
Im Morgengrauen des 2. Juli 1961, es ist ein Sonntag vor genau 60 Jahren, drückt eine trockene Luft auf den ergrünten Talkessel. Es wird früh hell in der warmen Jahreszeit oben in den Bergen Idahos und an diesem Tag wirkt das einsame Dorf in dem kleinen Tal noch geruhsamer als an anderen Wochentagen. Das dreigeschossige Haus aus groben braunen Zementsteinen und den breiten Panoramafenstern liegt oberhalb der Stadt Ketchum, ein wenig verborgen über dem Big Wood River, der in einer Senke ruhig dahin rauscht.
Der greise Schriftsteller, in seinem blauen Pyjama, hebt sich mühevoll aus seinem Bett und kann sich kaum auf den Beinen halten wegen der kurzen Nacht. Er schlüpft nicht wie sonst in die Hausschuhe aus Filz, die neben dem Bett stehen, sondern kriecht in die braunen Mokassins-Schuhe, er schlängelt sich in den rotkarierten Morgenmantel, den Mary in Italien gekauft hat und der über der Rückenlehne des Stuhls neben dem Fenster hängt, danach huscht er an seinem Schreibtisch vorbei mit der Schreibmaschine und den Büchern und Manuskripten und schlurft kaum vernehmbar aus seinem Schlafzimmer.
Fast geräuschlos tappt er an Miss Marys geschlossener Schlafzimmertüre vorbei, seine Ehefrau schläft noch fest. Vorsichtig geht er die schmale braune Holztreppe herunter, sein Schädel dröhnt, von dem Alkohol am Vorabend, und von dem Schmerz der letzten Wochen, von den vielen Medikamenten und von der Krankheit. Der Nobelpreisträger geht an dem offenen Kamin, dem Fernsehgerät und dem schmalen Bücherbord vorbei, der bauschige Teppichboden dämpft seine Schritte, am Ende des Wohnzimmers nimmt er dann die zwei kleinen Rundstufen rechts hoch zur Küche, geht am großräumigen milchweißen Kühlschrank vorbei, passiert die beiden messingverkleideten Backöfen zum Fenstersims, wo über der Anrichte in einem der schmalen Hängeschränke der Bund mit dem Schlüssel zum Waffenschrank aufbewahrt wird.
Anschließend dreht er sich um und marschiert von der Küche aus, an der kleinen länglichen Gästetoilette vorbei, kaum vernehmbar die enge Rundtreppe ganz nach unten ins Kellergeschoss, das Geländer aus Holz fest umklammernd. Im Souterrain macht er sich auf in Richtung zum Waffenschrank, er steht davor, fischt den Schlüssel hervor und schließt den Spind bedächtig auf. Aus dem Waffenschrank mit den vielen Schusswaffen holt er Marys Lieblingsgewehr aus der Halterung, eine doppelläufige englische Scott & Son, die seiner Ehefrau vor allem zur Jagd auf Tauben dient. Einer auf dem Schrankboden liegenden Packung entnimmt der Schriftsteller zwei Patronen, die er in die Tasche seines Morgenmantels steckt.
Dann verschließt er leise den Waffenschrank. Mit dem langen Schrotgewehr in der Hand schleicht er danach die Treppe hinauf, die Stufen bereiten ihm Mühe, er durchquert das Wohnzimmer, in das von Osten her die ersten Sonnenstrahlen fallen. Doch er bemerkt die Sonne nicht, er geht durch bis ans entgegen gelegene Ende des Wohnzimmers und nimmt die winzige Stufe in das karge Vestibül. Das Vestibül ist ein rechteckiger Vorraum, der als Windfang angebaut wurde, der schützende Eingangsbereich zum Wohngeschoss.
Der schmucklose Raum vor der Eingangstüre, dort wo üblicherweise die Mäntel und die Schuhe abgelegt werden, misst gerade einmal drei, vier Quadratmeter, es gibt nur wenig Freiraum, um sich zu bewegen. Der Autor hat für sein Vorhaben das Vestibül mit Bedacht gewählt, er weiß, seine Frau muss noch weiter in dem Haus leben, und so hat er es aus Rücksicht nicht im Wohnzimmer machen wollen oder im Schlafzimmer, wie sein Vater.

Die Grabplatte des Ernest Miller Hemingway auf dem Friedhof in Ketchum wird bedeckt von den Mitbringseln der Verehrer. Foto: W. Stock, April 2018.
Der ausgezehrte alte Mann sucht mühsam mit seinem knochigen Rücken Halt an der glatten Westwand des Vestibüls, die dünnen Mokassins hauchdünn auf den Holzbohlen des kleinen Raums. Und dann winkelt der Schriftsteller behutsam die Knie an und