die immer kleiner wird. Die Fragen, die er sich seit Jugendtagen stellt, schießen immer wieder hoch. Was bedeutet das Leben? Kann man die große, die reine Liebe auf dieser Welt finden? Bin ich, dem die Kriegskugeln und die Flugzeugabstürze nichts anhaben konnten, bin ich, der unverwüstliche Ernest Hemingway, wirklich unsterblich?

Denn der Gedanke an

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Jorge Luis Borges und Ernest Hemingway

Jeder hat so seine Vorstellung vom Paradies.
Foto: W. Stock; München, im Juni 2020.

Das Paradies als eine Bibliothek. So kann man es sehen, so sieht es der Argentinier Jorge Luis Borges. Ein Ernest Hemingway setzt andere Akzente. Unter dem Himmel stelle ich mir eine große Stierkampfarena vor, meint der bärtige Schriftsteller aus den USA. Mit zwei ständig für mich reservierten Plätzen an der Barrera, während draußen ein Forellenbach vorbei rauscht, in dem ich und meine Freunde angeln dürfen.

Oder wenn Ernest Hemingway ein ander Mal von einem Leben im Himmel träumt nach dem Tod, dann spielt sich das im Pariser Ritz ab. Er sieht sich in einer lauen Sommernacht, trinkt ein paar Martinis an der schwarzen Bartheke des Luxushotels, anschließend ein köstliches Dinner mit einer schönen Frau im Le Petit Jardin unter dem blühenden Kastanienbaum. Nach dem einen oder anderen Brandy geht er dann hoch auf sein Zimmer und schmeißt sich in eines von diesen riesigen Betten des Ritz.

So unterschiedlich kann man das Leben betrachten, so unterschiedlich sind die Persönlichkeiten dieser beiden Literatur-Giganten. Jorge Luis Borges, der Porteño vom Jahrgang 1899, brilliert als ein hochgeistiger Tausendsassa: Lyriker, Romancier, Essayist, Philosoph, er ist ein Autor von beeindruckender Belesenheit und mit einer extravaganten Stilkunst. Nach dem Sturz des Autokraten Juan Domingo Perón wird er im Jahr 1955 in Buenos Aires Direktor der Nationalbibliothek, bis ins hohe Alter.

Ernest Hemingway, ebenfalls Jahrgang 1899, ist der offensichtliche Antipode. Ein Naturbursche, eine Schnapsnase, ein Weiberheld. Jemand, der mit breiten Beinen hinaus geht in die Welt. Am liebsten dorthin, wo es mächtig donnert und kracht. Er mag den Stierkampf, die Safari-Jagd und das Angeln von Großfischen. Als Schreiber ist er ein lakonischer Erzähler mit einem einfachen, schnörkellosen Stil. Den Nobelpreis für Literatur kriegt Hemingway, Borges nicht.

Beide Autoren haben sich zu Lebzeiten gekabbelt. Er sei ein Autor von minderer Qualität, hat Borges Anfang 1950 gelästert, bloß ein Journalist mit einer gewissen Fingerfertigkeit, jedoch einer mit kleinem Verstand. Das lässt Hemingway nicht auf sich sitzen. Die Leute um mich sagen, Du wärst der beste spanische Schreiber, kontert der erboste Amerikaner. Aber Du kannst mir mal den Arsch küssen, denn Du hast in Deinem Leben noch nie einen Ball aus dem Spielfeld geschlagen.

Über solch verbale Scharmützel hinweg darf nicht vergessen werden, dass Ernest Hemingway ein Autor ist, den die Lateinamerikaner verehren und innig lieben. Obendrein ist der Vorwurf von Jorge Luis Borges unzutreffend und arg selbstherrlich. Zumal es kaum einen anderen US-Autor gibt, der so viel für den Triumph der lateinamerikanischen Literatur getan hat wie der Mann aus Oak Park bei Chicago.

Ernest Hemingway, der über zwanzig Jahre auf Kuba gelebt hat und leidlich Spanisch spricht, mag die lateinamerikanische Literatur. Dass der Aufschwung der lateinamerikanischen Literaten später in einer solchen Weltgeltung münden konnte, ist auch

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Señor Hemingüey im Paradies

Der Gringo Ernest Hemingway auf Kuba. Es werden zwanzig glückliche Jahre.
Grafik: Filippo Imbrighi, Roma

Der bärtige Amerikaner liebt Kuba über alles und die Lebensart der Kubaner nicht minder. Von 1939 bis 1959 wird er auf der tropischen Insel seinen Wohnsitz nehmen, am Rande des Dorfes San Francisco de Paula, es werden zwanzig Jahre voller Glück und Erfüllung. Finca Vigía, für ihn das Paradies auf Erden, dient als Idyll des Rückzugs und der Tollheit zugleich, ein tropischer Palmengarten, der alles bietet, was ein Mann zum Glücklichsein so braucht.

Sein ländliches Anwesen im Süden von Havanna ist wohl Luxus, allerdings kein Protz, eher gediegener tropischer Komfort, der den Alltag angenehm und leicht fließen lässt. Auf Kuba baut sich Ernest Hemingway schnell einen ansehnlichen Freundeskreis auf. Ernest Hemingway pflegt seine Freundschaften, sie sind ihm wichtig. Meist sind es Kubaner oder Exil-Spanier, die zu seinem engen Bekanntenkreis gehören, zu den eigenen Landsleuten hält er eher Abstand.

Der Tag des Schriftstellers folgt einem festen Rhythmus: Den ganzen Vormittag schreibt er eifrig an seinem Manuskript, einerlei wie lang und feucht die Nacht zuvor ausgefallen ist. Dann ein leichtes Mittagessen, gefolgt von einer ausgiebigen Siesta, oft über zwei Stunden, den Nachmittag hält er sich frei. Für Cojímar, den Golfstrom, für einen Abstecher in die Hauptstadt. Zweimal in der Woche fährt er mit dem Lincoln Continental ins El Floridita. Der Tag klingt abends mit dem geselligen Teil aus, in Havanna oder auf Finca Vigía.

Der weltbekannte Schriftsteller kann wunderbar mit den einfachen Menschen, mit jenem Menschenschlag, der ohne groß nachzudenken in den Tag lebt. Gerade die Einfachheit des Lebens zieht ihn auf Kuba an, denn eigentlich ist Ernest Hemingway ein unkomplizierter Mensch, einer jedenfalls, der nicht so viel nachdenken möchte. Auf Kuba ist er der Mensch, der er immer sein wollte. Vor allem ist er ein Mensch, der mit jeder Pore merkt und spürt, dass er lebt, richtig lebt.

Es fühlt sich wunderbar an, dieses unbekümmerte Leben auf seiner sonnigen Insel, die er so sehr braucht, um den Akku für die kühle Welt aufzuladen. Für seine Reportage-Reisen in den Zweiten Weltkrieg, für die Schlacht im Hürtgenwald der Schneeeifel, für die Trips nach New York oder ins kalte London. Auf seiner Finca Vigía hingegen herrscht unentwegt Hochsommer, der Frühling findet an einem Dienstagnachmittag statt, Winter bleibt ein gänzlich unbekanntes Phänomen. 

Der Schriftsteller braucht diese sommerliche, wolkenlose Natur, die ihn erwärmt. Der eisige Winter fühlt sich für ihn an wie ein kleiner Tod. Einzig in der Natur folgen dem kalten Winter stets die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Im richtigen Leben geht das nicht. Der bärtige Schriftsteller ist kein großer Freund der Kälte und des Winters. Er weiß, am Ende all der Abenteuer da draußen, nach all den Eskapaden und Grausamkeiten wartet sein tropischer Garten Eden auf ihn. 

Und so trifft man auf Finca Vigía einen genügsamen Ernest Hemingway an, einen stinknormalen Kerl in Shorts und ohne steifen Kragen, der barfuß oder in einfachen Schlappen herum läuft und am liebsten

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Ernest Hemingway und der große Vogel

Was passiert, wenn er einmal nicht mehr seine Angelrute in Anschlag bringen kann? Ernest Hemingway mit Ehefrau Mary auf der Pilar. Foto: George Leavens.

In seinen Werken findet man die Erotik zwischen Mann und Frau in Hülle und Fülle, auch wenn Ernest Hemingway den Sex kunstvoll hinter den Zeilen verstecken muss, die Zeiten sind halt prüde. Wie in Über den Fluss und in die Wälder, als Contessa Renata und Colonel Cantwell zusammen sind und the great bird had flown out of the closed window. Der große Vogel ist plötzlich durch das geschlossene Fenster nach draußen geflogen. Ein flatternder Vogel, wen wundert’s, der für den Orgasmus steht.

Oder wenn ein Mann und eine Frau in Hemingways Erzählungen in trauter Zweisamkeit zusammen weilen, und es an der Oberfläche zwar merklich knistert, doch der Eisberg-Maestro sich wie üblich weitere Details verkneift. Wenn allerdings Ernest Hemingway anschließend seinen nächsten Satz mit einem Dann oder Danach einleitet, so ahnt der Kenner, dass es zuvor wohl heftig geklingelt hat.

Auch im Leben des Ernest Hemingway ist die Sexualität eine der maßgeblichen Triebfedern, der Schriftsteller fühlt sich zeit seines Lebens als körperlicher Mann. Viele Fotografien mit ihm, auch wenn sie scheinbar ein ganz anderes Thema abbilden, strotzen nur so vor unterschwelliger Erotik. In Liebesdingen verhält sich Ernest Hemingway wie ein nimmersatter Narzisst, der ohne körperliche Anerkennung nicht auskommen kann.

Denn die schnell entflammte Zuwendung einer neuen Eroberung lässt ihn spüren, dass es ihn als Mensch gibt und dass er lebt. Ein Nachlassen dieser Aufmerksamkeit vermag er nicht zu ertragen, denn es erinnert ihn an die eigene Begrenztheit. So wundert es nicht, dass besonders in gefahrvollen Ausnahmesituationen sein Bindungsbedürfnis besonders stark ausschlägt.

In die Krankenschwester Agnes von Kurowsky verliebt Ernest sich – schrecklich verwundet – während des Ersten Weltkriegs. Mit Martha Gellhorn turtelt er in Madrid und um ihn herum schlagen die Granaten des Spanischen Bürgerkrieges ein. Mary Welsh schließlich macht er den Hof, beide in der Uniform eines Kriegskorrespondenten, zwischen den Schlachten des Zweiten Weltkriegs.

Das körperliche Verlangen wird für Ernest Hemingway eine der Energien, die ihn am Leben hält. Gleichzeitig spürt er die Fesselung durch den Tod. Und zeitweise ist diese Faszination des Morbiden noch stärker als der Liebestrieb. Ernest Hemingway möchte lieben und er möchte im gleichen Sinne sich über Leben und Tod erheben. Auch so erklären sich seine unkontrollierten Wutausbrüche gegen seine Ehefrauen, sein gelegentlicher Hass auf jedermann, den er liebt. 

All die sexuellen Eroberungen plustern seine Allmacht auf und das solcherart gestärkte Ego lenkt Ernest Hemingway für eine Weile ab vor dem bedrohlichen Gedanken an die Endlichkeit des eigenen Lebens. Doch je mehr sein Ruhm wächst, desto dünnhäutiger wird er. Weil die Erfolge im Liebesleben – auch wegen seines Narzissmus –  sich nicht als besonders tragfähig herausstellen.

Dieser Mann fällt immer in das gleiche Muster: Wenn er das Gefühl hat, von seinen Ehefrauen gekränkt zu werden, in seinen Empfindungen verletzt zu werden oder nicht genug beachtet zu werden, dann reagiert er wie ein angeschossenes Raubtier. Ernest Hemingway kontert dann

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Gregorio Fuentes, der Sancho Pansa des Ernest Hemingway

Über zwei Jahrzehnte der Kapitän von Hemingways Boot und ein guter Freund: Gregorio Fuentes, im April 1983, in Cojímar auf Kuba. Foto: W. Stock.

Ein Taxifahrer bringt mich die halbe Stunde vom Hotel Capri in Havanna nach Cojímar. Es ist April 1983 und ich will Gregorio Fuentes besuchen. Dieser kubanische Fischer ist der Kapitän von Ernest Hemingways Boot Pilar gewesen, mehr als zwanzig Jahre verbringt er an der Seite des Schriftstellers. El Viejo, der Alte, hat Ernest Hemingway ihn genannt, diesen treuen Sancho Pansa aus dem Fischerdorf Cojímar.

Der amerikanische Schriftsteller gilt als erfahrener Angler, doch zu seiner Unterstützung hat er stets Gregorio Fuentes neben sich. Denn in Sachen Fischen kann diesem Gregorio Fuentes niemand so leicht das Wasser reichen. Wenn es auf dem Meer ganz kniffelig wird, dann zündet sich der schmächtige Kubaner erstmal in aller Ruhe seine Havanna an und übernimmt von Ernest Hemingway die Angelrute. Papa, nennt der Kubaner seinen amerikanischen Chef, der über die Jahre zu einem guten Freund und Vertrauten wird.

Der rüstige Mittachtziger wohnt zusammen mit seiner Frau in einem einfachen blau gestrichenem Häuschen oberhalb der Dorfstraße, einige Minuten vom Hafen entfernt. Gallego, den Galizier, nennen sie Gregorio in Cojímar, obwohl Gregorio eigentlich in Arrecife auf Lanzarote geboren wurde, im Jahr 1897 . Im Alter von 22 Jahren ist er von den Kanaren nach Kuba ausgewandert, ohne Mutter und ohne Geschwister.

Die Canarios, jene Einwanderer von den kanarischen Inseln, werden auf Kuba nicht allzu hoch angesehen, im Gegensatz zu den meist besser Gebildeten vom spanischen Festland. Gregorio kennt in Cojímar jeden und jeder kennt ihn. Der alte Fischer empfängt mich vor seinem Häuschen in Cojímar, er trägt eine blaue Leinenhose und ein weißes enges Guayabera-Hemd, in der linken Hand wie festgewachsen seine Gloria Cubana

Von 1938 bis zu Hemingways Tod, dreiundzwanzig Jahre und drei Hemingway-Ehen, hat er sich als Kapitän um die Pilar gekümmert. Der Schriftsteller hatte das Boot in einer Werft in Brooklyn im Jahr 1934 bauen lassen. Und dann das Boot nach Key West überführen lassen, wo er mit seiner zweiten Ehefrau Pauline lebte. Auf Kuba, dort hat er seit 1939 seinen Wohnsitz, läuft die Tagesroutine des Ernest Hemingway ab wie ein Uhrwerk. Vormittags schreibt er, den Nachmittag hält er sich üblicherweise frei für Cojímar und seine Pilar

Stundenlang haben der einfache kubanische Fischer und der US-Nobelpreisträger miteinander geplaudert. Das meiste, was Ernest Hemingway über das Meer weiß, er hat es von Gregorio erfahren. „Quedó algo por decirle?“, fragt der Fischer. Ist da noch irgendetwas, was ich ihm nicht gesagt hätte? Gregorio antwortet gleich selbst: „Nada. Lo dijimos todo.“ Nada. Nichts. Wir haben uns alles gesagt.

Der alte Mann steht auf aus seinem alten Schaukelstuhl und

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Ernest Hemingway schenkt die Nobelpreismedaille an Kuba

Gerührt drückt Ernest Hemingway seinem Freund Fernando Campoamor bei einem Fest in Cotorro die Medaille des Nobelpreises in die Hand. Die Auszeichnung soll auf Kuba verbleiben.

Der amerikanische Schriftsteller macht keinen Hehl daraus, wie sehr die kubanische Denkweise seinen Nobelroman Der alte Mann und das Meer geprägt hat. Er vergisst auch nicht, diesen Umstand zu erwähnen, als ein Freund, der Journalist Fernando Campoamor, zu Ehren der Verleihung des Nobelpreises eine Feier im Garten der Cervecería Modelo in Cotorro, einem Vorort von Havanna, in Gang bringt.

Zweihundert Gäste erscheinen im August 1956, um das „schwedische Ding“ zu bejubeln, die gesamte Truppe aus El Floridita mit Angel Martínez an der Spitze, der Bildhauer Juan José Sicre kommt, ebenso der Sänger Bola de Nieve, der Boxer Kid Tunero. Sie alle sind gute Freunde des prominenten Schriftstellers, der nun schon seit 17 Jahren auf Kuba lebt. 

Es wird kräftig getrunken und ausgelassen zur Musik von Los Cumbancheros Cubanos und der Gruppe von Luis Carbonell und der  Sängerin Amelita Frades, La Lupe genannt, getanzt. Über dieses Fest schreibt Guillermo Cabrera Infante unter der Überschrift El viejo y la marca einen fabelhaften Artikel in der Zeitschrift Ciclón.

„So um die Mittagszeit fand gestern eine Ehrung für Ernest Hemingway in der Gartenanlage der Cervecería Modelo in Cotorro statt“, informiert Cabrera Infante, „kubanische Kulturinstitutionen haben diese organisiert für den großen US-Schreiber, Autor von Der alte Mann und das Meer, der seit Jahren auf Kuba residiert. Soviel haben die Zeitungen geschrieben. Aber das ist nicht alles.“

Und dann schildert Guillermo Cabrera Infante, wie ein etwas müder Schriftsteller die ganzen Ehrbekundungen über sich ergehen lassen darf. „Kurz nach eins kam Hemingway und wurde sofort von einem Pulk Menschen umgeben, aus dem auffällig die Fotografen ihre Kameras hoben, wie Schwimmer, die ihre trockene Kleidung hochhalten. Und plötzlich bewegte sich das Denkmal.“

Das Denkmal bewegt sich tatsächlich. Ernest Hemingway geht

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Ernest Hemingway lässt nichts anbrennen

Ernest Hemingway fühlt sich wohl in weiblicher Gesellschaft.
Havanna, Kuba, im Jahr 1954

Der Mann hat einen Schlag bei den Frauen. Neben dem Schreiben und den hohen Prozenten beherrscht die Faszination für das weibliche Geschlecht den Alltag des Ernest Hemingway. The Sun Also Rises wird er im Jahr 1926 sein Erstlingswerk nennen, so lautet eigentlich ein hehres Bibelzitat, aber wenn er auf den Buchtitel zu sprechen kommt, fügt er oft an, like my cock. Nicht nur die Sonne steht hoch bei Ernest Hemingway.

Als Mann lässt er so schnell nichts anbrennen. Gerade auf Kuba setzt er sich immer wieder mit seiner Körperlichkeit angriffslustig in Szene. Hinter der aktionistischen Oberfläche fällt er als Mann auf, der auch emotional nach Liebe sucht. Jedoch er selbst versagt auf ganzer Linie in einem Ehebund, oder in der festen Partnerschaft mit einer Frau, nicht nur einmal, sondern ständig. Vier Ehen und drei Scheidungen bilden da nur die Spitze des Eisbergs ab.

Mit der ehelichen Treue hält er es, weshalb auch immer, zeitlebens locker bis oberlocker. Alle vier Ehefrauen betrügt er ohne schlechtes Gewissen nach Strich und Faden. Ehefrauen, Freundinnen, Gespielinnen, sein Durst auf Liebesabenteuer kennt keine Grenzen, der Frauenverschleiß dieses Nobelpreisträgers für Literatur ist enorm. Ernest Hemingway scheint als Liebhaber mindestens genauso erfolgreich wie als Literat.

Es gibt Tage auf Kuba, da ist er vormittags auf der Finca Vigía mit seiner Ehefrau Mary zusammen, dann nachmittags in Havanna mit der festen Geliebten Leopoldina und hernach kann am Abend noch eine Zufallsnummer dazu kommen. Drei Frauen, bei anderen reicht es fürs ganze Leben, Ernest Hemingway braucht

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Ernest Hemingway – ein kämpferischer Weltenbummler

Eine Doppelseite von Ernest Hemingways Reisepass. Credit Line: Ernest Hemingway Papers Collection, Museum Ernest Hemingway, Finca Vigia, San Francisco de Paula, Cuba

Von seiner Zukunft besitzt der 17-jährige Schüler eine genaue Vorstellung. My name is Ernest Miller Hemingway. I want to travel and write, verrät er 1916 in seinem Notizbuch Memoranda an der Oak Park and River Forest High School. Der hochgewachsene Jugendliche aus einem Vorort von Chicago möchte in der Welt umherreisen und schreiben. Und Ernest Hemingway wird in seinem zukünftigen Lebensjahren diesen Traum verwirklichen.

Sein amerikanischer Reisepass braucht viele Seiten für all die Ein- und Ausreisestempel dieser Welt. USA, Kuba, Bahamas, Mexiko, Peru, Frankreich, Italien, Luxemburg, Belgien, Spanien, Österreich, Schweiz, Deutschland, Belgien, Bulgarien, Türkei, Hong Kong, China, Kenia, Uganda, Tansania. Die Liste kann nicht vollständig sein.

Wir reden nicht von heute, ICE, Jumbo Jet und Lufthansa Frankfurt nach Rio de Janeiro für 650 Euro, hin und retour natürlich. Wir müssen uns schon 100 Jahre in die Welt des jungen Hemingway zurückbeamen. Ernest fängt an im Mai 1918, kurz nach der Schule, als naiver Kerl mit achtzehn Jahren. Wochenlang auf dem Ozeandampfer von den USA nach Europa. Erster Weltkrieg, Italien, Ambulanzfahrer, Schlacht an der Piave. Sechs Monate Lazarett.

Es geht munter weiter im turbulenten Leben dieses Mannes. Bürgerkrieg in Spanien, Zweiter Weltkrieg, Aufstand in China, kubanische Revolution. Dazu Krankheiten, Abstürze mit dem viersitzigen Propeller-Flugzeug. Ernest Hemingway reist gerne dahin, wo es kracht und bummert. Das wird dann kein TUI-Urlaub, all inclusive, sondern mündet in harter Arbeit. Mit hohem Risiko für Leib und Seele. Und dieser Mann kommt nicht ohne Wunden nach Hause.

Der berühmte amerikanische Autor, im Jahr 1954 verleiht man ihm den Nobelpreis für Literatur, bereist gerne die versteckten Eckchen und die stürmischen Schauplätze unseres Erdballs. Dieser scheinbar ungehobelte Bursche, der nicht nur packende Reportagen und erstklassige Romane schreiben kann, ist zugleich bereit, dafür durch die große weite Welt zu preschen. Denn ihm ist klar, ein Frosch am Boden des Brunnens sieht nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels.

Ein weiteres unterscheidet ihn von vielen Landsleuten: Der bärtige Rabauke lässt sich auf das Fremde ein mit Haut und Haaren. Die Welt ist so voll von so vielen Dingen, dass ich sicher bin, wir sollten alle glücklich sein wie die Könige. Ernest ist dafür bekannt, dass er die

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