Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

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Ernest Hemingway: sechs Handgranaten für Pablo Picasso

Die Messlatte für alle bildenden Künstler nach ihm: Das Genie Pablo Picasso wird 1881 in Málaga geboren. Foto: W. Stock, April 2019.

Die französische Hauptstadt zieht in den 1920 Jahren jene jungen Frauen und Männer an, die auf Neues aus sind. Schriftsteller mit rasanten Texten, Komponisten, denen die acht Töne einer Tonleiter nicht genügen. Maler mit revolutionären Stilformen, jenseits von Impressionismus und Expressionismus. Es ist in Paris, wo diese verwegenen Innovationen entstehen, wie der Surrealismus in der Malerei, wie Kubismus und Dadaismus.

Der US-Amerikaner Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris leben wird, sieht sich hineingeworfen in diese quirlige Welt, er taucht ein, er staunt und lernt schnell. Vor allem genießt er die Unbeschwertheit in den Cafés und den frischen Wind in den Kulturzirkeln. Bei dieser Gelegenheit lernt der junge Mann aus Chicago, er ist Anfang 20, die Avantgarde jener neuen Zeitepoche persönlich kennen.

Besonders die Maler haben es diesem Augen-Menschen angetan, die Spanier an erster Stelle. Der Katalane Joan Miró und Juan Gris aus Madrid, der Mann aus Chicago bewundert ihr Werk sehr. Einer dritter ragt heraus: Pablo Picasso. Man läuft sich über den Weg, sieht sich im Literarischen Salon der Gertrude Stein in der Rue de Fleurus. Zum ersten Mal trifft Hemingway im Jahr 1922 auf Picasso, man mag sich, ohne dass man fortan dicke Freunde wird.

Pablo Picasso, 1881 in Málaga geboren, ist ein ungemein produktiver Maler, Grafiker und Bildhauer. Am Ende seines Lebens, er stirbt 1973 im französischen Mougins, wird die Gesamtzahl seiner Werke auf 50.000 geschätzt. Der Andalusier, der in Paris lebt, prägt das ganze Genre. Seine künstlerischen Techniken und die vielfältigen Ausdrucksformen werden zum Maßstab in der Malerei. Keiner vermag mitzuhalten.

Der spanische Maler bleibt während des Zweiten Weltkriegs in Paris, auch nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht, meist zieht er sich in sein Landhaus nach Südfrankreich an der Côte d’Azur zurück. Die Nazis belegen ihn mit Ausstellungsverbot, aber alles in allem lässt man ihn unbehelligt. Unter den Deutschen ist die Lebenslust der Stadt perdu, es herrschen Hunger und Angst. Die Lebensmittel sind rationiert, Zigaretten und Schokolade ein Luxusgut.

Dunkle Schatten ziehen sich in jenen Monaten durch die Gemälde des Künstlers. Totenköpfe, kahle Knochen und Tierschädel tauchen auf der Leinwand auf, ausgemergelte und entstellte Körper sind Picassos Motive. Alles in düsteren Farben, die nach Leid und Tod riechen. Das übergroße Guernica aus dem Jahr 1937 wird zu einem künstlerischen Hilfeschrei einer durch die Legion Condor bombardierten Zivilbevölkerung während des Spanischen Bürgerkriegs im Baskenland.

Als Ernest Hemingway im August 1944 mit den US-Truppen ins befreite Paris einzieht, da führt ihn sein erster Weg ins Ritz, in sein Luxushotel an der Place Vendôme. Anschließend schaut er bei der Buchhandlung Shakespeare and Company in der Rue de l’Odéon, um seine Bekannte Sylvia Beach zu treffen. Und schließlich zieht es den Amerikaner zu Pablo Picasso. Das Atelier des damals schon berühmten Künstlers befindet sich in der Rue des Grands-Augustins, in der Nummer 7, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés.

Doch der Concierge bedeutet dem Schriftsteller, Picasso sei nicht anwesend, er könne eine Notiz hinterlassen. Und übrigens, ein Mitbringsel wie Zigaretten würde den Maestro sicherlich erfreuen. Der Nichtraucher Hemingway geht zu seinem Militärjeep, holt eine

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Ernest Hemingway – am Nullpunkt in Paris

Ernest Hemingway lebte sieben Jahre in Paris. Die Stadt hat den Autor aus Chicago nicht vergessen.

Ab Dezember 1921 lebt Ernest Hemingway in der Stadt an der Seine, es sind mühevolle Lehrjahre. Paris ist in jenen Jahren eine Stadt im Aufbruch. Autoren, Maler und Komponisten begeben sich auf die Suche nach neuen Ideen. Es ist eine aufregende Zeitepoche für Künstler, voller Unsicherheit: Eine verlorene Generation muss nach einem schrecklichen Weltkrieg ihren Weg finden, Neues wie Surrealismus, Kubismus oder Dadaismus werden ausprobiert.

Doch materiell reiht sich der Mann aus einem Vorort von Chicago ein in das Heer mittelloser Schriftsteller aus aller Welt, meist verkrachte Existenzen, die nicht wissen, woher sie das Geld für die nächste Miete nehmen sollen. Auch Ernest Hemingway muss das knappe Geld gut einteilen, besonders seit er den Vertrag mit einer kanadischen Tageszeitung gekündigt hat und als Schriftsteller reüssieren will.

Doch der frisch gebackene Familienvater, Sohn John wird 1923 geboren, erhält von Verlagshäusern aus den USA eine Absage nach der anderen. Seine Themen seien schwer vermittelbar, kriegt Hemingway als Kritik zu hören. Mit solch schroffer Ablehnung hat er nicht gerechnet, den Kerl mit dem riesigen Ego übermannen in Paris die Selbstzweifel und Depressionsschübe. Der junge Autor fällt in ein tiefes Loch.

Nach zahlreichen Tiefschlägen erreicht ihn endlich eine Zusage, überraschenderweise aus Deutschland. Der Herausgeber einer Berliner Zeitschrift mit dem Titel Der Querschnitt will ihn veröffentlichen. Wedderkop schreibt, meine Stierkampf-Story sei wunderbar, verkündet er stolz. Man wolle ihn drucken, ein gutes Honorar gebe es obendrein.

Am 9. Oktober 1924 treffen sich Querschnitt-Chef und der junge Amerikaner in Paris, im Apartment von Ezra Pound, der schon öfter für das Berliner Magazin geschrieben hat. Man findet Gefallen aneinander. Ernest Hemingway ist angetan von den Ideen des avantgardistischen Chefredakteurs und Hermann von Wedderkop erspürt das Talent des unbekannten US-Autors.

Seit 1924 verantwortet Hermann von Wedderkop als Chefredakteur und Herausgeber die redaktionelle Linie, er fördert innovative Autoren mit wirklichkeitsnahen Themen und realistischem Stil. Der Querschnitt druckt zunächst einige schlüpfrige Gedichte Hemingways. Wedderkop veröffentlicht meine ganzen obszönen Arbeiten schneller als ich sie schreiben kann.

Im Sommerheft des Jahres 1925 druckt Der Querschnitt Hemingways Stierkampf-Story. Im folgenden Heft 7, vom Juli 1925, findet sich der zweite Teil der Erzählung über den abgehalfterten Torero Manuel Garcia. Gekonnt improvisiert schon diese Kurzgeschichte von gut 30 Seiten über die Grundmelodie des Hemingway’schen Werkes: den heroischen Willen, gegen die menschlichen Grenzen zu kämpfen und niemals aufzugeben. 

Die Story überzeugt die Leser durch die Kürze und Klarheit ihres Stils, besonders gelungen ist schon hier die unterkühlte Kargheit in den Dialogen. Während andere zeitgenössische Autoren

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Vor genau 100 Jahren: Ernest Hemingway trifft Gertrude Stein zum ersten Mal

Die Telefonkarte der Gertrude Stein in Paris.

Am 8. Februar 1922 besuchen Ernest Hemingway und seine Ehefrau Hadley Richardson die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein, sie sind zum Nachmittagstee eingeladen. Das junge Ehepaar ist neu in Paris, mit einem Empfehlungsschreiben des Schriftstellers Sherwood Anderson werden dem unbekannten Journalisten die Türen zu der wohlhabenden Kunstsammlerin geöffnet.

Gegen 17 Uhr treffen die Hemingways in dem Apartment in der Rue de Fleurus 27 ein, wo Gertrude Stein mit ihrer Lebensgefährtin Alice Toklas lebt. Stein ist zu jenem Zeitpunkt 48 Jahre alt, Ernest Hemingway gerade mal 22. Es wird der erste Besuch von vielen, Gertrude Stein nimmt fortan die Rolle einer Mentorin ein für den jungen Mann aus Chicago, ein wenig vielleicht auch die Mutterrolle in der Fremde.

Gertrude Stein ist selbst eine Schriftstellerin, zwar mit mäßigem Erfolg, doch von ungeheuerem Fleiß und mit Mut zur Innovation. Mit ihrer experimentellen Erzählweise – wie in ihrem über tausend Seiten dicken Hauptwerk The Making of Americans. Geschichte vom Werdegang einer Familie – setzt sie sich über die üblichen grammatikalischen Konventionen hinweg, verzichtet weitgehend auf Satzzeichen und baut endlose Variationen und Satzwiederholungen ein.

Eine neue Welt für Ernest Hemingway. Eigentlich ziemlich grün hinter den Ohren, durchlebt der 22-Jährige während seiner sechs Jahre in Paris eine dreifache Wandlung. Er wird vom Amerikaner zum Weltbürger, er wechselt vom Journalismus zur Schriftstellerei und er wandelt sich vom Zyniker zum Romantiker. Die Metamorphosen des Ernest Hemingway haben vor allem mit den Menschen zu tun, die in Paris zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis gehören.

In ihrem literarischen Salon schart Frau Stein die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche um sich, interessante Menschen mit spannenden Ideen. Zu ihnen gesellt sich ab Februar 1922 dieser unbekannte Journalist aus Chicago namens Ernest Hemingway, der hochgewachsene Korrespondent für die kanadische Tageszeitung Toronto Star fällt auf durch ein gesundes Selbstbewusstsein und höhere Ambition. Die Mäzenin aus Pittsburgh ist eine Person von Einfluss und Erfahrung in den Pariser Künstlerkreisen, sie findet Gefallen an dem kernigen Kerl und fördert seine Begabung als Autor. 

Gertrude Stein wird zu einer klugen Lehrmeisterin für Ernest. Sie liest seine Entwürfe, korrigiert, regt Verbesserungen an. Sie hält Hemingways Schauplätze für überholt, das meiste spielt sich in der Seenlandschaft des ländlichen Nordens seiner Heimatregion ab. Er möge doch nicht über Themen schreiben, die keiner lesen will. Vielmehr solle er sich mit dem Neuen befassen, das er im lebhaften Paris und im krisengeschüttelten Europa vorfinde.

Darüber hinaus sensibilisiert sie Hemingway für die Wichtigkeit der Wörter, erklärt ihm die Bedeutung von Wortwiederholungen, drängt ihn zu einer sparsamen Erzählweise, seine lakonischen Sätze gehen auf ihren Einfluss zurück. Ernest Hemingway lernt schnell, ab 1924 ist er nicht mehr auf die Ratschläge der Frau Stein angewiesen, die neuen Themenkreise und seine Stilistik beginnen sich zu festigen.

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Gertrude Stein mit dem Hemingway-Baby John, Paris 1924. Credit Line: Public Domain.

Gertrude Stein erkennt klar und deutlich

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Auf den Spuren von Hemingway in Paris

Vor 100 Jahren, im Dezember 1921, zieht der US-Amerikaner Ernest Hemingway nach Paris. Da ist er 22 Jahre alt. Mitten in den „Goldenen Zwanzigern“ findet der bedeutende Schriftsteller dort sieben Jahre lang Inspiration. Tom Noga blickt für den WDR-Podcast Neugier genügt auf diese für Hemingway prägende Zeit zurück.

Eine Spurensuche unter Mitwirkung von Wolfgang Stock.

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Vor genau 100 Jahren: Paris erobert Ernest Hemingway

Ein junger Journalist in Paris. Das Passport-Foto des Ernest Hemingway aus dem Jahr 1923. Credit Line: Public Domain.

Am 21. Dezember 1921 erreichen Ernest Hemingway und Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das Ehepaar den Nachtzug nach Paris. Wenige Monate zuvor, Anfang September, haben der 22-Jährige Ernest und die acht Jahre ältere Hadley in Horton Bay, in Michigan, im Familienkreis geheiratet.

Das junge Paar plant, sich für längere Zeit in Paris niederzulassen. Zunächst mieten sie das Zimmer mit der Nummer 14 im Hôtel Jacob et d’Angleterre in der Rue Jacob im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Sogleich empfindet Ernest eine tiefe Verbundenheit mit seiner Wahlheimat. Er wird den Protagonisten seines ersten großen Romans – The Sun Also Rises aus dem Jahr 1926 – deshalb Jacob nennen, Jacob Barnes, mit Spitznamen Jake

Als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt Ernest nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die nach dem Weltkrieg durchgerüttelt werden von politischen Konflikten und sozialen Erschütterungen. Der junge Journalist wird hineingeworfen in den alten Kontinent, es ist die Weihnachtszeit 1921 und er weilt weit von der Familie. Briefe dauern Wochen und ein Telegramm kostet einen Dollar pro Wort, ein kleines Vermögen.

Ernest spricht kein Französisch und es wird zwei Jahre dauern, bis er sich einigermaßen verständigen kann. Hadley ist flinker, sie erlernt schnell die fremde Sprache und es wird ihr obliegen, den Schriftverkehr mit den Behörden zu erledigen. Das Ehepaar findet schnell Anschluß an die Expat-Gemeinde in Paris. Gertrude Stein, Ezra Pound, Lewis Galantière und Sylvia Beach von der Buchhandlung Shakespeare and Company in der Rue l’Odéon werden zu guten Freunden. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als freier Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, eine kleine Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole, sie sind arm, aber glücklich, wie Hemingway des Öfteren anmerkt. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Das Le Pré Aux Clercs in der Rue Bonaparte, direkt um die Ecke vom Hotel, wird ihr neues Lieblingsrestaurant. Hadley entpuppt sich als Naschkatze, die das französische Gebäck und den köstlichen Kuchen nur so verschlingt. Auch ihr Ehemann wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner rigiden Erziehung und der nüchternen Enge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem

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Ein Revolutionär, der als Klassiker endet

Der junge Ernest Hemingway in Paris, im März 1928. Portrait von Helen Pierce Breaker. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Alles geschieht in Paris und ohne Paris bleibt diese Umwälzung nicht vorstellbar. Die Stadt an der Seine ist wie eine Insel des Glücks, alles um sie herum muss sich im Unrat der Zeitläufte suhlen. Nach dem Ersten Weltkrieg liegen die Länder am Boden, Gewinner wie Verlierer. Männer sind in einem sinnlosen Krieg verheizt worden, Werte haben sich als hohl erwiesen, ihr Vermögen haben die Deutschen in den Kriegsanleihen des Kaisers verpulvert, selbst Amerika wird erschüttert von sozialen Konflikten.

Und die Literatur? Wie ein alter Dieselmotor knattert die viktorianische Literaturtradition eines Charles Dickens mit ihren Adelsthemen und dem Schwurbel-Stil dem Friedhof entgegen. Die englische Literatur beharrt immer noch auf diesen belehrenden Aristokraten-Touch, ihre Themen um Londoner Waisenhäuser und hartherzige Lords ermüden die Leser zunehmend. Es geht dem Ende zu mit dem weitschweifigen Gesäusel, doch das Neue gewinnt erst langsam an Kontur. 

Aus der calvinistischen Ödnis des Mittleren Westens kommt im Dezember 1921 ein lebenshungriger junger Mann aus Chicago in die französische Hauptstadt, als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star. Ernest Hemingway hat nicht studiert, ein Umstand, der sich jedoch durchaus als Vorteil herausstellen wird. Neugierig taucht der 22-Jährige ein in die alte Welt, er liest französische Lyrik, deutschen Naturalismus und spanische Novellen. Und er hört aufmerksam den Ratschlagen zu, die Künstler in Paris ihm verraten.

Gertrude Stein lehrt den Rhythmus der Sprache, die französischen Poeten demonstrieren mit ihrem le mot juste wie wichtig es ist, das treffende Wort zu finden. Die Disziplin des genauen Wortes sensibilisiert ihn für den richtigen Ausdruck, er wird die Technik fortan in seiner Prosa anwenden. Von den Musikkomponisten lernt er, wie wichtig eine Satzmelodie ist. Melodie und Kontrapunkt. Hemingway wird ein Schriftsteller werden mit einer ganz eigenen Tonalität, sein Satzbau bekommt Wiedererkennungs-Qualität.

Dann schaut der Sohn eines Arztes und einer Opernsängerin sich die Farbenpracht der Gemälde eines Henri Matisse oder Paul Cézanne an. Der Amerikaner aus Illinois wird überwältigt, wie es den Künstlern gelingt, die großartige Natur mit nur wenigen Strichen und Farbtupfern froh und leuchtend darzustellen. Er nimmt sich vor, die Landschaft in seiner Prosa so zu schildern, wie die französischen Impressionisten zu malen vermögen. 

Es ist das Handwerk des Schreibens, das Ernest Hemingway sich in Paris aneignet. Einen besseren Ort kann man sich nicht vorstellen. Doch Paris ist mehr. In der Stadt des Lichtes erlebt er, dass trotz Verletzungen und Schicksalsschlägen, die Welt Liebliches zu bieten hat: attraktive Frauen, einen wunderbaren Rotwein, gutes Essen, Boxen und Pferderennen, die Muße im Café, den Trost der Kunst. Paris bewahrt den jungen Mann davor, zum Zyniker zu werden und ermöglicht ihm, sich seiner Zielvorstellung eines guten Lebens klar zu werden.

Eine neue Art zu schreiben ersteht, kurz, lakonisch, auf das Wesentliche reduziert. Hemingways Themen und sein Stil bewegen sich nahe

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Ernest Hemingway mit Pascin im Dôme

Jules Pascin: Ein Mann mit einem Glas Wein. In Paris. Aus dem Jahr 1923.

Paris in den 1920er Jahren ist für jemanden, der in der calvinistischen Enge des amerikanischen Mittelwestens groß geworden ist, ein himmelweites Paradies der Sinnenfreude. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition die gute Laune verderben, hockt der aus dem Land vertriebene Müßiggang im Café de Flore in Saint-Germain-des-Prés und nippt an einem Cabernet

Die französische Hauptstadt zieht all die jungen Frauen und Männer an, die auf Neues aus sind. Maler mit frischen Stilformen, Schriftsteller mit rasanten Texten, Komponisten, denen acht Töne nicht genügen. Ernest Hemingway wird hineingeworfen in diese quirlige Welt, er taucht ein, er lernt und er genießt die Unbeschwertheit und das Wohlbehagen an der Seine. 

Der junge Amerikaner, er ist Anfang 20, lernt die kulturelle Avantgarde jener neuen Zeitepoche kennen. Ernest Hemingway trifft auf Ezra Pound, James Joyce, Joan Miró, Pablo Picasso, Gertrude Stein, Ford Madox Ford, F. Scott Fitzgerald. Man nennt sie die lost generation, die verlorene Generation, weil nach dem schlimmen Krieg die Werte modrig geworden sind, und das Neue erst langsam an Kontur gewinnt.

An einem Abend trifft Ernest Hemingway im Café du Dôme am Boulevard du Montparnasse den bulgarischen Maler Jules Pascin. Der Expressionist, Jahrgang 1885, macht vor allem durch freizügige Frauenakte von sich reden. Hemingway gesellt sich zu dem Maler, der mit zwei bildhübschen jungen Frauen, seinen Modells vom Arbeitstag, an einem Tisch sitzt.

Im Laufe des Gesprächs fragt ein zunehmend betrunkener Pascin den US-Amerikaner, ob er nicht mit einer der beiden Frauen in Bett möchte. Und prompt macht sich dann eine der Schönen fordernd an den Schriftsteller heran, zeigt ihre Reize, Pascin bietet sein Atelier als Liebesnest an. Doch Ernest Hemingway löst sich aus der lasziven Situation, verabschiedet sich und geht nach Hause zu seiner Ehefrau Hadley.

Jules Pascin ist ein Ruheloser. Budapest, Wien, London, München, Berlin, die USA, der Bulgare reist viel. Dies hat er mit Hemingway gemein. Die beiden verstehen sich gut. Der Mann aus Chicago mag den Stil des Künstlers und seinen jovialen Charakter. Pascin war ein sehr guter Maler, und er war betrunken, ständig, vorsätzlich betrunken, aber bei klarem Verstand. In der Tat malt Pascin wie ein Besessener, Tausende Bilder und Skizzen.

Ein manischer Künstler, angetrieben von Rastlosigkeit und dem Alkohol. Im Grunde seines Herzens indes ein Romantiker. Hin und her gerissen zwischen Ehefrau, Geliebte und seinen Modells. Wenn er feiert, und er feiert jeden Tag, findet man ihn in den Bars und Restaurants von Paris, umringt von Freunden und koketten Frauen. Seine Bilder verkaufen sich gut, das schöne Geld fließt in den Wein.

Das Schicksal meint es nicht gut mit dem Maler. Früher hat er farbenprächtige Landschaften auf Kuba und in Mexiko gezeichnet, mit der Zeit werden seine Gemälde und Zeichnungen

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Ernest Hemingway und Joachim Ringelnatz

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
da taten ihnen die Beine weh,
und da verzichteten sie weise
denn auf den letzten Teil der Reise.

In seiner Erzählung The Green Hills of Africa – zu Deutsch Die grünen Hügel Afrikas – beschreibt Ernest Hemingway im Jahr 1935 eine skurrile Episode. Der Amerikaner, auf Antilopen-Jagd in Afrika, trifft in der einsamen Steppe auf einen Safari-Kameraden aus Tirol. Der Schriftsteller stellt sich dem Österreicher vor.

„Hemingway ist meine Name.“
„Kandisky“, sagte er und verbeugte sich. „Den Namen Hemingway habe ich schon einmal gehört. Wo? Wo habe ich ihn schon gehört? Ach, ja. The Dichter. Kennen Sie Hemingway, den Dichter?“
„Wo haben Sie etwas von ihm gelesen?“
„Im Querschnitt.“
„Das bin ich“, sagte ich, hocherfreut. 

Und in der weiten Steppe Ostafrikas unterhält der schrullige Österreicher sich ausführlich mit dem US-Amerikaner Ernest Hemingway über die moderne Literatur Deutschlands. Der Österreich fragt neugierig nach.

„Sagen Sie, was halten Sie von Ringelnatz?“
„Er ist brillant.“
„So. Sie mögen also Ringelnatz. Gut. Was denken Sie über Heinrich Mann?“
„Der taugt nichts.“
„Glauben Sie wirklich?“
„Ich weiß nur, dass ich ihn nicht lesen kann.“

Ernest Hemingway hält Joachim Ringelnatz für brillant. He is splendid, heißt es im Original. Famos, glanzvoll, großartig. Der US-Autor hält große Stücke auf den Deutschen aus Wurzen. Und der Sachse kommt in The Green Hills of Africa ein weiteres Mal vor. Dass er in der afrikanischen Buschlandschaft auf an admirer of Joachim Ringelnatz trifft, es wundert ihn, so schreibt Hemingway an anderer Stelle.

Der Amerikaner hat in seiner Pariser Zeit einen Zugang zu Deutschland und Einblick in die deutsche Literatur erhalten. Ein wenig ist er der deutschen Sprache mächtig, durch die mehrmonatigen Winterurlaube im Vorarlberg beherrscht er ein paar Brocken. Der Mann aus Chicago befasst sich mit Joachim Ringelnatz, mit Rainer Maria Rilke, mit Erich Maria Remarque und mit Stefan Zweig. Deutsche Autoren lassen ihn nicht kalt, er erkennt ihre Qualität, Hemingway bildet sich sein Urteil. Er teilt ein in jene, die er mag und jene, von denen er nichts hält.

Auch Ringelnatz besitzt einen Bezug zu Paris. Im Jahr 1925 reist er für

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Paris – The Greatest Luck

„Wenn du soviel Glück hattest, als junger Mensch in Paris gelebt zu haben, dann bleibt die Stadt für den Rest deines Lebens bei dir, einerlei wohin du auch gehen magst. Denn Paris ist ein Fest fürs Leben.“

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Ein Miró für Mrs. Hemingway

Ernest Hemingway, Ehefrau Miss Mary und Verwalter Roberto Herrera Sotolongo im Esszimmer der Finca Vigía. An der Wand: Der Bauernhof von Joan Miró. Foto: George Leavens.

Schon in frühen Jahren beginnt Ernest Hemingway, moderne Kunst zu sammeln. Anfang der 1920er Jahre lebt er mit seiner ersten Ehefrau Hadley in Paris, dort, wo junge Frauen und Männer mit neuen, wilden Ideen von sich reden machen. Die amerikanischen Expatriates in der französischen Metropole scharen sich in jenen Jahren um Gertrude Stein, eine wohlhabende Autorin und Kunstsammlerin. Die Frau aus Pittsburgh führt den Neuankömmling Ernest Hemingway in ihren avantgardistischen Zirkel ein und fördert den talentierten Autor.

In ihrem literarischen Salon in der Rue de Fleurus 27 sammelt Frau Stein die experimentierfreudigen Künstler jener Zeitepoche um sich, nicht nur Autoren und Komponisten, sondern auch zahlreiche Maler, so Pablo Picasso, Henri Matisse, Georges Braque und Juan Gris. Der junge Ernest Hemingway, ein Bauch- und Augen-Mensch, besitzt von früh an ein Gespür für gute Kunst. Ein Gemälde hat es ihm besonders angetan. Der Bauernhof, gemalt von dem Katalanen Joan Miró, der abwechselnd in seiner Heimat und in Paris lebt.

Der Maler aus Barcelona, Jahrgang 1893, er ist sechs Jahre älter als Hemingway, steht am holprigen Anfang seines Erfolgsweges. Der Bauernhof, auf Katalanisch La Masía, wurde von ihm 1921 und 1922 in neunmonatiger Fleißarbeit erstellt. Der 28-jährige Miró ist noch auf der Suche nach seinem eigenen Stil und mischt realistische, naive, phantastische und kubistische Elemente. Auf dem Bild ist der Bauernhof seiner Eltern in Mont-roig del Camp abgebildet, der im Landesinneren westlich von Tarragona liegt.

Das großformatige Bild wird von einem Eukalyptus-Baum beherrscht, der aus einem schwarzen Kreis ragt und im Abendhimmel vom Mondlicht erleuchtet wird. Die Tiere des Hofes – ein Hahn, ein Esel, eine Ziege, ein Hund, eine Taube – verteilen sich wild über das ganze Bild. Unter dem Baum befindet sich ein umgestürzter Blecheimer vor einer Gießkanne, rechts davon die französische Zeitung L’INTRANSIGEANT. Wegen der Faltung kann man nur L’INTR (hinein!) lesen, was der gesamten Komposition eine sexuelle Andeutung verleiht.

Nach diesem Schema versteckt Joan Miró in seinem Gemälde eine Vielzahl kleiner Anspielungen. Jedes Detail erzählt seine Botschaft, wie in Trance vereinen sich viele an sich realistische Eindrücke mit dezenter Kraft zu einem verrückten Traum. Man kann stundenlang vor diesem Gemälde weilen und stets etwas Neues entdecken. Eigentlich markiert dieses Schlüsselwerk Mirós den Beginn des Surrealismus in der Malerei. Man kann wunderbar beobachten, wie in diesem Bild die realistische Darstellung des Landlebens übergeht in abstrakte und dadaistische Motive.

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La Masía, von Joan Miró. Zu Deutsch: Der Bauernhof.

Ernest Hemingway, damals noch ein mehr oder weniger unbekannter amerikanischer Autor in Paris, kauft Mirós Gemälde im Herbst 1925 über den Kunsthändler Léonce Rosenberg. Er möchte das Bild seiner Frau Hadley zum Geburtstag schenken. Der 26-jährige Journalist aus Chicago, in den Anfangsjahren meist klamm, leiht sich den Kaufpreis von 5.000 Franc bei seinem wohlhabenden Freund und Kollegen John Dos Passos.

Als Ernest Hemingway – mit der zweiten Ehefrau Pauline – im Jahr 1928 nach Key West zurück in die USA übersiedelt, kommt Joan Mirós Bild mit. Nach einem weiteren Jahrzehnt und einer weiteren Ehefrau hängt das Gemälde seit 1939 im

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