Auf den Fersen von Ernest Hemingway

Kategorie: Stil & Prosa Seite 2 von 6

Ernest Hemingway – der wahre Popstar unter den Autoren

Ernest Hemingway – Painting by Raúl Villarreal (1964-2019), Gainesville, Florida.

Der Mann ist ein Popstar gewesen, lange vor Yellow Press, vor den Influencern und vor Instagram. Dieser Schriftsteller konnte die Klaviatur der Medien perfekt spielen. Die berühmtesten Fotografen seiner Zeit – von Robert Capa über Alfred Eisenstaedt bis zu Yousuf Karsh – haben ihn abgelichtet. Seine weiten Reisen und das heimische Privatleben finden ausführlich auch in den Spalten der Zeitungen und Zeitschriften statt.

Dass der Spanische Bürgerkrieg zum ersten Medienkrieg überhaupt wurde, ist zu einem großen Teil ihm zu verdanken. Großartig seine Depeschen aus dem belagerten Madrid an die Leserschaft in der Heimat. Allein seine Reportage über den pfiffigen Chauffeur Hipolito, der Ernest Hemingway wohlbehalten durch das Madrider Granatengewitter kutschiert, verdient fünf Sterne: Sie können natürlich Ihr Geld auf Franco setzen, wenn Sie wollen, oder auf Mussolini oder Hitler. Ich setze auf Hipolito.

Wie kein anderer Schriftsteller ist er in der Öffentlichkeit präsent gewesen. Fleißig hat er an seinem Image gefeilt. Er hat das Fenster zu seinem Haus geöffnet, ebenso wie das Fenster zu seiner Seele. Als Abenteurer, als Schürzenjäger, als Schnapsbruder – die ganze Welt durfte teilhaben an seinen Tollheiten. Ohne Schleier und ohne Nachbesserung. So wurde sichergestellt, dass aus dem Image von damals ein Denkmal von heute wurde.

Obwohl vom Naturell den Genüssen dieser Welt zugetan, ist Ernest Hemingway Zeit seines Lebens ein fleissiger und ehrgeiziger Schreiber gewesen. Seine Werke gehören mit zum Besten, was im 20. Jahrhundert zu Papier gebracht worden ist. Von Fiesta, seinem Erstling aus dem Jahr 1926, bis zu seiner letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Erzählung Der alte Mann und das Meer von 1952 hat dieser amerikanische Autor die Moderne mitbegründet und wie kein anderer geprägt.

Er lebt sieben wunderbare Jahre in Paris, nach einem Intermezzo in Key West, dann die längste Zeit seines Lebens in einem tropischen Refugium im Süden von Havanna. Er ist in Chicago geboren, erfährt aber erst in der Fremde seine Bodenständigkeit. Die kubanischen Fischer und Händler kennen ihn persönlich, es ist ihr Ernesto, der die Türen zu seiner Finca Vigía offen lässt. Der Literaturprofessor in Princeton und die Feuilletonisten in Manhattan allerdings müssen auf ihn verzichten.

In der Altstadt von Havanna, in seinem Wohnort San Francisco de Paula oder in Cojímar am Meer ist der bärtige Autor bekannt wie ein bunter Hund. Leicht kann er Menschen für sich gewinnen, gerade einfache und normale Männer und Frauen. Wenn der hochgewachsene Ernest Hemingway auf der Insel irgendwo auftaucht, wird er rasch von einer Menschentraube umringt. Und man hört die Kubaner laut und heiter Papa, Papa rufen. 

Dieser Ernest Hemingway ist nie ein Parteigänger der gestrengen Kultur-Elite gewesen, eine Universität hat er nie von innen gesehen. Ihm fehle die intellektuelle Tiefenschärfe, so mancher Vorwurf. Er drehe sich nur um sich. Die Probleme der Arbeiterklasse, zum Beispiel, lasse ihn kalt. Doch gerade dieser Anti-Intellektualismus hat ihn in von Alaska bis Feuerland, von Australien bis nach Italien weit über literaturgeneigte Kreise hinaus populär gemacht.

Authentizität heißt das Zauberwort. Er hat keinem etwas vorgemacht. Sein Lebenswandel hat seinem Naturell entsprochen. Sein Leben – alles in echt und alles unverfälscht. Keine Show, keine Inszenierung und keine Überhöhung. Ein Alltag ohne Schminke und Retuschen. Was ist daran verwerflich? Ein kerniger Mann springt mitten ins Leben, ins herrliche Leben. Ein Leben mit allen Fehlern, Irrungen und Wirrungen. Es ist das Holz aus dem Popstars geschnitzt sind.

Auf der einen Seite mit Leistung überzeugen, auf der anderen Seite als Mensch trotz allen Ruhms nahbar bleiben. Und wenn man dann in die Fallen hinein tapst, die so ein kleiner Mensch schnell übersieht, es macht ihn sympathisch. Sicher, zu viele

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Der schlaue Hemingway-Kniff: Show – don’t tell!

Ernest Hemingway im peruanischen Cabo Blanco, April 1956.
Foto: Modeste von Unruh. Collection Dr. Stock.

Wie wird man ein wirklich guter Schreiber? Mehr als einmal ist Ernest Hemingway dies gefragt worden. Von Journalisten, von Bewunderern, von Lesern. Auch wenn er das Schreib-Credo anders nennt, so hat der Nobelpreisträger einen Hinweis als Antwort ein jedes Mal parat: Show – don’t tell!

In der Tat ist das Prinzip Show – don’t tell! ein stilistischer Kniff, den Ernest Hemingway oft anwendet und in seinen besten Werken zur Perfektion gebracht hat. Show the readers everything, tell them nothing. So umschreibt der Nobelpreisträger von 1954 seine Herangehensweise. Zeig den Lesern alles, verrate ihnen nichts.

Erzähl mir nicht, dass der Mond scheint, zeig mir das Glitzern des Lichts auf zerbrochenem Glas, meint Anton Tschechow. Dieses Schreibprinzip geht nicht auf Ernest Hemingway zurück, vielen vor ihm ist das klar gewesen. Der Amerikaner aus Chicago entpuppt sich jedoch als ein Meister in dieser Fertigkeit. 

Es ist wohl eine der wichtigsten stilistischen Grundfertigkeiten für einen Autor. Show – don’t tell! Wo liegen die Unterschiede? Ein einfaches Beispiel:

Tell: Jack ist nervös.
Show: Jack rutscht auf seinem Sitz hin und her, er schaut nach rechts und nach links. 

Show bedeutet, eine Szene sachlich und ohne Wertung zu beschreiben. Bei Show wird der Leser gezwungen, mit allen Sinnen hinzuhören und hinzusehen. Das Denken nimmt ihm keiner ab, die Interpretation der Handlung bleibt dem Leser überlassen. Das Tell-Prinzip hingegen nimmt die Deutung des Geschehens vorweg. Die Auslegung beansprucht der Autor für sich, Intelligenz und Einfühlungsvermögen des Lesers bleiben außen vor.  

Im Gespräch mit seinem Mentee Arnold Samuelson konkretisiert Ernest Hemingway seine Arbeitsweise. Das wichtigste ist, deine Augen und Ohren müssen immerfort tätig sein. Die Prosa sollte nicht aus dir kommen, sondern aus der Unterhaltung, der du lauschst. Hemingway hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er eine gute Beobachtungsgabe für die wichtigste Eigenschaft eines Schriftstellers hält.

Mit Show kann ein Schreiber besser Spannung aufbauen. So wie dies Alfred Hitchcock in seinen Filmen vorgemacht hat. Das Geschehen spielt sich vor dem Auge des Lesers ab. Auch Show folgt einer filmischen Erzählweise, der Leser wird in die Szene hineingeworfen, anstatt bloßer Empfänger des dominanten Autors zu sein. Durch ein gutes Show – don’t tell! wird der Leser einbezogen in die Entwicklung des Plots.

Tell hingegen bleibt einfach gestrickt und bequem. Es zeugt von schlichter Autorenschaft, zu schreiben: Jack ist ein liebevoller Mann. Vielmehr ist die Aufgabe eines Autors, das Portrait eines liebevollen Mannes auszubreiten, zu erzählen, wie er sich verhält, wie er kommuniziert, wie er andere Menschen behandelt. Show bedeutet als Arbeitsauftrag, eine Charaktere im Laufe der Erzählung zu entwickeln.

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Vor genau 100 Jahren: Hemingways verschwundener Koffer

Ein Koffer voller Manuskripte verschwindet. Und taucht nie wieder auf.

Ende November 1922 reist Ernest Hemingway von Paris nach Lausanne, um dort über die Friedenskonferenz zwischen Türken und Griechen zu berichten. Die Türkei unter Kemal Atatürk hat den Krieg gewonnen, und nun stehen unter Schirmherrschaft des Völkerbundes die Verhandlungen über die Gebietsaufteilungen an.

Am 2. Dezember macht sich Ehefrau Hadley auf, um ihren Ehemann in der Schweiz zu besuchen. Im Gepäck auch ein kleiner Wochenend-Koffer voller Manuskripte, inklusive Duplikate. Ernest, der in den USA einen Verleger für seine Erzählungen und Gedichte sucht, will dem befreundeten Journalist Lincoln Steffens seine bisherigen Arbeiten zeigen. Vielleicht kann dieser in der Heimat ein gutes Wort für ihn einlegen. 

Am Gare de Lyon besteigt Hadley den fast leeren Zug. Die Koffer verstaut sie im Gepäckfach, sie nimmt ihren Sitz ein. Durch das Fenster erblickt sie einen Kiosk, der Erfrischungen verkauft. Kurzentschlossen springt Ernests Ehefrau aus dem Zug und kauft eine Flasche Evian als Reiseproviant. Nach wenigen Minuten ist sie zurück in ihrem Zugabteil.

Entsetzt stellt sie fest, dass der Weekender fehlt. Der kleine Koffer mit Ernests Manuskripten ist gestohlen. In Panik sucht sie den Schaffner. Gemeinsam gehen sie durch die Wagons, doch nirgends ist die Reisetasche aufzufinden. Eine Katastrophe! Die Arbeit eines ganzen Jahres verloren. Hadley ist am Boden zerstört.

Am nächsten Morgen erreicht der Zug Lausanne, tränenaufgelöst tritt Hadley ihrem Mann gegenüber. Der Verlust ist

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Ernest Hemingway: Verirrungen im Garten Eden

Ernest Hemingway: Der Garten Eden. Erschienen 1986, posthum.

Auf jeden Fall scheint Ernest Hemingways Liebesleben ein wenig über die gutbürgerliche Ambition hinaus zu gehen. Vier Ehefrauen kreuzen seinen Weg, von den Dutzenden Liebschaften gar nicht zu reden. Der Mann steht von morgens bis abends unter Starkstrom, literarisch, hochprozentig und noch mehr, wenn es um Frauen geht.

Allein sein posthum veröffentlichter Roman Der Garten Eden bietet sich als eine Fundgrube in dieser Hinsicht an. Diese Erzählung ist übervoll an Erotik und Sexualität, er schreibt die letzten 15 Lebensjahre an den Entwürfen, wagt aber nicht, sie seinem Verleger zu übergeben.

Das Werk wird schließlich unter viel Tamtam ein viertel Jahrhundert nach seinem Ableben veröffentlicht. Der Garten Eden erweist sich als ein seltsames Buch, weil der moderne Klassiker Ernest Hemingway versucht, in die Post-Klassik einzutreten. Dieser Versuch misslingt gründlich, vor allem weil der Stoff nicht wie sonst üblich aus dem Selbsterlebten resultiert, sondern der reinen Phantasiewelt entsprungen ist. Sozusagen ein Anti-Hemingway. 

Der Plot von Der Garten Eden bleibt wirr: Zusammen mit seiner Frau Catherine verbringt der trinkfeste US-Amerikaner David Bourne in den 1920er Jahren die Flitterwochen in Südfrankreich. Doch innerlich ist der Hauptdarsteller in der Krise. Als Schriftsteller, als Mann, als Liebhaber. Verzweifelt probiert das Ehepaar Neues aus, seine Frau und die Geliebte Marita kitzeln ihn hin zu allerlei erotischen Abenteuern. 

Sein ganzes Leben lang hat Ernest Hemingway von den Kollegen und der Kritik sich Tausende Vorwürfe anhören müssen. Er zeige keine Empathie für die sozialen Nöte der Arbeiterschaft, werfen ihm die Linken vor. Politisch sei er ein leicht zu beeinflussender Einfaltspinsel, meinen die Rechten. Er habe keinen blassen Schimmer von den Problemen des modernen Großstadtlebens, maulen die Großstadtkritiker. 

Der Nobelpreisträger, er lebt zurückgezogen auf einem tropischen Refugium nahe der kubanischen Hauptstadt Havanna, wurmt besonders der letzte Vorwurf. Der Alte möchte nicht alt dastehen. Deshalb versucht Ernest, ein modernes Buch zu schreiben. Hemingway haut alles raus, was an erotischer Verkrampfung in ihm drin steckt. Rollentausch, Lesbiertum, Homosexualität, ménage à trois. Alles narzisstische Identitäts-Phantasien eines Mannes in der Midlife-Krise, aber eben auch alles nicht persönlich erlebt.

Doch der alternde Autor sucht ein Ventil für seine Ängste und muss sich mal kräftig auskotzen: Wie im Delirium faselt der Meister von Androgynie, von Partnertausch und sonst was. Catherine und David schneiden sich die Haare kurz, das Männliche und das Weibliche verschwimmen. Mr. Scrooby, so nennt er sein bestes Stück, führt ihm diesmal die Feder, wo es sonst seine doch so geniale Beobachtungsgabe gewesen ist.

Tom Jenks, ein Lektor bei Hemingways Hausverlag Scribner’s, hat in New York das Buch aus über 1.500 Manuskript-Seiten zusammen gebastelt. Man merkt dem Werk das schlechte Karma an. Es zeigt die üblichen Schwächen eines nachgelassenen Manuskriptes: Hemingways Vorlagen werden gekürzt, auch erweitert und schließlich wird das Ganze durch den Fleischwolf gedreht.

Die Aficionados erkennen ihren Meister nicht wieder. Inhalt, Stil und vor allem die Seele der Erzählung sind meilenweit entfernt von seinen Meisterwerken wie Schnee auf dem Kilimandscharo oder Der alte Mann und das Meer. Bei einem Blindfold-Test würde der Leser mit Lachkrämpfen sich auf dem Sofa krümmen. Der Verlag und die Erben lassen den Nobelpreisträger auf voller Linie in sein Unglück rennen, nur weil irgendwer ein Geschäft wittert. 

Zum Glück kriegt Ernest Hemingway auf dem Dorffriedhof von Ketchum nichts mit von dem ganzen Fiasko. Denn wirklich alles in Der Garten Eden geht schief. Die Sätze lesen sich wie abgedroschenes Stroh, die einst vortrefflichen Dialoge laufen ins Leere. Die feine stilistische Prägnanz des Maestros plumpst hinab in einen banalen Manierismus. Von der ersten bis zur letzten Seite meint man, die Parodie in Händen zu halten.

Das schöpferische Feuer, das seinen Erstling The Sun Also Rises im Jahr 1926 so ausgezeichnet hat, verpufft 60 Jahre später, weil der prominente Autor nicht

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Ernest Hemingway in Paris: Schreiben wie Gott in Frankreich

Seit 1889 steht der Eiffelturm an der Seine in Paris. Zu Anfang umstritten, ist er seit Jahrzehnten das Wahrzeichen der Stadt. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

Als Korrespondent des Toronto Star wird Ernest Hemingway im Dezember 1921 hineingeworfen in diese quirlige Stadt. Er taucht ein, er lernt schnell und genießt die Unbeschwertheit und das Wohlbehagen an der Seine. Der junge Mann aus einem Vorort von Chicago merkt, wie dieses Flair von Paris ihn als Schreiber ermutigt. Da stehe ich und blicke über die Dächer von Paris und denke: Mach dir keine Sorgen. Du hast immer geschrieben und du wirst auch jetzt schreiben.

Der ehrgeizige US-Amerikaner vom Jahrgang 1899 ist genau jener Typus, der wunderbar zu dieser Stadt passt: bullig von der Figur, breitschultrig, ein kantiges Gesicht, im Kontrast dazu mit sanften braunen Augen und mit einer einfühlsamen Stimme. In den Künstlerkreisen von Paris macht der gut aussehende Journalist in kurzer Zeit mit seiner Persönlichkeit und seiner schreiberischen Begabung auf sich aufmerksam.

Am liebsten sitzt der Mann aus Oak Park alleine an einem Tisch, mit freiem Blick auf die Besucher und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Er beobachtet. Einem neugierigen Schreiber wie Ernest Hemingway fliegen in den Pariser Bistros die Themen nur so zu. Wenn er in den Cafés sitzt und seine Eindrücke in seinem Notizbuch festhält, dann wirkt er tief in sich versunken. Als ein Nachbar, Monsieur Lavigne, ihn eines Vormittags auf der Terrasse der Closerie erblickt, traut sich der Franzose nicht, den Autor anzusprechen.

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Das grün umrankte Gartenrestaurant der La Closerie des Lilas am Boulevard du Montparnasse wird seine Schreibstube. Foto: W. Stock, Oktober 2022.

„Sie sahen aus wie ein Mann, der alleine im Dschungel ist“, sagte er.
„Ich bin wie ein blindes Schwein, wenn ich arbeite.“
„Aber Sie waren nicht im Dschungel, Monsieur?“
„Im Busch“, sagte ich.

Nicht wenige Kollegen bewundern seine literarische Begabung, Hemingways lakonische Art zu schreiben, wirkt unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und voller Laune. Gertrude Stein, seine einflußreiche Mentorin, erkennt die innovative Qualität von Ernests Schreibweise auf Anhieb. Er könne vielleicht irgendeine neue Art von Schriftsteller werden, meint die Autorin, als sie im Frühjahr 1922 seine ersten Texte liest.

Trotz mancher Reiberei entpuppt sich Gertrude Stein als eine kluge Lehrmeisterin. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert, regt Verbesserungen an. Sie hält vor allem Hemingways Schauplätze für passé, das meiste spielt sich im Hinterland um den heimatlichen Michigan-See ab. Er möge doch nicht über Themen schreiben, die keiner lesen will. Vielmehr solle er sich mit dem Neuen befassen, mit all dem Faszinierenden und dem Verstörenden, das er im lebhaften Paris und im wankenden Europa vorfinde.

Klar und deutlich erkennt die scharfsinnige Gertrude Stein das Potential von Ernest Hemingway als Romancier und als Schreiber von Kurzgeschichten. Einen Zeitungsreporter sieht sie in ihm nicht, verschwendetes Talent. Als der Mittzwanziger, die nicht einfache Entscheidung treffen muss, mit dem Journalismus aufzuhören und seinen auskömmlichen Vertrag als Korrespondent der kanadischen Zeitung zu kündigen, bestärkt sie ihn. 

Die Schriftstellerin und Kunstsammlerin aus Pittsburgh wird über die Monate zur akribischen Ausbilderin des späteren Nobelpreisträgers: Vor allem erläutert Gertrude Stein dem jungen Autor das Konzept des le mot juste und erklärt ihm die Wichtigkeit des treffenden Wortes. Sie zeigt ihm die Wirkung von Wortwiederholungen und sensibilisiert ihn für den Rhythmus der Sätze. Als Sohn einer Opernsängerin versteht Ernest die Wichtigkeit der Sprachmelodie.

Es ist Gertrude Stein, die Hemingway zu einer minimalistischen Erzählweise ermuntert, die Nüchternheit seiner Sätze zeigen ihren Einfluss. Der angehende Schriftsteller, gerade mal Anfang 20, akzeptiert Gertrude Stein als Ratgeberin. Ernest erweist sich als ein aufmerksamer Zuhörer und eifriger Schüler. Der junge Schreiber lernt so schnell, dass er ab 1924 nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen ist. Hemingways Sicht der Dinge, seine Themenkreise und sein Schreibstil beginnen

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Der Mann, der die Sonne umarmen will

Die US-amerikanische Erstausgabe von The Sun Also Rises.

Im Winterurlaub in Schruns legt Ernest Hemingway letzte Hand an sein Erstlingswerk. Er hat mit dem Roman über eine Spanien-Reise Ende Juli 1925 in Valencia begonnen und ihn im September in Paris fertiggestellt. Im April 1926 endlich lässt er das Manuskript seinem Lektor Max Perkins in New York zukommen.

Das Werk erscheint in den USA bei Scribner’s im Oktober 1926 unter dem Titel The Sun Also Rises, ein Jahr später wird der Londoner Verlag Jonathan Cape das Werk unter dem Titel Fiesta publizieren. Mit einem Mal ist der 27-jährige Mann aus Chicago eine Größe bei Leser und Kritik.

Ab Mitte der 1920er Jahre ist Ernest Hemingway nicht nur ein wirklich guter Schreiber mit eigenem Stil, sondern darüber hinaus auch ein sprachlicher Erneuerer. Seine Art zu schreiben, ist unverbraucht, seine Sätze klingen frisch und freiheraus. Während andere zeitgenössische Autoren weiterhin eine gespreizte Stilistik pflegen, kommt dieser Ernest Hemingway geradlinig zur Sache. Auch seine Themen scheinen nicht gedrechselt, sondern wie ein entstaubtes Abbild der konfusen Nachkriegswelt mit ihren geplatzten Träumen.

Ernest Hemingway klingt wie ein Revolutionär, wie der erste, der einer neuen Generation eine neue Sprache gibt. Seine Herangehensweise ist eine Mischung aus Realismus und Neugier, der Blick geht endlich wieder über den Tellerrand. Nach Weltkrieg und Wirtschaftskrisen ist man des Eiapopeias der Väter und Großväter überdrüssig. Ein neues Zeitalter wird eingeläutet. Die Blümchen-Prosa des Charles Dickens und seiner Adepten sieht mit einem Schlag arg alt aus.

Hemingways Schreibstil ist in der Tat wegweisend: Kühl reiht der Amerikaner Beobachtung an Beobachtung und Dialog an Dialog. Die Lakonik der Beschreibung und die Dürre der Dialoge erzeugen einen geschickten Spannungsbogen in den Subtext. Die Aneinanderreihung kurzer Aussagesätze wird typisch für viele Autoren der Lost Generation. Sie bauen Dialoge, die von sprachlicher Kargheit geprägt sind, denn die enttäuschten Romanfiguren breiten ihre Gefühle nur ungern aus. Man ahnt jedoch Schlimmes.

The Sun Also Rises hat Ernest Hemingway seinen ersten Roman überschrieben, merkwürdigerweise spielt er damit auf eine Bibelstelle an. Oritur sol et occidit et ad locum suum revertitur ibique renascens. Im Alten Testament wird Kohelet – die Lutherbibel führt es unter dem Titel Der Prediger Salomo – als Buch der Weisheit betrachtet. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe, steht in Prediger Salomo, Kapitel 1, Vers 5. 

Die Sonne geht auf und wandert nach dem Tag an den Platz ihres Wiederaufstiegs. So lautet das Regelwerk unseres Kosmos. Die Sonne wird bleiben, und

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Ein Wegbereiter der Moderne: Die Hemingway-Rebellion

Ernest Hemingway in Spanien, in der Nähe von San Ildefonso, im Jahr 1959.
Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Die Pionierleistung des Ernest Hemingway für die Weltliteratur darf nicht unterschätzt werden. Sein Wirken kommt einer Revolution gleich, sein Erzählstil hallt als mächtige Neuerung bis heute nach. Im Management-Deutsch würde man sagen: Seine Art zu schreiben ist eine Sprunginnovation. Dieser Ernest Hemingway hat, zu Anfang der 20. Jahrhunderts, einen neuen Ton in die Sprache der Weltliteratur gebracht. Eine neue Melodie und einen neuen Rhythmus.

Dieser sehr geerdete Mann wird das Kommando übernehmen als ein Avantgardist im besten Sinne des Wortes. Er verhilft in vorderster Linie der Moderne zum Durchbruch. Bis zur Jahrhundertwende schwang das Charles Dickens-Geschwurbel in all seinen Spielarten nach. Lange Sätze, mit viel Flitterkram und plüschigen Schäfchenwolken. Wörter, Sätze und ein Ambiente, die das Gebildetsein seines Autors und damit auch des Lesers unterstreichen sollten. In einem Begriff: Aristokraten-Literatur.

Doch dann tritt Mitte der 1920er Jahre ein Autor mit genug Ecken und Kanten auf. Den letzten Schliff holt sich Ernest Hemingway im putzmunteren Paris. Dieser suchende Mann wird hernach zum literarischen Vorkämpfer einer ganzen Generation, die man nach dem Ersten Weltkrieg schon als lost generation abgeschrieben hat. Doch mit dem Journalisten aus Chicago kommt ein neuartiger Touch in die erzählerische Prosa.

Dieser Bursche, der rund um den Michigan-See im Mittleren Westen der USA aufgewachsen ist, wird keiner für den Elfenbeinturm. Sondern ein unangepasster Abenteurer, den es mit wachen Augen hinaus in die Natur und die Welt zieht. Er entwickelt von Anfang an eine neue Art zu schreiben, und sein schnörkelloser Stil wird einer neuen Epoche die Bahn brechen.

Zwischen Dickens Tod und Hemingways Geburt liegen 29 Jahre, eine ganze Generation. Die Zeit drängt. Dieser eigenwillige Autor macht Schluß mit der Affektiertheit und dem Gekünstelten der viktorianischen Welt. Dieser richtungsweisende Neuerer beschränkt sich in seinen Werken auf eine einfache Syntax. Hauptsatz, dann nächster Hauptsatz. Die Sätze: kurz, einfach und geradeaus.

So erzeugt Ernest Hemingway einen klaren Rhythmus mit großer Wiedererkennung. Durch diesen kurzen Rhythmus erhalten Hemingways Sätze Tempo. Der Leser wird nicht wie bei der Plauderei der Dickens-Epigonen in einer Blase eingelullt, eher im Gegenteil. Der Leser kriegt kaum Zeit zum Luftholen. Er wird von der Rasanz der Satzmelodie in den Bann gezogen.

Lakonik und Zurückhaltung kann allerdings nur bei Exaktheit und Authentizität funktionieren. Sonst rutscht die Sprache ab ins Lapidare und der Text ins Unglaubwürdige. Davor jedoch bleibt dieser Nobelpreisträger in seinen guten Jahren gefeit. Weil er sich seine Themen von der Straße holt oder von seinen Reisen. Und weil er treffsicher zu beobachten weiß. Der Sohn eines Arztes setzt seine Sprache präzise wie ein Chirurg.

Ernest Hemingway kämpft beim Schreiben um jedes Wort. Manchmal überlegt er einen ganzen Vormittag auf seiner kubanischen Farm Finca Vigía, weil ihm das richtige Wort nicht einfallen will. Le mot juste, er hat diese Präzision von den großen französischen Poeten in Paris abgeschaut, keine schlechte Schule. Jedes Wort muss sitzen. Ein falsches Wort – und die Melodie und der Rhythmus des Satzes werden zerstört.

Ernest Hemingway hat – überspitzt gesprochen – die Literatur der Oberschicht entrissen und der Mittelschicht übergeben. Ein Rebell, der Ballast abwirft, in der Tradition der Boston Tea Party, literarisch natürlich. Es ist kein Zufall, dass ein US-Amerikaner den

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Revolution: Charles Dickens vs. Ernest Hemingway

So froh begann ein herzerfrischender Frühwintertag, einer von denen, die die erschlaffenden Sommertage – so nennt man sie, wenn man sie nicht hat – zuschanden machen und den Frühling beschämen, weil sie bisweilen nur halb so kalt sind. Die Schafglöckchen klangen so klar durch die kräftige Luft, als fühlten sie deren wohltuenden Einfluss wie lebende Wesen; die Bäume ließen statt der Blätter oder Blüten funkelnden Reif niederfallen, der unserem Tom wie Diamantenstaub vorkam. Von den Schornsteinen stieg der Rauch hoch, hoch in die Luft, als hätte die Erde vor lauter Schönheit ihre Schwere verloren und brauche sich nicht mehr durch dumpfe Dünste bedrücken zu lassen. Die Eiskruste auf dem sonst plätschernden Bach war so dünn und durchsichtig, dass er aussah, als hätten die lebhaften Wellen aus freien Stücken halt gemacht – Toms froher Geist deutete es so –, um den lieblichen Morgen zu betrachten. 
Charles Dickens, Martin Chuzzlewit, 1843.

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Im Spätsommer dieses Jahres waren wir in einem Haus in einem Dorf mit Blick über den Fluss und die Ebene zu den Bergen. Im Flussbett lagen Kiesel und Felsen, trocken und weiß in der Sonne, und das Wasser war klar und strömte schnell und blau in den Rinnen. Soldaten gingen am Haus vorbei die Straße hinunter, und der Staub, den sie aufwirbelten, senkte sich auf das Laub der Bäume. Auch die Stämme der Bäume waren staubig, und das Laub fiel früh in diesem Jahr, und wir sahen die Soldaten die Straße entlang marschieren und den Staub aufsteigen und die vom Wind bewegten Blätter fallen und die Soldaten marschieren und hinterher die Straße kahl und weiß bis auf die Blätter. Auf der Ebene wogten die Felder; es gab viele Obstbäume, und die Berge dahinter waren braun und kahl. In den Bergen fanden Gefechte statt, und nachts sahen wir die Artillerie aufblitzen. Im Dunkeln wirkte es wie ein Sommergewitter, aber die Nächte waren kühl und ließen nicht an ein aufziehendes Gewitter denken.
Ernest Hemingway, In einem anderen Land, 1929

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Ernest Hemingway und Dashiell Hammett: Kämpfer ohne Sieg

Der Malteser Falken von Dashiell Hammett, im Jahr 1930 veröffentlicht.

Ein Zeitsprung in die späten 1920er Jahre. Wir kommen in eine unschöne Dekade für the Greatest Country on the Face of the Earth. Die Wirtschaft stottert gewaltig, an der Wall Street vernichten der Black Thursday und der Black Friday Milliarden von Dollars und Millionen von Hoffnungen.

Soziale Konflikte legen die Brüchigkeit der amerikanischen Gesellschaft und jedes Aufstiegsversprechen offen. Die Mafia übernimmt in New York und Chicago das Kommando über Nachtleben, Drogen und Gewerkschaften. Die Prohibition verbietet den Verkauf von Alkohol und drängt brave Familienväter in Speakeasies, in dunkle Flüsterkneipen und Kaschemmen, alles unter dem Radar von Justiz und Polizei.

Wie will die Literatur auf solch eine Trostlosigkeit reagieren? Ernest Hemingway tut es auf seine Weise, ebenso Dashiell Hammett: mit wortkargen Sätzen, lakonischen Dialogen, mit einem Eisberg-Stil, bei dessen Subtext die Mäuse tanzen. Die Prosa ist maskulin von der Haarspitze bis in die Zehen, die Themen ebenso. Der eine schreibt über Stierkämpfer und Soldaten, der andere über Mord und Totschlag in San Francisco.

Hardboiled, nennt man diesen Schreibstil in Amerika. Hartgesotten. Die Hauptrollen fallen zynischen und gebrochenen Charakteren zu. Männer, ohne Fortune und Illusionen. Dies ist keine nette Gegend, um es milde auszudrücken. Nicht so schlimm wie die South Bronx in New York, aber in San Francisco ist sie eine der übelsten. Das war sie schon damals: Wenn die Detektivagentur hinter einem kleinen Ganoven her war, dann suchte sie ihn im Tenderloin oder drüber am North Beach.

So wie die Welt mies ist, so einsam sind ihre Protagonisten. Ihre Träume sind entzaubert, es sind Einzelgänger, ohne Familie, alles den Lebensumständen geschuldet. Im Grunde sind Hammetts Protagonisten wie jene von Hemingway, nur werden diese aus Spanien oder Italien in das Dickicht der Großstadt verpflanzt. Nach dem Detektiven Sam Spade von Dashiell Hammett erscheint ab 1940 Philip Marlowe von Raymond Chandler. Schwarze Serie, so wird die Gattung genannt, alles düster und unerquicklich. Wir erleben die Geburtsstunde des modernen Kriminalromans.

Die Anfangsjahre von Ernest Hemingway und Dashiell Hammett ähneln sich. Der Krimi-Autor schreibt ab 1922 für das Magazin Black Mask. Der Durchbruch dann 1930: Alfred A. Knopf veröffentlicht The Maltese Falcon. Der Roman ist ein literarischer Donnerschlag, ebenso wie Ernests Erstling The Sun Also Rises. In einer Welt voller Korruption und ohne Moral verwischt der Zynismus die Grenzlinie von gut und böse. Der Privatdetektiv Sam Spade wird im Malteser Falken hin und her geschleudert zwischen bösartigen Ordnungskräften und treuherzigen Schurken. Am Ende steht Sam Spade mit leeren Händen da.

Wie bei Ernest Hemingway. Auch seine Protagonisten scheitern. Die Zeiten sind nicht gemacht für Helden. Höchstens für Anti-Helden. Männer, die kämpfen und zum Schluss doch nur in ihre Niederlagen hineinstolpern können. Hemingways und Hammetts Helden treffen den Nerv der Zeit, es sind Kämpfer ohne Sieg, wie so viele

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Die 10 besten Bücher von Ernest Hemingway

1952
Platz 1: Der alte Fischer Santiago, der Junge Manolín und das kubanische Meer: Ein Meisterwerk sprachlicher Präzision und philosophischer Tiefe. Verlieren mit Würde – darum geht es.
« von 10 »

Die 10 besten Bücher? Dabei ist es viel mehr. Literarisch ist dieser Mann nicht kleinzukriegen, weil die Melodie und der Rhythmus seiner Texte die Gefühlslage vieler Lesergenerationen auf den Punkt genau getroffenen hat. Und noch etwas Ungewöhnliches kommt hinzu: Dieser Literat hat zudem, wie ein Popstar unserer Tage, ein kunterbuntes Leben vorzuweisen. 

Nun kann man seine Person von seinem Werk nicht trennen. Dieser Mann lebt wie eine seiner Romanfiguren und er stirbt auch so. William Faulkner, der Nobelpreis-Kollege, meint denn, wohl ein wenig neidisch: „Den wenigen, die ihn gut kannten, war er als Mann fast so viel wert wie die Bücher, die er geschrieben hat.“

Auf den einen oder anderen Beobachter, insbesondere auf Frauen, mag Ernest Hemingway mit seinem Riesen-Ego manchmal aufgeblasen wirken, wie der Idealtypus eines Macho-Mannes. Kriegsreporter, Schürzenjäger, Schnapsbruder, dieser Kerl tut einiges für sein Image. Aber Obacht, der Mann mit dem grauen Bart ist kein Blender oder Aufschneider. Verletzungen hat er zuhauf erlitten, er selbst ist kein Unschuldslamm, die Narben seiner Seele versucht er mit starken Sprüchen zu verbergen. 

Die Qualität seiner Werke ist unbestritten. Selbst bei seinen Kritikern gilt Hemingway als ein bienenfleißiger und pingeliger Schreiber. Dieser Autor muss um seinen Ruhm kämpfen wie ein Löwe, ihm ist nichts in den Schoß gefallen, nicht in der Literatur und auch nicht

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