Das rührige Literatur-Portal Leserkanone.de stellt Hemingways Welt vor. In einem klugen Interview von Ramona Mädel mit diesem Herausgeber werden informative Themen zu Historie, Motivation und Hintergründen dieses Auftritts besprochen.
Da gibt es dann Fragen wie diese:
Wie kam es dazu, dass Sie sich mit Ihrem Blog ausgerechnet auf Ernest Hemingway spezialisiert haben? Wenn das 20. Jahrhundert das amerikanische Jahrhundert gewesen ist, so ist dieser Schriftsteller irgendwie der Autor des 20. Jahrhunderts. Keiner hat es geschafft, die Schönheit dieses Lebens, aber auch seine Herausforderungen so anschaulich zu Papier zu bringen. Ernest Hemingway ist ein Revolutionär, der dieser Charles-Dickens-Ehrpusseligkeit endgültig den Garaus gemacht hat. Ein Abenteurer mit Mumm, aber auch einer im Zwiespalt. Ein Mann mit Stärken und Schwächen, mit Tugenden und Fehlern. Kurz: ein Mensch. Und damit nahbar. Bei
Der kubanische Box-Champ Kid Tunero. Ein Portrait aus dem Jahr 1955. Foto: Archiv Dr. Stock.
Einer von Ernest Hemingways besten Freunde auf Kuba ist der Boxer Kid Tunero. Ein Freund, den er nicht nur als Sparrings-Partner am Tresen braucht, sondern jemanden, den er wirklich bewundert. Evelio Celestino Mustelier, der unter dem Namen KidTunero boxt, wird oft in der Nähe des US-Schriftstellers in Havanna gesehen. Den schwarzen Boxer, er ist vom Jahrgang 1910, verbindet mit dem erfolgreichen Autor die Passion für den Box-Sport.
„Hemingway hatte viele Sympathien für mich“, erzählt Kid Tunero im Gespräch mit dem katalanischen Journalisten Xavier Montanyà. „Er mochte meine Art zu boxen.“ Doch es ist weit mehr als das Boxen. Die beiden Männer verstehen sich prächtig auf der menschlichen Ebene. „Hemingway war ein sehr feiner Kerl, er hatte nichts Hinterhältiges. Nie hat er geprahlt, er war eine geerdete Person. Sehr menschlich. Und er kam gut mit Leuten zurecht, die genauso waren.“
Der Schriftsteller und Kid Tunero lernen sich im Jahr 1933 in Paris kennen. Dort erhält der Kubaner am 2. Oktober die Chance, gegen Marcel Thil zu boxen. Der WM-Titel im Mittelgewicht ist zum Greifen nahe. Der Kampf geht über 15 Runden, Kid Tunero verliert, der Franzose Thil wird zum Sieger nach Punkten erklärt. Im Palais de Sports sitzt Ernest Hemingway in der ersten Reihe als Tunero seinen Traum der Weltmeisterschaft entschwinden sieht.
Nach dem Fight sehen sich Ernest und der Boxer im Bistro La Cabane Cubaine in Montmartre, man setzt sich an einen Tisch und funkt alsbald auf gleicher Wellenlänge. Kid Tunero ist beeindruckt von Hemingways Fachwissen über den Boxsport. Der 34-jährige Schriftsteller aus Chicago, der zu jener Zeit in Key West lebt, seziert bis in kleinste Einzelheiten den verlorenen Kampf um die Weltmeisterschaft. Der damals schon berühmte Schriftsteller, auf Besuch in seiner alten Wahlheimat, weist Tunero auf Schwachstellen und Fehler hin. Besser hat es auch der Trainer des Boxers nicht erklären können.
Kid Tunero (1910-1992), ein enger Freund Ernest Hemingways. Foto: Archiv Dr. Stock.
Über die Jahre wird Kid Tunero zu einem der besten Boxer Kubas. Zwischen 1928 und 1948 ficht er 145 Kämpfe aus, 99 davon gewinnt er, 35 davon mit K.O., er ist ein technisch versierter Boxer. Es hapert vielleicht etwas an der Physis, für die absolute Spitze langt es jedenfalls nicht. Ein Weltmeistertitel bleibt ihm nicht vergönnt.
Auch nachdem Kid Tunero die Box-Handschuhe an den Nagel hängt, bleiben er und Ernest Hemingway gute Freunde. Man trifft sich oft im El Floridita oder auf Hemingways Anwesen Finca Vigía südlich von Havanna. „Sie waren wie Seelenzwillinge“, meint José Luis Herrera Sotolongo, der Leibarzt des Nobelpreisträgers von 1954. „So vertraut habe ich Ernest nie mit anderen Personen erlebt.“
Nach seiner aktiven Karriere arbeitet Tunero als Trainer, zwei spätere Weltmeister hat er unter seinen Fittichen, José Legrá und Ángel Robinson García. Lange hat der Kubaner in Barcelona gelebt, als Trainer in einem schäbigen Boxclub im Raval. Mit 82 Jahren stirbt Kid Tunero in seinem Pensionszimmer im Oktober 1992 an Herzversagen, mittellos und weitgehend vergessen. Ernest Hemingway hat zu Lebzeiten bei zahlreichen Gelegenheiten den nicht gerade auf Rosen gebetteten Freund unterstützt.
Warum es bei Kid Tunero nicht zur Weltspitze reicht? Manche sagen, wegen der Hautfarbe, der Rassismus ist im Boxsport damals eine abscheuliche Tatsache. Und diesen Rassismus hat Kid Tunero mehr als einmal erlebt. In einem New Yorker Hotel wird er
Wolfgang Stock mit seiner Hemingway-Biografie Cabo Blanco auf Lesereise. Meerbusch, im Mai 2022. Foto: Christian von Zittwitz.
Wolfgang Stock im Gespräch mit Christian von Zittwitz über einen bärtigen Nobelpreisträger von 1954, über seine Hemingway-Biografie Cabo Blanco und über die Vermarktung seines Projektes.
Der ehemalige Cheflektor ECON Wirtschaft befindet sich mit seiner Hemingway-Biografie Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru auf Lesereise. Nach einer Veranstaltung in der Kaiserswerther Buchhandlung Lesezeit schaute der ehemalige BuchMarkt-Kolumnist in der Redaktion vorbei.
Kann man mit Ernest Hemingway noch jemand hinter dem Ofen hervorlocken? In Düsseldorf haben wir die Lesezeit voll bekommen.
Was macht den Mann aus, dass man noch heute über ihn redet… Das Leben des Nobelpreisträgers von 1954 ist so wahnsinnig bunt. Er steht für alles, was so ein Menschenleben ausmacht. Im positiven wie im negativen.
Wo fängt man da an… Ich habe eine wenig bekannte Episode aus seinem Leben herausgegriffen, eine fünfwöchige Reise nach Peru zu den Dreharbeiten zu Der alte Mann und das Meer. Vor Ort habe ich lange recherchiert und mein Material mit Rück- und Seitenblicken zu einem Psychogramm angereichert. Auf jeder Seite möchte man eigentlich mit der Diskussion beginnen. Dieser seltsame Kerl lässt niemanden kalt.
Sie haben das Buch bei BoD verlegt. Ihre Erfahrungen nach einigen Monaten? Books on Demand nähert sich immer mehr den Standards der Verlage an. Durch Neuerungen im Druck und die Verzahnung mit Libri merkt der Händler als auch der Kunde fast keinen Unterschied. Druckqualität, Lieferfristen, Remissionsrecht oder Rabatt – all das unterscheidet sich wenig von den etablierten Verlagen.
Was war für Sie das stärkste Argument fürs Selfpublishing? Zeit. Während ich bei den Verlagen an die Programmzyklen gebunden bin, oft mit Wartezeiten von zwei Jahren, kann ich bei BoD von jetzt auf gleich loslegen. Gerade bei Biografien ist Timing wichtig. Jahrestage und Jubiläen gilt es im Auge zu halten.
Und das schwierigste beim Selfpublishing? Marketing. Das unterscheidet sich nicht von herkömmlichen Verlagen. Das Buch muss zum Leser.
Was funktioniert beim Marketing? Jeder muss da seine eigene Strategie finden. Ich betreibe das Portal Hemingwayswelt.de mit 3.000 Besuchern jeden Monat. Das ist die Grundlage, die öffentliche Sichtbarkeit, hier trommle ich praktisch jeden Tag. Ansonsten habe ich gute Erfahrungen mit Facebook gemacht.
Was bedeutet das konkret? Als Autor sollte man versuchen, mit redaktionellen Beiträgen in die geeigneten FB-Gruppen hineinzugehen. Zum Thema Hemingway beispielsweise gibt es ein halbes Dutzend Gruppen und Foren, oft mit Tausenden Mitgliedern. Darüber hinaus gilt es thematisch verwandte FB-Gruppen auszumachen, bei Hemingway beispielsweise amerikanische Literatur, Kuba oder Sportfischen. Das ist eigentlich typisches Mirco-Marketing. Mit bescheidenen Mitteln dorthin gehen, wo die Zielgruppe zu finden ist.
Welche Rolle spielt der Buchhandel? Ganz besonders freue ich mich über den Zuspruch der Buchhändlerinnen und Buchhändler. Die Empfehlung des Handels ist für mich wie ein Adelsschlag. Lesungen funktionieren beim Thema Hemingway wunderbar. Wobei ich keine Lesung im herkömmlichen Sinn abhalte, sondern einen packenden Vortrag mitbringe, inklusive seltener Fotos. Der Zuspruch ist groß.
Noch immer haftet Print on Demand das Image des ärmeren Bruders an… Das Image des ärmeren Bruders hat das Selfpublishing mit Professionalisierungs-Schüben zum Glück überwunden. Selbst etablierte Verlage lassen die Backlist über BoD laufen. Und in den aktuellen BoD-Programmen gilt es so manche Perle zu entdecken.
Und wie entdeckt man solche Perlen? Das Wichtigste ist
Jack Kerouac: On the Road. Ein Geniestreich aus dem Jahr 1957.
Mit ein wenig Nonchalance kann man sich Jack Kerouac als rebellischen Erbsohn des Ernest Hemingway vorstellen, literarisch zumindest. Von Jack Kerouac – er wird am 12. März 1922 in Lowell, in Massachusetts, geboren und ist damit 22 Jahre jünger als Ernest Hemingway – gibt es ein wahnsinniges Buch. On the Road, zu Deutsch Unterwegs, ist ein nachhallender Donnerschlag und so etwas wie die heilige Schrift der Beat Generation.
On the Road, das Werk erscheint erstmals im Jahr 1957, verkörpert den Protest der Jungen gegen die brave Welt der Eltern. Eine neue Generation, kopflos herumirrend, begehrt auf gegen die satte Spießigkeit der Mittelschicht, sie ist auf der Suche nach Sinn und einem neuen Lebensgefühl. Rock ’n‘ Roll, James Dean, die Hippies, der Bebop, sie alle werden im Laufe der Jahre zu den Identifikatoren des Protestes der Halbstarken gegen den biederen Alltag der Alten.
Allerdings finden sich in On the Road auch anerkennende Rückbesinnungen auf’s Althergebrachte und allerlei Anker-Begegnungen, beim Jazz, der Philosophie und in der Literatur. Natürlich kriegt Ernest Hemingway seinen Passus, wie sollte es anders sein? Hast Du Green Hills of Africa gelesen?, fragt Major in Denver seinen Freund Sal, es ist das Beste von Hemingway. Auf der Suche zu sich, zu den Werten und zur Identität spielt Ernest Hemingway für Jack Kerouac eine bedeutsame Rolle. Die eines gütigen Ahnvaters.
Der Erzähler Sal Paradise – der Protagonist mit dem verräterischen Namen ist das Alter Ego von Kerouac – und sein Freund Dean reisen durch die Vereinigten Staaten. Die zwei Freunde trampen, sie kapern Güterzüge, sie klauen Autos, es geht die USA rauf und runter, kreuz und quer. Ohne Ziel und ohne Plan. Am bitteren Ende jeder Reise bleibt nach der Rückkehr die Leere, die vergebliche Suche nach dem Ich, nach einem Platz in der Gesellschaft, nach den eigenen Idealen und Werten, die sich doch von denen der Eltern-Generation unterscheiden müssen.
Die Freunde wohnen schäbig in Spanish Harlem, sie wühlen und kruscheln in Chicago und New Orleans, sie lassen sich treiben in Arizona, sie kiffen sich durch San Francisco, jeder Schritt ohne Sinn und Verstand, immer gehetzt. Und so erweist sich der Rhythmus dieses 380 Seiten-Buches ebenfalls als rasant, ganz wie die Jazzmusik der damaligen Jahre, die zuckerigen Swing-Girlanden fallen aus der Zeit, schneller Bebop Jazz formiert sich, schrill und atemlos.
Auch Ernest Hemingway ist bekanntlich viel unterwegs gewesen. Frankreich, Spanien, Italien, Asien und Afrika, allerdings stets mit dem feinen Gepäck eines Großbürgers. Mit Chauffeur und als Gast in den teuersten Hotels. Jack Kerouac hingegen reist als underdog, säuft sich durch die billigen Kneipen der Vororte, fällt hinein in die abgetakelten Bretterbuden des roten Lichtes bei Nacht, schrammt haarscharf an den Gefängnistoren vorbei, tigert munter durch die Ghettos der Großstadt.
Der Schreibstil Kerouacs ist dem Hemingways ähnlich, nur ganz anders. Beide schreiben lakonisch, karg und trocken, aus dem Bauch heraus. Doch während Ernest Hemingway jedes Wort überlegt und abwägt, rotzt Jack Kerouac all seine Sätze schmerzfrei heraus. Der Jüngere schert sich nicht groß um grammatikalische Korrektheit und stilistische Konvention, die Sätze sprudeln wild heraus wie ein stürmisches Quellwasser.
Beide haben eines gemeinsam: Sie suchen das Ziel ihrer Träume. In On the Road findet Jack Kerouac ganz zum Ende der Reisen schließlich seinen Garten Eden. Hinter uns lag das ganze Amerika und alles, was Dean und ich bisher vom Leben gekannt hatten, auch vom Leben unterwegs. Endlich hatten wir das magische Land am Ende der Straße gefunden, und nie hätten wir uns träumen lassen, wie magisch es war.
Es ist das Land, wo nicht Milch und Honig, sondern
Der Fischbrunnen auf dem Marienplatz. München, im April 2022. Foto: W. Stock
Zum wiederholten Male stolpere ich über einen Ausspruch aus der gewaltigen Zitatentruhe des Ernest Hemingway: Fahren Sie gar nicht erst woanders hin, ich sag‘ es Ihnen, es geht nichts über München. Alles andere in Deutschland ist Zeitverschwendung. Schriftsteller Ernest Hemingway (1899-1961).
So lauten berühmte Sätze, die seit Jahren durch die Gazetten und die Zitatenwelt rauschen. Ernest Hemingway und seine fabelhafte Lobpreisung Münchens. Der spätere Literaturnobelpreisträger sei gefragt worden, so lese ich woanders, welche deutsche Stadt am schönsten sei. München, so die Antwort, es gehe nichts über München. Wow!
Sogar? Ernest Hemingways berühmtes Zitat über München – leider mit einem kleinen Schönheitsfehler.
Im englischen Original lautet die Textstelle: Let me tell you. Do not go anywhere else. Anywhere else in Germany is a waste of time. There is only Munich. Diese honigsüßen Streicheleinheiten besitzen leider einen kleinen Schönheitsfehler. Die Worte gehen zwar auf Ernest Hemingway zurück, jedoch kommen sie nicht aus seinem Mund.
Am 2. Mai 1923 veröffentlicht Hemingway im Toronto Daily Star unter der Überschrift Getting into Germany einen langen Artikel aus Offenburg über seine Reise ins von Inflation und Wirtschaftskrisen geplagte Nachkriegs-Deutschland. Das ganze Land sehe nicht gerade fröhlich aus, so der Eindruck des Europa-Korrespondenten, Germany did not look very cheerful.
Als der junge Journalist im Bahnhof von Kehl auf seinen Zug nach Offenburg wartet, hilft er einer Frau beim Tragen von Paketen mit Hüten. Wörtlich schreibt Ernest Hemingway dann in seinem Artikel: – Geht es auch nach München?, fragte die Dame und puderte sich die Nase. – Nein. Nur Offenburg. – Oh, wie schade. München ist einzigartig. Sind Sie nie da gewesen? – Nein, bisher nicht. – Fahren Sie gar nicht erst woanders hin, ich sag‘ es Ihnen. Alles andere in Deutschland ist Zeitverschwendung. Es geht nichts über München.
Im Dialog mit dem 23-jährigen US-Amerikaner kommt die Würdigung Münchens aus dem Mund der Frau mit den Hut-Paketen. Insofern fällt das Zitat dieser namentlich unbekannten Dame zu, nicht Ernest Hemingway.
München kommt im Leben des späteren Nobelpreisträgers des öfteren vor, obwohl er, so wie es aussieht, niemals dort gewesen ist. In einem Brief an Howell G. Jenkins verrät Ernest Hemingway am 2. Februar 1925, dass er aus der Bergwelt im österreichischen Schruns ohne Visa mit den Ski nach Bayern herunterfahren könne. I’m going up to Munich to do some work, blickt er voraus.
Am 14. Dezember 1925 schreibt er aus dem Hotel Taube in Schruns an seine Mutter Grace in Chicago, man werde sich nach München aufmachen, dort einen Privatflieger mieten, und sich über die Alpen zum Hochplateau der Silvretta fliegen lassen. Das Flugzeug werde von einem berühmten deutschen Jagdflieger geflogen, der Spaß koste 75 Mark. Von oben gehe es dann auf Skiern ins Tal.
Schon als junger Kerl zeigt sich Ernest als ein Meister im Aufplustern und im geografischen Namedropping. Obwohl, wo er recht hat, da hat er recht. München ist die beste deutsche Großstadt. Ein Zugereister, der viel von der Welt gesehen hat, mag es beurteilen können. Und Ernest Hemingway, gerade er, besitzt ein feines Gespür für interessante Orte. Paris, Venedig, Pamplona, Ronda, Key West, Havanna. Willkommen in Hemingways Welt!
Und schließlich München. Ziemlich viel München jedenfalls bei einem, der niemals dort gewesen ist. Seine Faszination zur bayerischen Metropole bleibt lebendig, vielleicht hat die Zeit gefehlt. Möglicherweise lag die bayerische Metropole ein wenig abseits seiner üblichen Routen.
Ein letzter Versuch, Hemingway und München zusammenzubringen. Wenn er in die großen Städte kommt, so
Ernest Hemingway in den 1930er Jahren: Ein Angler, der seine Angelrute oft und weit wirft. Credit Line: Public Domain.
Neben seiner krankhaften Alkoholsucht und seiner rastlosen Gier nach attraktiven Frauen treibt ihn vor allem der Gedanke an den Tod um. Die Beschäftigung mit dem eigenen Ende und der Geschlechtstrieb scheinen offensichtlich als seine stärksten Kräfte. Alles andere kommt in seiner Werte-Skala weiter hinten. Die platonische Liebe? Ein romantischer Trugschluss. Kinder? Nur wenn sie so werden wie er. Geld? Unwichtig. Das Saufen? Nötig, um die Angst, vor dem eigenen Tod halbwegs auszuhalten.
Eigentlich schreibt dieser Mann, weil er nicht sterben will und weil er von den Frauen geliebt werden möchte. Aber, diese Frage plagt ihn im Alter, was passiert, wenn er nicht mehr im Stande ist, zu schreiben? Und, genauso schlimm, was passiert, wenn dieser Angler seine Angelrute nicht mehr hochkriegt. Im Alter wird der Schriftsteller des Öfteren von Potenzstörungen geplagt und es fühlt sich für ihn genauso an, wie wenn er eine leere Seite nicht mit Wörtern und Sätzen füllen kann.
Das körperliche Verlangen wird für Ernest Hemingway eine der Energien, die ihn am Leben hält. Gleichzeitig spürt er die Faszination des Todes. Und vielleicht ist diese morbide Faszination noch stärker als der Liebestrieb. Ernest Hemingway möchte lieben und er möchte im gleichen Sinne über Leben und Tod bestimmen. Lieben und töten. Auch so erklären sich seine unkontrollierten Wutausbrüche gegenüber Frauen und Freunden, sein gelegentlicher Hass auf jedermann, den er liebt. Oder auch die Vernichtung von anderen Lebewesen, seien es die Fische, die Vögel oder die Stiere.
Manchmal wünscht sich Ernest Hemingway, beim Liebesspiel, genau auf dem Gipfel der Lust, rumms, mausetot umzufallen. Welch prachtvoller Exitus! Für Ernest Hemingway gehören Libido und Tod irgendwie zusammen. Der Gedanke an die Sexualität führt den Schriftsteller nicht gerade selten an den Gedanken des Todes. Und umgekehrt genauso. Vielleicht deshalb, weil beide Empfindungen zugleich als die beiden Pole seines Lebens wirken.
Körperliches Verlangen ist die Voraussetzung für die Entstehung neuen Lebens, und der Tod bildet den unumstößlichen Schlusspunkt desselben Lebens. Der Liebes-Trieb und der Todes-Trieb erweisen sich als die zwei Pole derselben Lebensenergie, als ein Anzünden und als ein Erlöschen der Dynamik allen Lebens. Und für Ernest Hemingway besteht eine emotionale Verbindung zwischen diesen beiden Polen.
Doch der Antrieb für seine sexuelle Rastlosigkeit sitzt tiefer: Ihn schmerzt, dass die Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen so begrenzt bleiben. Der Sex lenkt ihn ab und tröstet ihn zugleich. Die körperliche Explosion ist so etwas wie der Kontrapunkt zum Tod. Nach dem Geschlechtsakt fühlt sich Ernest Hemingway oft wie neugeboren. Bei wirklich gutem Sex ist es, wie wenn sich der Geist vom Körper trennt. Ein kleiner Teil des Lebens muss erst absterben und Platz machen für etwas Neues.
Es ist ein kleiner Tod, den man stirbt, bei jedem guten Orgasmus. Aber jeder erfolgreiche Orgasmus erzeugt auch ein neues kleines Leben. Man kann diese Argumentation auch ein wenig wenden. Solange er zu solchen Gefühlsausbrüchen fähig ist, solange ist er
Ernest Hemingway in Paris, im März 1928. Photo: Helen Pierce Breaker. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.
Der Erste Weltkrieg hat alles verändert. Die Kampfhandlungen an der Front sind unvorstellbar schrecklich. Es ist ein Krieg gewesen, der noch sinnloser ist, als all die anderen. Ein Krieg von solch einer Brutalität wie keiner zuvor. Ein Krieg, den keiner richtig gewollt hat und bei dem niemand so recht weiß, um was es eigentlich geht. Ein Krieg der Schlafwandler, so hat der australische Historiker Christopher Clark diese reflexartige Tragödie umschrieben, die die Welt von 1914 bis 1918 durchschüttelte.
Jener große Krieg lässt eine Lost Generation zurück, Gertrude Stein hat die mental Kriegsgeschädigten mit einem solchen Stempel versehen. Eine Generation, die verraten und verloren scheint, junge Frauen und Männer, die sich ihrer Werte und Sicherheiten beraubt sehen. Selbst die Sieger gehen als Verlierer vom Feld. Nach dem Krieg erleben die USA düstere Tage. In jenen 1920er-Jahren wird das Land geplagt von Wirtschaftskrisen und sozialen Konflikten. Die Mafia kommt auf in Chicago und New York, die Prohibition, selbst das Saufen wird verboten, es ist eine freudlose Dekade.
Alle Gewissheiten und der Zukunftsglaube sind mit einem Mal dahin. Da kann auch die Literaturwelt nicht mehr mit dem nett gemeinten Charles Dickens-Geschwurbel weitermachen. Dicke Romane über Londoner Asylheime, brave Erzählungen von mittellosen Waisenkindern und herzlosen Adligen – alles schön bis oberschön, aber ganz furchtbar von vorgestern. Wie in einem Gegenentwurf veröffentlicht im Jahr 1926 ein junger amerikanischer Autor seinen Erstling, The Sun Also Rises.
Wie eine Lichtgestalt wird Ernest Hemingway empfangen. „Hemingway ist zur rechten Zeit geboren, er verkörpert die stumme Sehnsucht und die unklaren Ideale eines großen Teiles seiner eigenen wie der nach ihm herangewachsenen Generation“, schreibt der Kritiker Clifton Fadiman in der April-Ausgabe der Berliner Zeitschrift Der Querschnitt im Jahr 1933. Mit dem kernigen Naturburschen aus Michigan kommt ein ganz neuer Typus auf die Bühne der Literatur.
Ein forscher Revolutionär, der die grauen Zöpfe der Väter und Großväter abschneidet. Der unbekümmerte Sohn eines Arztes macht den Blümchen-Themen und den stilistischen Schnörkeleien der viktorianischen Altherrenriege radikal den Garaus. Ernest Hemingway erstrahlt als eine Identifikationsfigur, auf die so viele gewartet haben, endlich. Ein Erlöser, wenn man will, literarisch zumindest.
Ein Neuerer, der nicht aufrüstet, sondern reduziert. Der nicht abschweift, sondern zum Wesentlichen vorstösst. Und jemand, der uns keine falsche Wahrheit vorgaukeln möchte. Vielmehr ist da jemand, der
Am 11. Mai 2022 findet in der Buchhandlung Lesezeit eine Veranstaltung rund um mein Buch Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru statt.
In der Buchhandlung Lesezeit in Düsseldorf-Kaiserswerth halte ich am Mittwoch, dem 11. Mai, eine Präsentation rund um mein Buch Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. Inhalt, Recherche, Motivation – wie entstand die Hemingway-Biografie Cabo Blanco? Und welche neuen Einblicke erlaubt sie?
Am 15. April 1956 brechen Ernest Hemingway und seine Ehefrau Mary Welsh von ihrem kubanischen Landsitz Finca Vigía in der Nähe Havannas auf zu einer fünfwöchigen Reise nach Cabo Blanco. In dem winzigen peruanischen Fischerdorf sollen die Außenaufnahmen zur Hollywood-Verfilmung von Der alte Mann und das Meer stattfinden.
Gut 60 Jahre nach dem Besuch des Nobelpreisträgers bin ich der Expedition nachgereist. Neben zahlreichen Dokumenten, Fotos und Spuren habe ich Zeitzeugen gefunden, die sich lebhaft an Ernesto und seinen Besuch erinnern können.
In einem einstündigen Vortrag mit vielen seltenen Fotodokumenten möchte ich die abenteuerliche Reise von Ernest Hemingway in das südamerikanische Land nacherzählen. Und zugleich neugierig machen auf die Person Ernest Hemingway und auf sein Werk. Und auch neugierig machen auf das wenig bekannte, aber spannende Land Peru.
Ort der Veranstaltung: Buchhandlung Lesezeit, Kaiserswerther Markt 31, 40489 Düsseldorf. Beginn: 19,30 Uhr.
Ich würde mich freuen, wenn wir uns zu diesem Anlass (Anmeldung über diesen Link) in der Lesezeit sehen würden.
Die Messlatte für alle bildenden Künstler nach ihm: Das Genie Pablo Picasso wird 1881 in Málaga geboren. Foto: W. Stock, April 2019.
Die französische Hauptstadt zieht in den 1920 Jahren jene jungen Frauen und Männer an, die auf Neues aus sind. Schriftsteller mit rasanten Texten, Komponisten, denen die acht Töne einer Tonleiter nicht genügen. Maler mit revolutionären Stilformen, jenseits von Impressionismus und Expressionismus. Es ist in Paris, wo diese verwegenen Innovationen entstehen, wie der Surrealismus in der Malerei, wie Kubismus und Dadaismus.
Der US-Amerikaner Ernest Hemingway, der sieben Jahre in Paris leben wird, sieht sich hineingeworfen in diese quirlige Welt, er taucht ein, er staunt und lernt schnell. Vor allem genießt er die Unbeschwertheit in den Cafés und den frischen Wind in den Kulturzirkeln. Bei dieser Gelegenheit lernt der junge Mann aus Chicago, er ist Anfang 20, die Avantgarde jener neuen Zeitepoche persönlich kennen.
Besonders die Maler haben es diesem Augen-Menschen angetan, die Spanier an erster Stelle. Der Katalane Joan Miró und Juan Gris aus Madrid, der Mann aus Chicago bewundert ihr Werk sehr. Einer dritter ragt heraus: Pablo Picasso. Man läuft sich über den Weg, sieht sich im Literarischen Salon der Gertrude Stein in der Rue de Fleurus. Zum ersten Mal trifft Hemingway im Jahr 1922 auf Picasso, man mag sich, ohne dass man fortan dicke Freunde wird.
Pablo Picasso, 1881 in Málaga geboren, ist ein ungemein produktiver Maler, Grafiker und Bildhauer. Am Ende seines Lebens, er stirbt 1973 im französischen Mougins, wird die Gesamtzahl seiner Werke auf 50.000 geschätzt. Der Andalusier, der in Paris lebt, prägt das ganze Genre. Seine künstlerischen Techniken und die vielfältigen Ausdrucksformen werden zum Maßstab in der Malerei. Keiner vermag mitzuhalten.
Der spanische Maler bleibt während des Zweiten Weltkriegs in Paris, auch nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht, meist zieht er sich in sein Landhaus nach Südfrankreich an der Côte d’Azur zurück. Die Nazis belegen ihn mit Ausstellungsverbot, aber alles in allem lässt man ihn unbehelligt. Unter den Deutschen ist die Lebenslust der Stadt perdu, es herrschen Hunger und Angst. Die Lebensmittel sind rationiert, Zigaretten und Schokolade ein Luxusgut.
Dunkle Schatten ziehen sich in jenen Monaten durch die Gemälde des Künstlers. Totenköpfe, kahle Knochen und Tierschädel tauchen auf der Leinwand auf, ausgemergelte und entstellte Körper sind Picassos Motive. Alles in düsteren Farben, die nach Leid und Tod riechen. Das übergroße Guernica aus dem Jahr 1937 wird zu einem künstlerischen Hilfeschrei einer durch die Legion Condor bombardierten Zivilbevölkerung während des Spanischen Bürgerkriegs im Baskenland.
Als Ernest Hemingway im August 1944 mit den US-Truppen ins befreite Paris einzieht, da führt ihn sein erster Weg ins Ritz, in sein Luxushotel an der Place Vendôme. Anschließend schaut er bei der Buchhandlung Shakespeare and Company in der Rue de l’Odéon, um seine Bekannte Sylvia Beach zu treffen. Und schließlich zieht es den Amerikaner zu Pablo Picasso. Das Atelier des damals schon berühmten Künstlers befindet sich in der Rue des Grands-Augustins, in der Nummer 7, im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés.
Doch der Concierge bedeutet dem Schriftsteller, Picasso sei nicht anwesend, er könne eine Notiz hinterlassen. Und übrigens, ein Mitbringsel wie Zigaretten würde den Maestro sicherlich erfreuen. Der Nichtraucher Hemingway geht zu seinem Militärjeep, holt eine
Das Gemäuer des Blauen Saals in der Stockholmer City Hall hat schon viele Nobelpreisträger gesehen. Nur einen nicht. Foto: W. Stock, im April 2022.
Einladung zu einer Veranstaltung der Stockholm School of Economics. Im Stadshus, an der südöstlichen Spitze der Insel Kungsholmen, findet das feine Event statt. Die Blaue Halle des Rathauses strahlt sakrale Tradition aus: Dort findet alljährlich das festliche Banquet zur Verleihung der Nobelpreise statt. Der schwedische König schreitet dann von der Empore die breite Marmortreppe hinab in den Saal und bittet zum Festessen.
Die Verleihung der Nobelpreise – immer am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel – wird im Konserthuset veranstaltet, dem Stockholmer Konzerthaus. Dort überreicht der König den Geehrten eine Goldmedaille und ein handgefertigtes Diplom, dazu das Avis über eine ansehnliche Preissumme. Danach nehmen die Notabeln und die Gäste am Festbankett im Blauen Saal des Stockholmer Rathauses teil, gefolgt von Tanz und Feier im Goldenen Saal.
Eigentlich hätte Ernest Hemingway in diesen Festsälen anwesend sein sollen, im Jahr 1954. Denn in diesem Jahr hat man ihm den Nobelpreis für Literatur verliehen. Die höchste Auszeichnung für einen Schriftsteller. Doch dieser Ernest Hemingway lässt sich in Schweden nicht blicken. Und so wird am 10. Dezember 1954 in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen. An Ernest Hemingway. Ohne ihn.
Kaum hat Ernest Hemingway in seinem kubanischen Refugium Finca Vigía südlich von Havanna die freudige Nachricht aus Schweden erhalten, macht er sich an eine kurze Dankesrede. Der US-Botschafter in Stockholm, John M. Cabot, wird die Rede im Dezember 1954 auf dem Nobelpreis-Fest vortragen. Ein Schriftsteller, der die großen Schriftsteller kennt, die den Preis nicht erhalten haben, kann diese Auszeichnung nur in aller Demut entgegennehmen.
Trotz aller Tiefstapelei, der Nobelpreis kommt zur rechten Zeit. Denn Ernest Hemingway durchleidet als Autor eine kritische Phase. Sein vorletztes Buch Über den Fluss und in die Wälder, das Werk ist 1950 erschienen, wird kein Erfolg. Die Kritiker mögen die Geschichte um den alten Colonel Richard Cantwell und die junge venezianische Contessa Renata nicht, die Erzählung ist etwas fahrig im Aufbau und arg konstruiert in den Dialogen.
Auch die Leserschaft hat mehr von dem bärtigen Haudegen erwartet, der immer so großspurig auftritt. Und er selbst findet, in selbstkritischen Momenten, er ist unter seinen Möglichkeiten geblieben. Einen weiteren Schlag ins Wasser hätte ein Autor mit einem solchen Ego wie Ernest Hemingway wohl nur schwer verkraftet. Da erfüllt ihn die Auszeichnung mit Stolz, allerdings verbleibt eine seltsame Distanz zu dem ganzen Rummel.
Der Schwede Alfred Nobel, ein kinderloser Chemiker und Erfinder des industriellen Dynamits, stiftet sein Millionenvermögen. Unter anderem für den renommiertesten Literaturpreis der Welt. Foto: W. Stock, Stockholm im April 2022.
Er freut sich über die Ehrung aus Stockholm. Trotzdem kann Ernest Hemingway in seinem Tropenparadies sich nicht aufraffen, von Kuba in den schwedischen Winter zu fliegen, zur Preisverleihung, um die 36.000 Dollar und die Goldmedaille aus der Hand von König Gustav Adolf in Empfang zu nehmen. Er fühlt sich dazu
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