Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 32 von 68

Warum Ernest Hemingway auf Kuba heute so lebendig ist

Ein Gringo auf Kuba. Bis heute ist Ernest Hemingway in Havanna allgegenwärtig. Grafik: Filippo Imbrighi, Roma

Von 1939 bis 1960 hat Ernest Hemingway auf Kuba gelebt, auf der Finca Vigía in San Francisco de Paula, seinem privaten Paradies, wie er jedem Besucher zu sagen pflegt. Es ist ein glückliche Zeit gewesen, nach Paris wahrscheinlich die glücklichste in seinem Leben. Für seine letzten beiden Jahre ist der Nobelpreisträger dann in die USA zurückgekehrt, nach Ketchum, in die Berge Idahos, es hat vornehmlich medizinische Gründe. Ernest hat körperlich und mental abgebaut, das Ende naht, und Ehefrau Miss Mary will, dass er in den USA behandelt wird.

Nach seiner Selbsttötung im Juli 1961 gerät Ernest Hemingway auf Kuba mehr oder weniger in Vergessenheit. Die Insulaner kämpfen an anderen Fronten, russische Raketen, Söldnerinvasionen, Wirtschaftsembargo und Machtkämpfe innerhalb des Regimes. Das tagtägliche Ringen ums Überleben ist für die Kubaner eh beschwerlich genug. So verfällt über die Jahre die Finca Vigía, die Erinnerung an Don Ernesto verblasst.

Erst Mitte der 1980er Jahre rückt Ernest Hemingway auf Kuba wieder ins öffentliche Bewusstsein. Norberto Fuentes, zu diesem Zeitpunkt ein junger Schriftsteller mit Nähe zu den Castristen, publiziert eine detailgenau recherchierte Chronik der kubanischen Jahre des US-amerikanischen Nobelpreisträgers. Sein Buch Hemingway en Cuba wird zum internationalen Bestseller.

Norberto Fuentes Fleißarbeit von über 700 Seiten markiert den Beginn einer Renaissance des Ernest Hemingways auf Kuba. Die Finca Vigía wird jahrelang renoviert und zum Museum ausgebaut. Ihr Inventar – Hunderte Manuskriptseiten, 9.000 Bücher, unzählige Fotos und Dokumente – wird mit Hilfe von US-Universitäten gründlich katalogisiert und digitalisiert. Wissenschaftliche Symposien werden regelmäßig in Havanna abgehalten. Zart werden Verbindungen zwischen kubanischen und US-amerikanischen Institutionen geknüpft.

Die Kultur – neben Ernest Hemingway übrigens auch die Musik, in Gestalt von Dizzy Gillespie über Chucho Valdés bis zu den alten Knaben des Buena Vista Social Clubs – sorgt dafür, was die Politik nicht hinbekommt. Eine neue Milde zieht auf im kalten Krieg zwischen den verfeindeten Nachbarn. Trotz Wirtschaftsboykott und Sanktionen lässt die Kultur in jenen Jahren des Ronald Reagan das Einfallstor für Verständigung und Zusammenarbeit nun einen Spalt weit offen.

Die kubanische Tourismusagentur spielt den Joker Hemingway. Ab jenen Jahren begegnet man dem US-Amerikaner an jeder Ecke in Havanna. Im El Floridita, im Ambos Mundos, in der Bodeguita del Medio, in San Francisco de Paula oder in Cojímar. Ein Hafen wird auf Kuba nach Ernest Hemingway benannt, auch ein Angelwettbewerb, Daiquirí-Drinks ohnehin. So putzmunter wie ab den 1990er Jahren ist Ernest Hemingway auf Kuba zu Lebzeiten nie gewesen.

Während der Nobelpreisträger friedlich auf dem Friedhof von Ketchum in den Rocky Mountains ruht, erkennt der schlaue Fidel Castro in Havanna, wie nützlich El Americano dem revolutionären Regime sein kann. Ab Mitte der 1980er Jahre hat Castro sein klammes Land behutsam dem devisenstarken Tourismus geöffnet. Ernest Hemingway dient dabei als Zugpferd, Spanien und Kanada investieren massiv in die touristische Infrastruktur der Insel. Der US-Nobelpreisträger wird sozusagen als eine vertrauensbildende Klammer benutzt bei dieser Öffnung gen Kapitalismus.

Zugleich will Fidel Castro mit der Verehrung Hemingways eine versteckte Botschaft an die USA und ihre verschreckten Bürger schicken. So schlimm, so die Intention des bärtigen Máximo Líder, kann unser Sozialismus doch nicht sein, wenn wir euren größten Schriftsteller so verehren. Und er – der große Hemingway – hat ja uns Kubaner ebenfalls gemocht.

Fidel Castros Kalkül geht voll auf: Nordamerikanische und europäische Touristen reisen in Scharen an und werden verzückt von dem Kommunismus unter tropischen Palmen, ein paar doppelte Daiquirís im El Floridita erledigen den Rest. Und flugs ist der große Ernest Hemingway auf Kuba mehr als ein Schriftsteller, der Gringo aus Chicago avanciert zur Person der Zeitgeschichte.

In den neoliberalen 1980er Jahren lässt sich historisch eine Zeitspanne ausmachen, in der Ernest Hemingway die vielleicht letzte sichtbare Brücke zwischen beiden ideologisch so verfeindeten Staaten gebildet hat. Der tote Nobelpreisträger ist aus diesem Grunde noch heute in Havanna überpräsent, diese Aufmerksamkeit ist politisch gewollt.

Es gibt allerdings noch einen anderen Grund, weshalb der bärtige US-Amerikaner auf der Insel so bewundert wird. Die Kubaner, insbesondere die normalen Menschen, sie mögen ihn einfach, ihren Don Ernesto. Die Fischer aus Cojímar, die kleinen Händler in der Altstadt, die Taxifahrer in Havanna, die Privatvermieter der Casas Particulares, sie alle verehren ihn wirklich, von Herzen, als einer der ihren.

 

 

 

 

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Latízón TV über ‚Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru‘

Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru

Amazon.de oder Amazon.com (international) halten ausreichend Exemplare von Wolfgang Stock: Cabo Blanco -Mit Ernest Hemingway in Peru vorrätig. 

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Rote Wimpel vor Cabo Blanco

Modeste von Unruh mit Ernest Hemingway auf der ‚Miss Texas‘.
Cabo Blanco, am 27. April 1956.

Der Fotografin ist die Verärgerung anzumerken. Modeste von Unruh legt in Chaclacayo bei Lima die Ausgabe La Prensa vom 17. April 1956 aus der Hand. Zum wiederholten Male hat sie bei sich zu Hause Jorge Donayres Artikel über Ernest Hemingway und dessen Eintreffen in Cabo Blanco durchgelesen. Die Deutsche, die seit über einem Jahr in Peru lebt, empfindet die verunglimpfende Berichterstattung der Tageszeitung als massive Zumutung.

Alleine die abfällige Überschrift ärgert sie mächtig. Er ist ein bekennender Trinker, Sportfischer und Abenteurer, liest sie in fetten Lettern als Kopfzeile der Reportage auf Seite eins. Bekennender Trinker, es hört sich ähnlich an wie bekennender Katholik, so als wäre das Saufen eine Religion. Der Bericht in La Prensa, einer Zeitung, der in jenen Jahren fast stärkerer Einfluss zukommt als dem elitären El Comercio, stellt den US-Schriftsteller vor allem als Lebemann und Trunkenbold dar. Von Literatur ist nur am Rande die Rede, umso mehr von Whiskey und anderem Alkohol.

Zwei Tage später setzt La Prensa noch eins drauf. Asi es un Dia de Hemingway a las orillas de Cabo Blanco, wird ein Zweispalter von Jorge Donayre am 19. April überschrieben. So verläuft ein Tag von Ernest Hemingway an den Gestaden von Cabo Blanco. Und nicht weniger als fünfmal kommt in der knappen Abhandlung das Wort Whiskey vor. Aufstehen, Whiskey. Auf dem Boot, Whiskey. Beim Mittagessen, wiederum Whiskey – und so weiter. Auf 56 Zeilen fast ein halbes Dutzend Mal den Alkohol unterzubringen, auch dies ist eine Kunst.

Jorge Donayres boshaftes Portrait in der massentauglichen La Prensa passt so ganz zu der anti-amerikanischen Stimmung in Peru in jenen Tagen. Diese Art der Hassliebe gegenüber dem schwerreichen Bruder im Norden zieht sich durch die gesamte Geschichte des verarmten Andenlandes. Es ist ein hochgekochter Mix, angerührt aus Neid, Minderwertigkeitsgefühl und echtem Unmut.

Pobre México, tan lejos de Dios y tan cerca de Estados Unidos!, hat der mexikanische Präsident Porfirio Díaz vor über hundert Jahren wehmütig ausgerufen und sein Lamento macht sich der ganze Subkontinent zu eigen. Armes Mexiko, so weit entfernt von Gott und so nahe an den Vereinigten Staaten. Mit ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Hegemonialanspruch machen sich die gringos aus dem Norden jedenfalls nicht besonders viele Freunde in Lateinamerika.

Mit Ernest Hemingway schlägt man allerdings den falschen Sack auf dem richtigen Esel. Wie auch immer, die junge Frau aus der Nähe von Lima beurteilt die Berichte aus Cabo Blanco als geringschätzig im Inhalt und wertet sie journalistisch als herbe Enttäuschung. Wie nur kann man derart respektlos und unfein mit diesem bedeutenden Schriftsteller umspringen? Ein Säufer, der den Nobelpreis bekommen hat, so liest Modeste von Unruh zwischen den Zeilen.

Ihr scheint all dies ein krudes Zerrbild, ein schiefer Eindruck, den La Prensa von Ernest Hemingway in den Zeitungsspalten zeichnet. Für Modeste von Unruh, sie ist im November 1927 geboren, ist dieser Autor ein ganz anderer. Die Novelle Der alte Mann und das Meer und das Bürgerkriegsepos Wem die Stunde schlägt stehen im Bücherschrank der jungen Frau. Sie hat diese Romane, wie auch andere Erzählungen von ihm gelesen und als packende und ungewöhnlich einfühlsame Literatur in Erinnerung.

Sie verspürt, wie diesem Ausnahme-Schriftsteller, aus welchen Gründen auch immer, hundsgemein mitgespielt wird. Ihr journalistischer Ehrgeiz wird durch die unfaire Darstellung geweckt… (Anfang von Kapitel 17 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken).

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Interview mit Holger Ehrsam über Ernest Hemingway in Peru

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Miss Mary rackert wie eine Ziege

Mary Welsh, eine bezaubernde und selbstbewusste Mrs. Hemingway, in Cabo Blanco, Ende April 1956. Foto: Modeste von Unruh.

Die burschikose Mary Welsh in ihrem kurzärmeligen Hemd beeindruckt ihre Umgebung als kultivierte und patente Frau gleichermaßen. Die Ehepartnerin des Nobelpreisträgers weiß als Grande Dame mit betont guten Manieren zu überzeugen, gleichgültig an welchem Punkt dieses Erdballs. Die elegante Lady mit der kurzen Blondhaar-Frisur, die selbst in der Einöde von Cabo Blanco auf feinen Schmuck nicht verzichten mag, jedoch dezent getragen, wirkt bisweilen wie das glatte Gegenbild zu ihrem eher großkotzig auftretenden Ehemann.

Wenn Mary Welsh ihre Wayfarer-Sonnenbrille aufsetzt und sich auf der Terrasse des Cabo Blanco Fishing Clubs sonnt, dann steht die Ausstrahlung dieser aparten Frau in einem merkwürdigen Kontrast zu dem grauen und schroffen Landstrich Nordperus. Doch wenn man sie eine Weile beobachtet, fällt auf, wie wissbegierig und geradeheraus sich Mrs. Hemingway auf das Fremde einlässt.

Es ist vor allem Miss Mary zu verdanken, dass ihr Ehemann leidlich durch den Tag kommt, dass Ernest es mit dem Saufen nicht übertreibt und dass er zumindest ein wenig auf gesundes Essen achtet. Mary Welsh schützt ihren sprunghaften Gatten, auch wenn dieser es nicht so sehen wird, sie schirmt ihn ab vor den Widrigkeiten des Alltags und hauptsächlich schützt sie ihn vor sich selbst. Als Universaltalent beeindruckt sie den Schriftsteller immer wieder.

Miss Mary ist hartnäckig, verrät ein ausgelassener Ernest Hemingway freimütig in der US-Zeitschrift LOOK vom September 1956 über seine Ehefrau, sie ist darüber hinaus tapfer, charmant, witzig, es ist aufregend, sie anzusehen, ein Vergnügen mit ihr zu leben und sie ist eine gute Frau. Auch ist sie eine großartige Anglerin, ein anständiger Tonscheiben-Schütze, eine starke Schwimmerin, eine verdammt gute Köchin, sie hat viel Ahnung von Wein, ist eine exzellente Gärtnerin, eine Amateur-Astronomin, eine Studentin der Kunst, der Politik, des Suaheli, des Französischen und der italienischen Sprache. Und sie kann ein Boot auf Spanisch befehligen und einen Haushalt. Sie kann auch gut singen, mit einer klaren und reinen Stimme, sie kennt mehr Generäle, Admirale, Flugzeugmarschälle, Politiker und Berühmtheiten.

Die Lobeshymne mit der endlosen Aufzählung fällt denn doch ein wenig aus dem üblichen Stilduktus des Ernest Hemingway. Sei‘s drum, wenn er Gelegenheit findet, dann stimmt der Schriftsteller zumindest in der Öffentlichkeit das Hohelied auf seine Miss Mary an. Doch ganz so rosig sieht der Ehealltag hinter der Fassade nicht aus. Beide leiden. Ernest unter ihrer rigorosen Fuchtel und Mary unter seinen Alkoholexzessen und den unzähligen Seitensprüngen.

Drei turbulente Ehen hat Ernest Hemingway schon hinter sich. Das ist meine vierte und letzte Ehefrau, so stellt er die bezaubernde Blondine im Cabo Blanco Fishing Club vor. Der Nobelpreisträger lächelt dabei schelmisch und man darf raten, was er mit dem humorvollen Hinweis auf Mary als seine letzte Ehefrau denn meint. Ob er seiner Ehe eine lange Dauer gibt oder seinem Leben eine kurze.

Mary Welsh selbst findet rasch Gefallen an Cabo Blanco und an der harschen Gegend am peruanischen Pazifik. Sie bewegt sich selbstsicher auf dem ungewohnten Terrain und ist diejenige der amerikanischen Gäste, die am meisten mit den Einheimischen kommuniziert. Mrs. Hemingway interessiert sich für die regionalen Gepflogenheiten, für die Küche oder auch für die Geschichte ihres Gastlandes.

Dabei verreist Mary höchst ungern in die Ferne. Denn Ernest Hemingways Ehefrau leidet seit langem an…  (Anfang von Kapitel 16 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken).

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Ein Hemingway-Zwilling auf Facebook

Die launige Huldigung des Wayne Collins an Ernest Hemingway ist auf Facebook zu bestaunen.

Die Vergötterung des Ernest Hemingway nimmt nicht selten ausgelassene Züge an. Wer beispielsweise auf Facebook einen wachen Blick auf die Hemingway-Verehrung lenkt, der kommt aus dem Staunen und dem Amüsement nicht mehr heraus. Da findet sich zum Beispiel Wayne Collins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, alte Fotomotive des Nobelpreisträgers möglichst realistisch nachzustellen.

Ernest Hemingway in Afrika, der Schriftsteller in Spanien oder auf dem Meer vor Kuba, sein Zwilling aus heutiger Zeit folgt ihm, stellt ihm nach und stellt ihn nach. Ein wenig hilft, dass dieser Wayne Collins dem Schriftsteller-Genie aus Chicago in Statur und Antlitz nicht ganz unähnlich wirkt.

„Als wir vor ein paar Jahren auf Trip in der Karibik waren, und mit den Jahren, hatte ich einen grauen Bart, der länger und länger wurde“, erzählt Wayne Collins über seine Anfänge als Hemingway. „Am Strand meinte meine Tochter dann, ich sähe Ernest immer ähnlicher.“ 

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Ernest Hemingway boxt in Afrika, Wayne Collins in seinem Garten.

Wayne, ein Mann aus North Carolina, ist Hemingway-Fan seit er denken kann. In Key West, Hemingways hometown in den 1930er Jahren, mischt er jedes Mal mit beim look-a-like contest, der seit 1981 jedes Jahr im Juli um die Kneipe Sloppy Joe’s herum veranstaltet wird.

„Wir haben da einen Wettbewerb, an dem ich und andere look-a-likes teilnehmen. Wir tummeln uns fröhlich auf der Bühne, kleiden uns wie er, reden über ihn, trinken wie er und veranstalten ein Bullenrennen durch Key West, mit falschen Stieren natürlich.“ Sein Traum ist, diesen Wettbewerb zu gewinnen.

Noch ist Wayne bei der Gaudi im Sloppy Joe’s ein wannabe. Erst wenn man den Wettbewerb gewinnt, gilt man als Papa, wie der Kosename des Schriftstellers lautet. „Wir freuen uns jedes Jahr auf die Reise nach Key West. Mit dem Auto die Florida Keys hinabzufahren ist etwas, das man in seinem Leben einmal getan haben muss.“ Ein bucket list item, das jeder auf seiner Lebensliste haben sollte.

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In ‚La Cónsula‘, im andalusischen Churriana, steht der Nobelpreisträger am Schreibpult. Und Wayne kopiert Jahrzehnte später Habitus und Kleidungsstil.

Man schaut auf die Replik-Fotos des Wayne Collins mit Heiterkeit und Vergnügen. Das Augenzwinkern, das bei diesem skurrilen  Steckenpferd regiert, ist nicht zu übersehen. Und auch der Nicht-Aficionado beginnt zu ahnen, welch ein Gigant dieser Autor sein muss, wenn ihn 60 Jahre nach seinem Ableben Dutzende gestandener Mannskerle voller Enthusiasmus nachstellen.

Zudem begreift man, dass die Verehrung dieses Nobelpreisträgers weit über das Literarische der Romane und Erzählungen hinausgeht. Die Verneigung erfolgt nicht nur vor dem Autor, sondern zudem vor dem Menschen und seiner ausgeprägten Lebenszugewandtheit. „It is a really great time!“, Wayne Collins lächelt.

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Das Meer blutet

An Bord der ‚Miss Texas‘: Ernest Hemingway, Jesús Ruiz More, Elicio Argüelles (oben), Kip Farrington, Miguel Custodio, Gregorio Fuentes, Máximo Jacinto Fiestas (unten). Cabo Blanco, im April 1956.

Obwohl das Wetter in Cabo Blanco sich nun gebessert hat, bekommen die Amerikaner und die Kubaner auf der Miss Texas am vierten Tag ebenfalls keinen einzigen schwarzen Marlin zu Gesicht. Neun Stunden weilt man auf dem Meer, das Boot fährt mittlerweile weiter hinaus auf den Pazifik, ohne Erfolg. Manuel Almenara, der an diesem Tag mitgekommen ist, berichtet beim Abendessen im Fishing Club, dass auf dem Ozean dann auch noch der Radiofunk ausgefallen ist.

Neben all dem Anglerpech fordern die rauen Lebensumstände in Nordperu ihren Tribut. In dem Expeditionstrupp treten die ersten gesundheitlichen Beschwerden auf. Der 50-jährige William Classen, der bei Hollywood-Klassikern wie Der Schatz der Sierra Madre und Jenseits von Eden hinter der Kamera stand, zieht sich eine Nierenvergiftung zu. Der Kameramann muss ins Krankenhaus von El Alto gebracht werden, wo er von Dr. Jackson behandelt wird.

Der fünfte Tag auf dem Ozean läuft ein wenig besser, zwei bocanegras und einige sierras werden gefangen. Das Klima spielt an diesem Apriltag verrückt. Die Sonnenstrahlen treffen bei der Ausfahrt senkrecht auf das Wasser, die Hitze kocht hoch wie in einer asiatischen Waschküche. Durch die hohen Temperaturen dehnen sich die Luftmassen aus und steigen auf. Passatwinde brausen nun auf, der Pazifik am Äquator wird aufgewühlt. Wiederum kein Marlin in Sicht.

Auf der Miss Texas macht sich allmählich Resignation breit, selbst bei den Einheimischen. Wenn an einem Tag nichts geangelt wird, dann blickt die peruanische Crew missmutiger drein als die US-Amerikaner. Die Stimmung an Bord der Schiffe trübt sich mehr und mehr ein. Am schlimmsten erwischt es den Schriftsteller: Ernest Hemingways Gemütszustand bricht geradezu ein.

Am sechsten Tag schließlich gibt es einen Hoffnungsschimmer. Das Wasser ist nun ruhig und am frühen Nachmittag machen die peruanischen Bootsmänner auf der Miss Texas einen riesigen merlín rayado aus. Über eine Stunde folgt das kleine Schiff dem Streifenmarlin. Die Filmleute auf der Pescadores Dos halten ihre Handkameras in Anschlag. Doch der alte Fisch will den Köder nicht beißen.

Solch ein fortwährendes Anglerpech ist ungewöhnlich für Cabo Blanco und deshalb spielt Kip Farrington mit einem verwegenen Gedanken. Sollte auch in den nächsten Tagen nichts gefangen werden, dann wird der US-Amerikaner in Talara ein Propellerflugzeug chartern. Aus der Luft will er so Ausschau auf dem Meer halten und als Lotse die Boote zu dem schwarzen Marlin leiten.

Der siebte Tag endet ebenfalls mit einer Enttäuschung. Bereits mittags um 13 Uhr kommt die Miss Texas in den Hafen zurück. Wieder einmal ohne Marlin. Gregorio Fuentes hat zumindest einen Mero gefangen, einen Zackenbarsch, ein imposantes Tier mit einem Gewicht von mehr als 50 Kilo. Der Küchenchef des Cabo Blanco Fishing Clubs freut sich am meisten über den Fang.

Ernest Hemingway und die Freunde halten sich bereits seit einer Woche in Cabo Blanco auf und der Erfolg liegt in den Sternen. Zu oft ist man hinaus gefahren und ohne Beute zurückgekehrt. Der Schriftsteller erfährt von den Peruanern, dass selbst einheimische Fischer seit 17 Tagen nichts gefangen haben. Der merlín negro hat sich zurückgezogen in die weiten und tiefen Wasser des Ozeans. (Anfang von Kapitel 15 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken).

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Pressestimmen zu ‚Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru‘

Wolfgang Stock: Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. BoD über amazon.de

„Nun legt Wolfgang Stock nach drei mehrwöchigen Recherchen in den USA und Peru eine Fleißarbeit vor. Auf 360 Seiten hat er eine wenig bekannte Episode aus dem Leben von Ernest Hemingway akribisch nachgezeichnet. Das packend geschriebene Psychogramm „Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru“ rekonstruiert den Aufenthalt eines sympathischen Abenteurers mit Träumen und Hoffnungen.“
BuchMarkt, 05.09.2020

„Das Buch Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru (..) zeichnet aber auch das Bild eines gealterten Mannes, der mehr und mehr zerrieben wird von seinen Ängsten und Widersprüchen.“
Peru Vision, 02.09.2020

„Wolfgang Stock folgt der Fährte von Hemingways Expedition nach Cabo Blanco und spürt zahlreiche Textdokumente und Fotografien auf. Er befragt Fischer, hoch in den Achtzigern, die sich an Ernest Hemingway erinnern, als sei alles gestern gewesen. Wolfgang Stock hat Archive entstaubt, nach Informationen in Zeitungen und Zeitschriften gesucht und sich voll in den Sandstrand dieses peruanischen Fischerdorfes hineingebohrt. Ich wünsche, dass diese Anstrengungen sich in den Verkaufszahlen niederschlagen.“
José María Gatti, La Pipa de Hemingway, Buenos Aires

„Vor mehr als sechs Dekaden kam der damals berühmteste Schriftsteller dieses Planeten nach Peru, in das Fischerdorf Cabo Blanco, um hier einige Wochen mit Fischen und den Abenteuern auf dem Meer zu verbringen. Wolfgang Stock hat gerade ein Buch veröffentlicht, das diese legendäre Reise des Ernest Hemingway nachzeichnet.“
Raúl Cachay, Revista COSAS, Lima, Oktober 2020

„Stock belässt es keineswegs auf der Schilderung der paar Wochen in Cabo Blanco, sondern entwickelt daraus eine nahezu komplette Biografie. Das bewegte Leben Hemingways als Kriegsberichterstatter, Großwildjäger, Frauenheld und Alkoholiker lässt der Autor unter philosophischen, psychologischen, geografischen und zeitgeschichtlichen Aspekten Revue  passieren. Und er glänzt mit tiefem Wissen und prägnanten Interpretationen der wichtigsten literarischen Werke Hemingways. Dadurch entsteht ein sehr differenziertes, menschliches Bild des Schriftstellers und seiner Romane. Das macht Cabo Blanco authentisch und fast zeitlos. (…) Ein Buch über Hemingway der etwas anderen Art. Es ist so locker und dennoch tiefschürfend geschrieben und aufgebaut, dass nicht nur Fans des großen amerikanischen Schriftstellers zu ihrem Recht kommen, sondern auch Leser, bei denen die Lektüre der Hemingway-Werke schon lange zurückliegt.“ 
Hans G. Linder, www.finanzjournalisten.de, 16.12.2020

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Tanz mit dem Tod

Mario Saavedra und Ernest Hemingway verstehen sich bestens.
Obwohl der Nobelpreisträger für gewöhnlich mit Interviews geizt, versucht der junge Redakteur des ‚El Comercio‘ erneut sein Glück.
Cabo Blanco, im April 1956.

Als Mario Saavedra beim amerikanischen Autor im Cabo Blanco Fishing Club anfragt, ob er für ein weiteres Interview zur Verfügung stehe, diesmal ausschließlich über den Stierkampf, reagiert Hemingway begeistert. Da brauche er nicht nachzudenken, das freue ihn, und der Nobelpreisträger sagt spontan zu. Eine Stunde unterhalten sich die beiden im Speiseraum des Klubs über die Welt der corridas, für den Schriftsteller ist es eine wohltuende Ablenkung von den Angelpleiten. Ernest lebt auf, wie immer, wenn er über den Stierkampf reden kann.

Wie ein Teenager kommt der Buchautor ins Schwärmen, als er mit dem Reporter von El Comercio über toros und toreros fabuliert. „Hemingway hatte richtig Ahnung vom Stierkampf“, sagt Mario Saavedra. Der Mann aus Chicago und der Peruaner sprechen in Cabo Blanco vor allem über Antonio Ordóñez Araujo, den legendären spanischen Stierkämpfer, der ein guter Freund des Amerikaners ist. Ernest kennt noch dessen Vater, Cayetano Ordóñez, über den er schon geschrieben hat und den man in Spanien El Niño de la Palma nennt.

Mario Saavedra ist ebenfalls vom Fach, er zeichnet als cronista taurino des El Comercio. Im Wechsel mit anderen schreibt er regelmäßig in seiner Zeitung über den Stierkampf in Peru, es ist eine heiß begehrte Position für einen jungen Redakteur. In jenen Jahren finden viele berühmte toreros den Weg zur Plaza de Acho in Lima, wo Amerikas älteste Stierkampf-Arena steht, nach der Plaza de Toros de la Maestranza in Sevilla die zweitälteste der Welt überhaupt.

Auf einer vollen großformatigen Seite veröffentlicht Mario Saavedra-Pinón in El Comercio vom 23. April 1956 sein ausführliches Interview Charlando de Toros con Hemingway. Mit Hemingway über Stiere plaudern. In Cabo Blanco treffen sich zwei Liebhaber, deren Passion der Stierkampf ist. „Mit einem Kopf, rot wie eine Tomate, wegen der Sonne“, so beginnt der Peruaner nassforsch seinen Artikel, doch dann merkt man schnell, hier haben sich zwei Brüder im Geiste zur Fachsimpelei getroffen.

Ich mag den Stierkampf, sagt Ernest Hemingway zu Mario Saavedra, soy aficionado. Schon bei seinem ersten Besuch in Spanien, da ist er 23 Jahre alt und kommt mit Freunden aus Paris, erliegt der Mann aus Chicago der Faszination des Stierkampfes. Den ersten Stierkampf, a good corrida, sieht er Ende Mai 1923 in Aranjuez, das eine knappe Stunde südlich von Madrid liegt.

Ernest, ein junger Kerl aus dem Mittleren Westen der USA, erkundet diese vollkommen fremde Welt und reist zwei Wochen staunend durch das Land. Es dauert nicht lange, da verliebt er sich in Spanien, in seine Landschaft, in die Gastfreundschaft der Menschen und in die Kultur. In Ronda, in Sevilla, in Granada und in Madrid wohnt er dem blutigen Spektakel mit den Stieren bei.

Das war eine goldene Epoche des Stierkampfes mit toreros wie Joselito, El Gallo, Juan Belmonte und Granero. Bis der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, habe ich über 1.600 Corridas besucht. Durch den Krieg ist das abgebrochen. Nach Spanien bin ich dann nicht mehr gekommen, bis vor drei Jahren, im Jahr 1953, und da bin ich direkt wieder zum Stierkampf.

Über 1.600 Corridas besucht? Na, wenn das nicht ein wenig geflunkert ist. All die Aufschneiderei beiseite, ein aficionado ist der US-Amerikaner in der Tat, daran bestehen keine Zweifel. Einmal, so wird berichtet, habe er sich sogar selbst als torero versucht, denn es gefällt ihm, den matador zu spielen. Sein torero-Versuch jedenfalls soll sehr zur Belustigung seiner Umgebung beigetragen haben.

Am liebsten mag Ernest Hemingway den Stierkampf, wenn sich eine schöne Frau in seiner Begleitung befindet. Schönheit und Tod, beides fasziniert ihn.(Anfang von Kapitel 14 der Neuerscheinung Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Eine weitere Leseprobe: hier klicken)

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Cabo Blanco – Ernest Hemingway in Peru

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