Das Portal zu Leben und Werk von Ernest Hemingway

Autor: Wolfgang Stock Seite 27 von 68

Vor genau 100 Jahren: Paris erobert Ernest Hemingway

Ein junger Journalist in Paris. Das Passport-Foto des Ernest Hemingway aus dem Jahr 1923. Credit Line: Public Domain.

Am 21. Dezember 1921 erreichen Ernest Hemingway und Hadley Richardson nach zwei Wochen auf dem französischen Atlantikdampfer Leopoldina, aus Hoboken bei New York kommend, die europäische Küste. In Cherbourg nimmt das Ehepaar den Nachtzug nach Paris. Wenige Monate zuvor, Anfang September, haben der 22-Jährige Ernest und die acht Jahre ältere Hadley in Horton Bay, in Michigan, im Familienkreis geheiratet.

Das junge Paar plant, sich für längere Zeit in Paris niederzulassen. Zunächst mieten sie das Zimmer mit der Nummer 14 im Hôtel Jacob et d’Angleterre in der Rue Jacob im Stadtteil Saint-Germain-des-Prés. Sogleich empfindet Ernest eine tiefe Verbundenheit mit seiner Wahlheimat. Er wird den Protagonisten seines ersten großen Romans – The Sun Also Rises aus dem Jahr 1926 – deshalb Jacob nennen, Jacob Barnes, mit Spitznamen Jake

Als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star kommt Ernest nach Übersee, mit dem Auftrag, sich in Europa umzuschauen. Die alte Welt ist in jenen Jahren ein Kontinent in Aufruhr, mit Ländern, die nach dem Weltkrieg durchgerüttelt werden von politischen Konflikten und sozialen Erschütterungen. Der junge Journalist wird hineingeworfen in den alten Kontinent, es ist die Weihnachtszeit 1921 und er weilt weit von der Familie. Briefe dauern Wochen und ein Telegramm kostet einen Dollar pro Wort, ein kleines Vermögen.

Ernest spricht kein Französisch und es wird zwei Jahre dauern, bis er sich einigermaßen verständigen kann. Hadley ist flinker, sie erlernt schnell die fremde Sprache und es wird ihr obliegen, den Schriftverkehr mit den Behörden zu erledigen. Das Ehepaar findet schnell Anschluß an die Expat-Gemeinde in Paris. Gertrude Stein, Ezra Pound, Lewis Galantière und Sylvia Beach von der Buchhandlung Shakespeare and Company in der Rue l’Odéon werden zu guten Freunden. 

Frisch verliebt und voller Träume leben Ernest und Hadley von wenig Geld in der Hauptstadt Frankreichs. Als freier Korrespondent verdient er nicht gerade üppig, eine kleine Erbschaft von ihr hält beide über Wasser. Das Liebespaar verbringt unbeschwerte Monate in der so quirligen Metropole, sie sind arm, aber glücklich, wie Hemingway des Öfteren anmerkt. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo der Mensch glücklich sein kann. Die Heimat und Paris.

Das Le Pré Aux Clercs in der Rue Bonaparte, direkt um die Ecke vom Hotel, wird ihr neues Lieblingsrestaurant. Hadley entpuppt sich als Naschkatze, die das französische Gebäck und den köstlichen Kuchen nur so verschlingt. Auch ihr Ehemann wirkt, als lebe er im siebten Himmel. Für einen jungen Mann, der seiner rigiden Erziehung und der nüchternen Enge des Mittelwestens der USA entflohen ist, gleicht das Paris der 1920er Jahre einem

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Ein Revolutionär, der als Klassiker endet

Der junge Ernest Hemingway in Paris, im März 1928. Portrait von Helen Pierce Breaker. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection, John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Alles geschieht in Paris und ohne Paris bleibt diese Umwälzung nicht vorstellbar. Die Stadt an der Seine ist wie eine Insel des Glücks, alles um sie herum muss sich im Unrat der Zeitläufte suhlen. Nach dem Ersten Weltkrieg liegen die Länder am Boden, Gewinner wie Verlierer. Männer sind in einem sinnlosen Krieg verheizt worden, Werte haben sich als hohl erwiesen, ihr Vermögen haben die Deutschen in den Kriegsanleihen des Kaisers verpulvert, selbst Amerika wird erschüttert von sozialen Konflikten.

Und die Literatur? Wie ein alter Dieselmotor knattert die viktorianische Literaturtradition eines Charles Dickens mit ihren Adelsthemen und dem Schwurbel-Stil dem Friedhof entgegen. Die englische Literatur beharrt immer noch auf diesen belehrenden Aristokraten-Touch, ihre Themen um Londoner Waisenhäuser und hartherzige Lords ermüden die Leser zunehmend. Es geht dem Ende zu mit dem weitschweifigen Gesäusel, doch das Neue gewinnt erst langsam an Kontur. 

Aus der calvinistischen Ödnis des Mittleren Westens kommt im Dezember 1921 ein lebenshungriger junger Mann aus Chicago in die französische Hauptstadt, als Korrespondent der kanadischen Tageszeitung Toronto Star. Ernest Hemingway hat nicht studiert, ein Umstand, der sich jedoch durchaus als Vorteil herausstellen wird. Neugierig taucht der 22-Jährige ein in die alte Welt, er liest französische Lyrik, deutschen Naturalismus und spanische Novellen. Und er hört aufmerksam den Ratschlagen zu, die Künstler in Paris ihm verraten.

Gertrude Stein lehrt den Rhythmus der Sprache, die französischen Poeten demonstrieren mit ihrem le mot juste wie wichtig es ist, das treffende Wort zu finden. Die Disziplin des genauen Wortes sensibilisiert ihn für den richtigen Ausdruck, er wird die Technik fortan in seiner Prosa anwenden. Von den Musikkomponisten lernt er, wie wichtig eine Satzmelodie ist. Melodie und Kontrapunkt. Hemingway wird ein Schriftsteller werden mit einer ganz eigenen Tonalität, sein Satzbau bekommt Wiedererkennungs-Qualität.

Dann schaut der Sohn eines Arztes und einer Opernsängerin sich die Farbenpracht der Gemälde eines Henri Matisse oder Paul Cézanne an. Der Amerikaner aus Illinois wird überwältigt, wie es den Künstlern gelingt, die großartige Natur mit nur wenigen Strichen und Farbtupfern froh und leuchtend darzustellen. Er nimmt sich vor, die Landschaft in seiner Prosa so zu schildern, wie die französischen Impressionisten zu malen vermögen. 

Es ist das Handwerk des Schreibens, das Ernest Hemingway sich in Paris aneignet. Einen besseren Ort kann man sich nicht vorstellen. Doch Paris ist mehr. In der Stadt des Lichtes erlebt er, dass trotz Verletzungen und Schicksalsschlägen, die Welt Liebliches zu bieten hat: attraktive Frauen, einen wunderbaren Rotwein, gutes Essen, Boxen und Pferderennen, die Muße im Café, den Trost der Kunst. Paris bewahrt den jungen Mann davor, zum Zyniker zu werden und ermöglicht ihm, sich seiner Zielvorstellung eines guten Lebens klar zu werden.

Eine neue Art zu schreiben ersteht, kurz, lakonisch, auf das Wesentliche reduziert. Hemingways Themen und sein Stil bewegen sich nahe

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Ernest Hemingway kauft einen Paul Klee

Ernest Hemingway und der kubanische Journalist Fernando Campoamor im Oktober 1954 auf der ‚Finca Vigia‘. An der Seite das Bild von Paul Klee ‚Monument in Arbeit‘ von 1929. Die Ähnlichkeit des Gemäldekopfs mit dem des Nobelpreisträgers ist verblüffend. Credit Line: Ernest Hemingway Photograph Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.

Mitte November 1929, drei Wochen nach dem verheerenden Black Thursday an der Wall Street, befindet sich Ernest Hemingway in Berlin. Mit dem Rowohlt Verlag verhandelt er am 15. November die deutschen Rechte zu A Farewell to Arms, das in der Übersetzung In einem andern Land heißen wird. Die Vorschusszahlung, die er von seinem deutschen Verleger bekommt, wird am gleichen Tag ausgegeben. 

Beim Berliner Galeristen Alfred Flechtheim erwirbt der US-Amerikaner ein Gemälde von Paul Klee. Monument in Arbeit heißt das Werk, es ist ein abstraktes Portrait. Paul Klee hat das Aquarell 1929 gemalt, Ernest Hemingway ist beim ersten Anblick von der geheimnisvollen Kraft des Bildes angetan. Mit ein wenig Phantasie kann man es – im Nachgang – als erstaunlich genaue Illustration des späteren Literatur-Nobelpreisträgers betrachten.

Der junge Schriftsteller mag die moderne Kunst, er kennt viele Maler aus seinen sieben Jahren in Paris. Er kauft zahlreiche Kunstwerke und nimmt sie mit in die USA, später auf sein tropisches Anwesen im Süden Havannas. An den Wänden und auf den Anrichten der Finca Vigía finden sich großartige Bilder avantgardistischer Maler, wertvolle Originale von Paul Klee, Georges Braque, Juan Gris, von Waldo Peirce und Joan Miró.

Der Schriftsteller mag sie alle, allerdings kristallisieren sich bei den Europäern drei Favoriten heraus: Juan Gris, Joan Miró und Paul Klee. El guitarrista und Le torero von Juan Gris, Paul Klees Monument in Arbeit und Der Bauernhof von Joan Miró, das Farmhaus in San Francisco de Paula gleicht in den 1950er Jahren einem kleinen Museum.

Auf der anderen Seite des Raumes, über dem Bücherregal, befand sich Paul Klees ‚Monument in Arbeit‘. Mit diesen Worten erinnert sich Ernest Hemingway in seinem autobiografisch gefärbten Roman Inseln im Strom an die Reise mit seiner zweiten Ehefrau Pauline und an die Herkunft seines Gemäldes. Er wußte heute nicht mehr darüber wie damals, als er es zum ersten Mal in der Galerie Flechtheim gesehen hatte, in dem Gebäude am Fluss, in jenem wundervollen kalten Herbst in Berlin, als sie so glücklich gewesen waren. Aber es war ein gutes Bild, und er betrachtete es gerne. 

Paul Klees Kunstwerk findet über die Jahrzehnte seinen Platz auf der Finca Vigía, Ernest Hemingway hütet seine zahlreichen Bilder wie einen Schatz. Selbst über seinen Tod hinaus verbleiben die Gemälde im Familienbesitz, darauf hat er Wert belegt. Er vermacht alle Kunst seiner Ehefrau Mary Welsh und seinen drei Söhnen. In seinem Testament hat er die moderne Kunst penibel aufgeteilt.

In seinem Letzten Willen hat der Nobelpreisträger verfügt, dass sein ältester Sohn John das Bild Le torero von Juan Gris erhält. El guitarrista, ebenfalls von Juan Gris, geht an den Sohn Patrick. Miss Mary, die vierte Mrs. Hemingway, bekommt Der Bauernhof von Joan Miró. Dem jüngsten Sohn, Gregory, einem Sensiblen, wird Monument in Arbeit von Paul Klee zugeteilt.

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Monument in Arbeit gehört zur Collection Ernest Hemingway, New-York. So das französische Werkverzeichnis von René Crevel.

Paul Klee wird im Dezember 1879 in Munchenbuchsee, in der Schweiz geboren, die Deutschen und die Schweizer werden ihn als Maler für sich reklamieren. Er ist mehr als ein Expressionist, mit den Jahren nähert er sich

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Der schönste Hemingway-Satz: Menschen, keine Figuren

„Beim Schreiben eines Romas sollte ein Schriftsteller lebende Menschen erschaffen. Menschen, keine Figuren. Eine Figur ist eine Karikatur.“ Ernest Hemingway, Death in the Afternoon, 1932

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Neue Besprechungen zu ‚Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru

Wolfgang Stock: Cabo Blanco – Mit Ernest Hemingway in Peru. BoD über amazon.de

Packende und einfühlsame Biographie
Eigentlich wollte ich nur mal reinlesen, doch dann konnte ich nicht mehr aufhören und habe Cabo Blanco an einem Sonntag gelesen. Das Buch beginnt ein klein bisschen hölzern, doch schon bald hat es mich in die Welt des Schriftstellers und Lebemannes Ernest Hemingway gesogen. Denn das ist der erzählerische Trick von Cabo Blanco: Wir lesen gleich mehrere Geschichten:
– Hemingways Zeit in Cabo Blanco, fünf Wochen Dreharbeiten zu der Hollywood-Verfilmung von Der alte Mann und das Meer in Peru, bei denen Hemingway selbst Tag für Tag auf Jagd nach einem Marlin geht
– Hemingways Leben in all seinen Facetten: die Kindheit, die Frauen, die Freunde, die Orte (Paris, Chicago, Spanien, Florida, Kuba)
– Hemingway Innenleben, die Geschichte eines Autors, der am Ende nicht mehr so leben kann, wie er es will – für mich der spannendste Teil.
Autor Wolfgang Stock hat mit Cabo Blanco ein Buch geschrieben, das ich gar nicht erwartet hätte. Den Roman des Lebens von Ernest Hemingway, ausgehend von dieser kleinen Episode in Peru. Detailgenau recherchierte Fakten wechseln mit Passagen, die sich ins Fiktive trauen, ohne jemals abzuheben. Erzählungen verknoten sich zu einer Lebensgeschichte.
Ich habe sämtliche Werke von Hemingway gelesen und einige Biographien über ihn. Er war und ist einer der Autoren, die ich bewundere. Ich war in seinen Häusern in Key West und auf Kuba und beim Lesen von Stocks Buch bin ich wieder in die Welt von Hemingway eingetaucht, habe ihren Charme, aber auch ihre Tragik gespürt. Es war schön. Danke an den Autor für dieses wunderbare Buch.
Thomas Pyczak
auf amazon.de


Wunderbare Biographie
Der fast 60-jährige Ernest Hemingway reist 1956 für einige Wochen mit seiner Frau Mary zu den Dreharbeiten des Films „Der alte Mann und das Meer“ nach Cabo Blanco in Peru. Dort, im legendären Cabo Blanco Fishing Club, tummelt sich die Prominenz. Hemingway genießt die Zeit im Fishing Club und die Jagd nach dem riesigen Schwarzmarlin.
Muss man zu dieser Reise eine ganze Biographie von 340 Seiten geschrieben werden? Ja! Der Autor, Wolfgang Stock, beschreibt die Ereignisse, den Ort und die Personen so lebhaft, dass ich das Buch regelrecht verschlungen habe. Der Schreibstil ist lebendig und die Sprache ist in der Gegenwart. So hat man das Gefühl direkt vor Ort mit Hemingway zu sein und die Zeit im Fishing Club hautnah miterleben zu können. Ich konnte das Meer riechen, die Hitze spüren, auf dem Fischerboot mitfahren und sogar (obwohl ich nicht fische und das auch nicht gut finde) nachempfinden, warum Hemingway das Fischen so geliebt hat. Ich habe viel über Hemingway gelesen und auch sein Anwesen auf Kuba besucht. Seine Zeit in Cabo Blanco war mir aber völlig unbekannt. Der Autor hat sehr intensiv recherchiert und sich auf den komplexen Charakter Hemingways eingelassen. Historische Hintergründe, wie der Cabo Blanco Fishing Club, werden ebenfalls sehr lebendig geschildert. Ich habe so viel gelernt und mich dabei sehr unterhalten gefühlt. Ergänzt wird die Biographie mit eindrucksvollen schwarz-weiß Fotos aus der Zeit und einem Glossar am Ende des Buchs.
Fazit: eine wundervolle und spannende Biographie vom Hemingway`s Reise nach Peru. Ich kann das Buch wärmstens empfehlen. Ein Highlight!
Aiki
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Ernest Hemingway mit Pascin im Dôme

Jules Pascin: Ein Mann mit einem Glas Wein. In Paris. Aus dem Jahr 1923.

Paris in den 1920er Jahren ist für jemanden, der in der calvinistischen Enge des amerikanischen Mittelwestens groß geworden ist, ein himmelweites Paradies der Sinnenfreude. Während in der Heimat Wirtschaftskrisen, Mafia und Prohibition die gute Laune verderben, hockt der aus dem Land vertriebene Müßiggang im Café de Flore in Saint-Germain-des-Prés und nippt an einem Cabernet

Die französische Hauptstadt zieht all die jungen Frauen und Männer an, die auf Neues aus sind. Maler mit frischen Stilformen, Schriftsteller mit rasanten Texten, Komponisten, denen acht Töne nicht genügen. Ernest Hemingway wird hineingeworfen in diese quirlige Welt, er taucht ein, er lernt und er genießt die Unbeschwertheit und das Wohlbehagen an der Seine. 

Der junge Amerikaner, er ist Anfang 20, lernt die kulturelle Avantgarde jener neuen Zeitepoche kennen. Ernest Hemingway trifft auf Ezra Pound, James Joyce, Joan Miró, Pablo Picasso, Gertrude Stein, Ford Madox Ford, F. Scott Fitzgerald. Man nennt sie die lost generation, die verlorene Generation, weil nach dem schlimmen Krieg die Werte modrig geworden sind, und das Neue erst langsam an Kontur gewinnt.

An einem Abend trifft Ernest Hemingway im Café du Dôme am Boulevard du Montparnasse den bulgarischen Maler Jules Pascin. Der Expressionist, Jahrgang 1885, macht vor allem durch freizügige Frauenakte von sich reden. Hemingway gesellt sich zu dem Maler, der mit zwei bildhübschen jungen Frauen, seinen Modells vom Arbeitstag, an einem Tisch sitzt.

Im Laufe des Gesprächs fragt ein zunehmend betrunkener Pascin den US-Amerikaner, ob er nicht mit einer der beiden Frauen in Bett möchte. Und prompt macht sich dann eine der Schönen fordernd an den Schriftsteller heran, zeigt ihre Reize, Pascin bietet sein Atelier als Liebesnest an. Doch Ernest Hemingway löst sich aus der lasziven Situation, verabschiedet sich und geht nach Hause zu seiner Ehefrau Hadley.

Jules Pascin ist ein Ruheloser. Budapest, Wien, London, München, Berlin, die USA, der Bulgare reist viel. Dies hat er mit Hemingway gemein. Die beiden verstehen sich gut. Der Mann aus Chicago mag den Stil des Künstlers und seinen jovialen Charakter. Pascin war ein sehr guter Maler, und er war betrunken, ständig, vorsätzlich betrunken, aber bei klarem Verstand. In der Tat malt Pascin wie ein Besessener, Tausende Bilder und Skizzen.

Ein manischer Künstler, angetrieben von Rastlosigkeit und dem Alkohol. Im Grunde seines Herzens indes ein Romantiker. Hin und her gerissen zwischen Ehefrau, Geliebte und seinen Modells. Wenn er feiert, und er feiert jeden Tag, findet man ihn in den Bars und Restaurants von Paris, umringt von Freunden und koketten Frauen. Seine Bilder verkaufen sich gut, das schöne Geld fließt in den Wein.

Das Schicksal meint es nicht gut mit dem Maler. Früher hat er farbenprächtige Landschaften auf Kuba und in Mexiko gezeichnet, mit der Zeit werden seine Gemälde und Zeichnungen

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A Man: Ein Mann oder ein Mensch?

Ernest Hemingway: A man can be destroyed but not defeated.

Ernest Hemingway hat seine Philosophie in aller Deutlichkeit in Der alte Mann und das Meer niedergeschrieben. „Aber der Mensch darf nicht aufgeben“, sagte er. „Ein Mann kann vernichtet werden, aber nicht besiegt.“ So lautet seine trotzige Botschaft an alle Menschen, die gegen die Widrigkeiten des Schicksals kämpfen. A man can be destroyed but not defeated.

A man. Nun kann man diesen Begriff als ein Mann oder auch als ein Mensch übersetzen. Im Englischen ist beides möglich. Bei The Old Man and the Sea ist klar, hier handelt es sich um Santiago, einen alten Fischer aus Cojímar. A man. Ein Mann. Aber: A man can be destroyed but not defeated. Ein Mann? Ein Mensch? Und was ist mit den Frauen?

Versuchen wir es so. Ernest Hemingway zieht immer nur zarte Konturen. Eisberg-Stil. Viel bleibt der Imagination des Lesers überlassen. Insofern kann sich jeder seine eigene Wirklichkeit erschaffen. So sollte gute Literatur eigentlich auch angelegt sein. Die Botschaft stellt sich damit auf eine Meta-Ebene: Ein Mensch kann äußerlich zerstört werden und innerlich trotzdem stark bleiben. Unbesiegt.

Jeder kennt das. Ein Mensch kann eine Niederlage erleiden, aber er muss kämpfen bis zum Schluss. Beated but not defeated, man kann geschlagen werden, aber nicht besiegt. Es gilt für Männer, für Frauen, für alle, für

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Ernest Hemingway lebt!

Don Máximo Jacinto Fiestas, der mit Ernest Hemingway den ersten Whiskey seines Lebens trank. Cabo Blanco, im März 2016. Foto: W. Stock

Im Dorf scheint die Uhr still zu stehen, die Bewohner gehen unaufgeregt ihrem Alltag nach. Viel zu gehen und zu tun gibt es in Cabo Blanco allerdings nicht. An windreichen Tagen fallen die Surfer ein, ein paar Backpacker verirren sich, doch meist bleiben die Fischer und die Kleinhändler unter sich. Die jungen Leute aus dem Ort haben sich schon längst aufgemacht nach Talara oder Piura oder gar nach Lima, wo es mehr Arbeit gibt und eine bessere Bezahlung. Und so bestimmen die Rentner das Bild der Ortschaft, ältere Herrschaften, die in ihrem Schaukelstuhl auf der Veranda ihres Häuschens den Vormittag vor sich hinwippen und den Nachmittag gleich mit.

Jeder kennt jeden in diesem Nest, es sind gerade einmal 200 Familien, die in dem Fischerdorf leben. Du fragst, wo wohnt Rufino, und man antwortet dem Besucher, die Straße hoch, das dritte Haus auf der rechten Seite. Denn ein jeder weiß, wer mit Rufino gemeint ist, nicht nur, weil es nur einen Rufino in diesem Fleckchen gibt, sondern weil jeder hier alles vom anderen weiß, die Bewohner leben wie in einer Großfamilie.

Den Stolz auf ihr Dorf eint alle. Jeder im Ort – vom Halbwüchsigen bis zum Greis – wird dir zweierlei erzählen: Erstens, dass es in Cabo Blanco Tage gab, an denen man vor der Küste den größten Fisch auf diesem Planeten fangen konnte. Und zweitens, dass der beste Schriftsteller aller Zeiten fünf Wochen seines Lebens in Cabo Blanco verbracht hat, Tage voller Glück und Zufriedenheit. Mit ihrem Urteil liegen die Einheimischen nicht falsch. Der bärige Amerikaner hat seinen Aufenthalt am peruanischen Pazifik mit Leib und Seele genossen.

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Don Rufino Tume, der Kapitän der ‚Pescadores Dos‘, der Mary Welsh hinaus auf das Meer fuhr. Cabo Blanco, im März 2016. Foto: W. Stock

Nach der Heimkehr widmet er in einem Artikel für die Zeitschrift LOOK vom 4. September 1956 seinem Gastland eine lange Passage, die sich wie eine typische Liebeserklärung à la Hemingway liest. In Peru, wohin wir gegangen waren, um zu versuchen, für den Film einen großen Fisch aufzunehmen, war es ganz anders. Wir haben 32 Tage gefischt, von der ersten Stunde des Morgens bis zur Dämmerung, bis es schwierig wurde, zu filmen. Das Meer glitzerte wie ein riesiger Berg mit Schnee auf dem Gipfel. Wir konnten vom Kamm der Welle hinüber schauen aufs Land, dort wo der sandige Wind die Hügel an der Küste umschlang.

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Teo Davis und Ernest Hemingway

Teo Davis und Ernest Hemingway am Pool in La Cónsula, Málaga im Sommer 1959. Credit Line: Creative Commons.

Mary und Ernest Hemingway, von New York kommend, erreichen Anfang Mai 1959 mit dem Atlantikkreuzer Constitution die Küste Südspaniens. Von der andalusischen Hafenstadt Algeciras geht es dann zwei Stunden mit dem Auto Richtung Costa del Sol zur La Cónsula in den Hügeln über Málaga. Die beeindruckende Finca gehört seinem Freund William Nathan Davis, den alle Welt Bill ruft und der vom Hemingway Negro genannt wird, er und Negro haben sich vor langer Zeit Mexiko kennengelernt.

Auf La Cónsula fühlen sich die Hemingways pudelwohl. Die zwölf Hektar weite Grünanlage, akkurat gepflegt wie ein mittelalterlicher Klostergarten, mit ihren Pinien, den Akazienbäumen, grünen Palmen, all dies erinnert das prominente Ehepaar an die Finca Vigia, ihr eigenes Zuhause auf Kuba. Der Schriftsteller ist nach Spanien gekommen, um die Erinnerung aufzufrischen und um alte Freunde zu treffen. Die einstmals jungen Gesichter waren jetzt alt wie meins, aber keiner hatte vergessen, wie wir einmal waren. Viel Zeit wird ihm wohl nicht mehr bleiben, der grau gewordene Autor ahnt es. 

Bill Davis und seine Frau Anne sind großzügige Gastgeber. Das imposante Landgut der US-Amerikaner, südwestlich von Málaga im Stadtteil Churriana, Richtung Alhaurin de la Torre, ist immer voller Freunde und Gäste. Die Familie Davis lebt mit zahlreichen Bediensteten in dem langgestreckten Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert, das früher eine diplomatische Vertretung gewesen ist. Das Ehepaar hat zwei Kinder, die Tochter Nena und den Sohn Timothy, genannt Teo.

Oft unterhält sich Hemingway sich mit dem jungen Teo, morgens am Pool, er erzählt von Kuba und von seinen Reisen. Der Nobelpreisträger hat rapide abgebaut in den letzten Monaten, seit geraumer Zeit quält ihn eine Sehnsucht nach den glücklichen Jahren. Sonst hat er es nicht so mit Kindern, aber zu dem achtjährigen Teo findet er einen guten Draht. Die eigene Vergänglichkeit im Blick, sieht er in dem Kind, wie er selbst einmal gewesen ist, vor ewiger Zeit, damals an den Seen und in den Wäldern im Norden Michigans.

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Auf der Terrasse vor diesem Pool – heute außer Betrieb – albern Teo Davis und Ernest Hemingway. La Cónsula, Málaga 2019; Foto: Wolfgang Stock

Timothy Davis wird am 18. April 1951 geboren, in Paris, er wächst in Südspanien auf. Er besucht das feine Eton College in England, geht dann mit 21 Jahren in die USA. Beim Houston Chronicle findet er einen ersten Job, zieht weiter nach Los Angeles. Er schreibt Drehbücher, versucht sich als Produzent, sein beruflicher Weg erweist sich als stolperig. Jedoch besitzt er

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Ernest Hemingway und Joachim Ringelnatz

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
da taten ihnen die Beine weh,
und da verzichteten sie weise
denn auf den letzten Teil der Reise.

In seiner Erzählung The Green Hills of Africa – zu Deutsch Die grünen Hügel Afrikas – beschreibt Ernest Hemingway im Jahr 1935 eine skurrile Episode. Der Amerikaner, auf Antilopen-Jagd in Afrika, trifft in der einsamen Steppe auf einen Safari-Kameraden aus Tirol. Der Schriftsteller stellt sich dem Österreicher vor.

„Hemingway ist meine Name.“
„Kandisky“, sagte er und verbeugte sich. „Den Namen Hemingway habe ich schon einmal gehört. Wo? Wo habe ich ihn schon gehört? Ach, ja. The Dichter. Kennen Sie Hemingway, den Dichter?“
„Wo haben Sie etwas von ihm gelesen?“
„Im Querschnitt.“
„Das bin ich“, sagte ich, hocherfreut. 

Und in der weiten Steppe Ostafrikas unterhält der schrullige Österreicher sich ausführlich mit dem US-Amerikaner Ernest Hemingway über die moderne Literatur Deutschlands. Der Österreich fragt neugierig nach.

„Sagen Sie, was halten Sie von Ringelnatz?“
„Er ist brillant.“
„So. Sie mögen also Ringelnatz. Gut. Was denken Sie über Heinrich Mann?“
„Der taugt nichts.“
„Glauben Sie wirklich?“
„Ich weiß nur, dass ich ihn nicht lesen kann.“

Ernest Hemingway hält Joachim Ringelnatz für brillant. He is splendid, heißt es im Original. Famos, glanzvoll, großartig. Der US-Autor hält große Stücke auf den Deutschen aus Wurzen. Und der Sachse kommt in The Green Hills of Africa ein weiteres Mal vor. Dass er in der afrikanischen Buschlandschaft auf an admirer of Joachim Ringelnatz trifft, es wundert ihn, so schreibt Hemingway an anderer Stelle.

Der Amerikaner hat in seiner Pariser Zeit einen Zugang zu Deutschland und Einblick in die deutsche Literatur erhalten. Ein wenig ist er der deutschen Sprache mächtig, durch die mehrmonatigen Winterurlaube im Vorarlberg beherrscht er ein paar Brocken. Der Mann aus Chicago befasst sich mit Joachim Ringelnatz, mit Rainer Maria Rilke, mit Erich Maria Remarque und mit Stefan Zweig. Deutsche Autoren lassen ihn nicht kalt, er erkennt ihre Qualität, Hemingway bildet sich sein Urteil. Er teilt ein in jene, die er mag und jene, von denen er nichts hält.

Auch Ringelnatz besitzt einen Bezug zu Paris. Im Jahr 1925 reist er für

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